Familienflüchtlingsschutz für subsidiär schutzberechtigte Angehörige der Kernfamilie

Der subsidiäre Schutzstatus von Eltern und Geschwistern eines minderjährigen Flüchtlings hindert nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht die Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz. Sei der Flüchtling im Lauf des Verfahrens volljährig geworden, müssten sowohl die Familienangehörigen als auch das Kind ihr Asylgesuch noch vor dessen Volljährigkeit geäußert haben.

Vorinstanzen lehnten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab

Die Kläger sind syrische Staatsangehörige und die Eltern bzw. Geschwister einer inzwischen volljährigen Geflüchteten (Stammberechtigte). Die gesamte Familie einschließlich der Stammberechtigten hatte in Deutschland um Asyl nachgesucht, als die Stammberechtigte noch minderjährig war. Die Kläger erhielten vom Bundesamt unter Ablehnung ihrer Asylanträge im Übrigen subsidiären Schutz. Der Stammberechtigten war danach - aber nach Erreichen der Volljährigkeit - der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden. Die Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch für die Kläger ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

BVerwG: Pflicht zur Anerkennung aus nationalem Recht

Der 1. Revisionssenat des BVerwG hat nunmehr die beklagte Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet, den Klägern in Anknüpfung an den Flüchtlingsstatus der Stammberechtigten den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen. Zwar sei nach europäischem Recht gemäß Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Erstreckung des internationalen Schutzes auf die Familienangehörigen kraft Ableitung von einer Person, welcher die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, nicht vorgeschrieben. Die nationale Regelung des § 26 Abs. 3 in Verbindung mit § 5 AsylG setze jedoch nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers mit der Zuerkennung des von einem schutzberechtigten Familienangehörigen abgeleiteten internationalen Familienschutzes das Schutzziel der Wahrung des Familienverbandes (vgl. Art. 2 Buchst. j, 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU) um. Diese Statuserstreckung sei als günstigere nationale Regelung, die Art. 3 RL 2011/95/EU den Mitgliedstaaten erlaube, zulässig, da sie mit der allgemeinen Systematik und den Zielen der Richtlinie im Einklang stehe.

Nationale Regelung dient der Wahrung des Familienverbands

Die von § 26 Abs. 3 Satz 1 und 2 AsylG erfassten Angehörigen der Kernfamilie des Schutzberechtigten befänden sich regelmäßig in einer Situation, die, sofern die Ableitung mit dem Ziel der Wahrung des Familienverbands begehrt werde, einen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufweise. Mit der Zuerkennung subsidiären Schutzes aus eigenem Recht werde die Wahrung des Familienverbands bereits ermöglicht, aber keine bessere Rechtsstellung als durch den vom Stammberechtigten abgeleiteten Flüchtlingsstatus geschaffen. Das Ziel der Richtlinie, die Einheit der Kernfamilie zu festigen, werde vielmehr durch die im nationalen Recht vorgesehene Angleichung des Schutzstatus ebenso in besonderer Weise bekräftigt wie durch die Erstreckung auch auf Geschwisterkinder.

Zeitpunkt des Asylgesuchs des Minderjährigen maßgebend

Der für die Beurteilung der Minderjährigkeit des stammberechtigten Flüchtlings maßgebliche Zeitpunkt sei durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union dahin geklärt, dass es ausreiche, wenn dieser sowohl bei Stellung seines eigenen Asylantrags als auch in dem Zeitpunkt, in dem die Eltern (bzw. Geschwister) ihren Antrag gestellt hätten, noch minderjährig gewesen sei. Entscheidend sei hiernach der Zeitpunkt des Asylgesuchs, nicht der des förmlichen Asylantrags. Diese Auslegung des Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU sei mit Blick auf das Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts auch für § 26 Abs. 5 i.V.m. 3 AsylG maßgeblich. Entsprechendes gelte für die Merkmale der Ledigkeit und des Innehabens der Personensorge.

BVerwG, Urteil vom 25.11.2021 - 1 C 4.21

Redaktion beck-aktuell, 26. November 2021.