Entstehen der Vorteilslage bei Erschließungsbeiträgen
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Die für die Erhebung der Erschließungsbeiträge wichtige Vorteilslage tritt ein, wenn das Bauprogramm im bautechnischen Sinne abgeschlossen ist und mit weiteren Arbeiten aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr zu rechnen ist. Spätere Änderungen, die von der Ausbauplanung nicht umfasst sind, verschieben dem Bundesverwaltungsgericht zufolge die Vorteilslage nicht nach hinten hinaus. Das verfassungsrechtliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit müsse das Entstehen der Vorteilslage für den Adressaten klar erkennen lassen. 

Nach 30 Jahren Vorausleistung auf Erschließungsbeitrag für Sackgasse gefordert

Eine nordrhein-westfälische Gemeinde erließ 1973 einen Bebauungsplan, auf dem der Bau einer Sackgasse mit einem Wendehammer beruhte. Ursprünglich sollte der Wendehammer komplett gepflastert werden. Nach der Fertigstellung im Jahr 1987 fügte die Gemeinde aber in der Mitte noch ein kleines Baumbeet für einen Ginkgobaum ein, wofür sie 1989 die letzte Teilzahlung leistete. 2017 stellte sie fest, dass die Baumscheibe nicht im Bebauungsplan enthalten war und wartete auf einen Beschluss der Bezirksvertretung, der die Ausbauplanung entsprechend anpassen sollte. Auf diesen Umstand stützte sie die Forderung in Höhe von rund 17.000 Euro als Vorausleistung für die Erschließung an den klägerischen Anlieger. Der Grundstückseigentümer weigerte sich, über dreißig Jahre nach Abnahme der Bauarbeiten noch Erschließungsbeiträge zu zahlen. Er klagte erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Köln und auch vor dem Oberverwaltungsgericht Münster. In der Zwischenzeit erließ das Land Nordrhein-Westfalen ein neues Gesetz, mit dem es die Verjährung von Erschließungsbeitragsbescheiden auf zehn, bzw. zwanzig Jahre nach Entstehen der Vorteilslage festsetzte. Der Anlieger obsiegte auch vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Neuregelung anwendbar

Nach der neuen Fassung von § 3 Abs. 1 BauGB-AG NRW gilt für Erschließungsbeitragsbescheide, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens noch nicht bestandskräftig waren, eine Ausschlussfrist von 20 Jahren. Nach Ansicht der Leipziger Richter ist diese Regelung auch hier anwendbar, weil die letzte Tatsacheninstanz sie hätte anwenden müssen, wenn es anstelle des BVerwG hätte entscheiden müssen. Die damit verbundene Rückwirkung entspreche auch dem erklärten Willen des Gesetzgebers.

Vorteilslage 1987 entstanden

Das BVerwG bestätigte die Entscheidung des OVG Münster, wonach die Vorteilslage 1987 mit Abnahme der Arbeiten in der Sackgasse entstanden ist. Maßgeblich dafür sei die tatsächliche bautechnische Durchführung der Erschließungsmaßnahme – nicht hingegen die Widmung oder sonstige für den Betroffenen nicht erkennbare rechtliche Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflicht. Dabei seien geringfügige Abweichungen vom Ausbauprogramm, wie hier die Baumscheibe, unter dem Gesichtspunkt der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht zu berücksichtigen. Wegen dieses verfassungsrechtlichen Gebots teile der Vorausleistungsbescheid auch das Schicksal der Erschließungsbeiträge, denn die Gemeinde könne keine Vorausleistung fordern, wenn die Erschließungsbeiträge bereits nicht mehr erhoben werden können.

BVerwG, Urteil vom 15.11.2022 - 9 C 12.21

Redaktion beck-aktuell, 21. April 2023.