BVerwG: EuGH soll weitere Fragen zum Elternnachzug volljährig gewordener unbegleiteter minderjährigen Flüchtlinge klären

Der Europäische Gerichtshof soll klären, ob die deutsche Rechtslage, nach der die nachgezogenen Eltern eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht nur bis zu dessen Volljährigkeit haben, mit Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG (Familienzusammenführungsrichtlinie) und der zu Art. 10 Abs. 3 Buchst. a und Art. 2 Buchst. f dieser Richtlinie ergangenen Rechtsprechung des EuGH vereinbar ist. Hierum bittet das Bundesverwaltungsgericht mit Vorlagebeschlüssen vom 23.04.2020 (Az.: 1 C 9.19 und 1 C10.19).

Elternnachzug wegen zwischenzeitlicher Volljährigkeit der Kinder abgelehnt

Die Kläger sind syrische Staatsangehörige. Ihren Kindern wurde als Minderjährigen in Deutschland Flüchtlingsschutz zuerkannt. Nach der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an die Kinder beantragten die Kläger Visa zur Familienzusammenführung in Deutschland. Die deutschen Auslandsvertretungen lehnten die Anträge ab, weil die Kinder zwischenzeitlich bereits volljährig geworden waren.

Instanzgerichte uneins über für Beurteilung der Minderjährigkeit maßgeblichen Zeitpunkt

Das Verwaltungsgericht hat den Klagen der Eltern im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH (NVwZ 2018, 1463) stattgegeben, wonach es beim Elternnachzug für die Beurteilung der Minderjährigkeit auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung ankommt. Die beklagte Bundesrepublik hat mit ihren Sprungrevisionen geltend gemacht, dass die Rechtsprechung des EuGH auf die vorliegenden Fälle nicht übertragbar und an der bisherigen Rechtsprechung des BVerwG zu § 36 Abs. 1 AufenthG festzuhalten sei, wonach es beim Elternnachzug auf die Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Visumantrag ankomme.

BVerwG wendet sich mit mehreren Fragen an EuGH

Der 1. Revisionssenat des BVerwG sieht Klärungsbedarf, ob der vom EuGH zugrunde gelegte Zeitpunkt für das Bestehen der Minderjährigkeit beim Elternnachzug auch dann zur Zulassung des Familiennachzuges führt, wenn – wie nach deutscher Rechtslage – den Eltern ein Aufenthaltsrecht zur Familienzusammenführung nur bis zur Volljährigkeit des Kindes zusteht, und ob der Familienzusammenführungsantrag deswegen in Anwendung von Art. 16 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/86/EG abgelehnt werden darf. Zudem stelle sich die Frage, welche Anforderungen an das Bestehen von tatsächlichen familiären Bindungen im Sinn von Art. 16 Abs. 1 Buchst. b RL 2003/86/EG zwischen den nachziehenden Eltern und dem inzwischen volljährig gewordenen Flüchtling zu stellen sind.

Weiteres Vorabentscheidungsersuchen zu umgekehrtem Nachzugsfall

Zu dem umgekehrten Fall des Nachzuges eines volljährig gewordenen Kindes zu einem als Flüchtling anerkannten Elternteil hat das BVerwG mit Beschluss vom 23.04.2020 (Az.: 1 C 16.19) ebenfalls ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet.

BVerwG, Beschluss vom 23.04.2020 - 1 C 9.19

Redaktion beck-aktuell, 23. April 2020.