Brasilianische Nachkommen fordern Anerkennung als Deutsche
Der 1982 in Brasilien geborene Kläger und seine 2011 ebendort geborene Tochter, beide Kläger, sind Nachfahren eines 1853 nach Brasilien ausgewanderten "preußischen Untertanen". Sie begehren die Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass sie deutsche Staatsangehörige sind.
OVG Münster: Staatsangehörigkeitserwerb des Vaters erstreckt sich auf seine Abkommen
Das OVG Münster gab der erstinstanzlich erfolglosen Klage statt. Der Vater des Klägers, der zuvor ausschließlich brasilianischer Staatsangehöriger gewesen sei, habe die deutsche Staatsangehörigkeit zwar nicht durch Abstammung, wohl aber im April 2015 nach § 3 Abs. 2 StAG dadurch erworben, so das OVG, dass deutsche Stellen ihn seit April 2003 irrtümlich als deutschen Staatsangehörigen behandelt hätten. So habe ihm das Bundesverwaltungsamt im April 2003 einen Staatsangehörigkeitsausweis mit einer Gültigkeit von zehn Jahren ausgestellt; im August 2014 sei ihm durch das Generalkonsulat São Paulo ein ebenfalls zehn Jahre gültiger Reisepass ausgestellt worden. Der Staatsangehörigkeitserwerb des Vaters des Klägers, der die Behandlung als deutscher Staatsangehöriger nicht zu vertreten habe, wirke auf den Zeitpunkt von dessen Geburt im Jahr 1947 zurück, so das OVG. Er erstrecke sich nach § 3 Abs. 2 Satz 4 StAG kraft Gesetzes auf die beiden Kläger als dessen Abkömmlinge; auf ein etwaiges Vertretenmüssen in der Person des Klägers komme es nicht an.
BVerwG bestätigt OVG und stellt "Ersitzung" der deutschen Staatsangehörigkeit fest
Das BVerwG hat die Entscheidung des OVG bestätigt und entschieden, dass der Vater des Klägers die deutsche Staatsangehörigkeit durch "Ersitzung" rückwirkend auf den Zeitpunkt seiner Geburt erworben habe. Der dafür erforderlichen durchgängigen Behandlung als deutscher Staatsangehöriger "seit zwölf Jahren" stehe nicht entgegen, dass der ihm erteilte Staatsangehörigkeitsausweis im April 2013 seine Gültigkeit verloren habe und ihm erst im August 2014 ein Reisepass ausgestellt worden sei. In der zeitlichen Lücke liege hier keine anspruchsschädliche Unterbrechung.
Rechtsirrtümliche Behandlung als Deutscher nicht zu vertreten
Ferner stellten die Leipziger Bundesrichter klar, dass der Vater des Klägers seine rechtsirrtümliche Behandlung als Deutscher nicht zu vertreten hatte. Ebenso wenig wie seine Behandlung als Deutscher sei sein Nichtvertretenmüssen insbesondere dadurch entfallen, dass das Generalkonsulat São Paulo 2015 ihm kurz vor Ablauf des Zwölfjahreszeitraums den ausschließlich an die beiden Kläger gerichteten streitgegenständlichen Bescheid habe bekanntgeben lassen, mit dem es diesen gegenüber das Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit festgestellt habe. Eine Kenntnis auch des Vaters des Klägers von diesem Vorgang vor Ablauf des Zwölfjahreszeitraums habe das OVG gerade nicht festgestellt, so das BVerwG.
Für Erstreckungserwerb keine Gutgläubigkeit erforderlich
Des Vaters rückwirkender Staatsangehörigkeitserwerb erstrecke sich kraft Gesetzes auf die Kläger als Abkömmlinge, die seither ihre Staatsangehörigkeit von ihm ableiten. Der Erstreckungserwerb setze entgegen der Auffassung der Beklagten nicht voraus, dass auch der Abkömmling seinerseits eine Behandlung als deutscher Staatsangehöriger nicht zu vertreten haben dürfe beziehungsweise "gutgläubig" gewesen sein müsse. Er sei zudem unabhängig davon eingetreten, ob der Kläger in der Zeit bis April 2015 – etwa durch einen freiwilligen Eintritt in fremde Streitkräfte – einen Verlusttatbestand verwirklicht habe, so das BVerwG abschließend.