Strafbefehl wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr
Der 1984 geborene Kläger, ein brasilianischer Staatsangehöriger, lebt seit 2002 im Bundesgebiet und ist seit 2009 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. 2011 beantragte er seine Einbürgerung. Mit Strafbefehl aus dem Jahr 2012 wurde er wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt. Ferner wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für deren Wiedererteilung bis Mai 2013 angeordnet. Da er im Einbürgerungsverfahren diese Strafe nicht angegeben hatte, wurde er 2014 zu einer weiteren Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt.
Einbürgerung wegen Entziehung der Fahrerlaubnis versagt
Die Staatsangehörigkeitsbehörde lehnte den Einbürgerungsantrag im August 2015 ab. Die Strafurteile blieben zwar im Einbürgerungsverfahren außer Betracht, weil die Strafhöhe unterhalb der im Staatsangehörigkeitsgesetz geregelten Unbeachtlichkeitsgrenze liegt. Die mit Strafbefehl von 2012 angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis sei aber bis zur Tilgungsreife im Bundeszentralregister einbürgerungsrechtlich relevant, so die Behörde. Die im Rahmen der gebotenen Einzelfallentscheidung vorzunehmende Abwägung der betroffenen Interessen führe hier dazu, dass das öffentliche Interesse an der Nichteinbürgerung überwiege.
VGH: Entziehung der Fahrerlaubnis darf nicht berücksichtigt werden
Die hiergegen gerichtete Klage hatte das Verwaltungsgericht abgewiesen (BeckRS 2016, 115612). Auf die Berufung des Klägers hatte der Verwaltungsgerichtshof der Klage stattgegeben (BeckRS 2017, 102578). Zur Begründung hatte er im Wesentlichen ausgeführt, dass die im Strafbefehl unselbstständig angeordnete Maßregel der Besserung und Sicherung bereits nicht zu berücksichtigen sei, sodass es keiner Ermessensentscheidung bedürfe.
BVerwG: Unselbstständig angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis hat außen vor zu bleiben
Das BVerwG hat diese Rechtsauffassung jetzt bestätigt und die Revision der Landesanwaltschaft Bayern zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG setze unter anderem voraus, dass der Ausländer weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn aufgrund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG). Bleiben, wie hier, Verurteilungen bei der Einbürgerung außer Betracht, weil sie die im StAG geregelten Unbeachtlichkeitsgrenzen (§ 12a Abs. 1 Sätze 1 bis 3 StAG) nicht überschreiten, bleibe die in einem Strafurteil zusätzlich (unselbstständig) angeordnete Maßregel der Besserung und Sicherung unberücksichtigt.
Nur Verurteilungen zu Strafen zu berücksichtigen
Bereits nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG seien bei schuldfähigen Tätern nur Verurteilungen zu Strafen zu berücksichtigen und nicht zusätzlich angeordnete Maßregeln. Maßregeln der Besserung und Sicherung habe der Gesetzgeber einbürgerungsrechtlich nur bei schuldunfähigen Straftätern Bedeutung beigemessen, bei denen es mangels einer verhängten Strafe an einem anderweitigen Kriterium für die Bemessung des Gewichts der Straftat fehlt. Die 2007 erfolgte Neuregelung des einbürgerungsrechtlichen Unbescholtenheitserfordernisses knüpfe schon in ihrem Wortlaut an das zweispurige System von Strafen (§§ 38 ff. StGB) einerseits und Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) andererseits an, welches das Strafrecht prägt.
Zweck des "Unbescholtenheitserfordernisses" greift hier nicht
Auch Gesetzessystematik und Normzweck sprächen dafür, dass gegenüber schuldfähigen Tätern unselbstständig angeordnete Maßregeln der Besserung und Sicherung von vornherein nicht einbürgerungshindernd sind und nicht erst im Rahmen einer Ermessensentscheidung (§ 12a Abs. 1 Satz 4 StAG) außer Betracht bleiben können. Der ordnungsrechtliche Zweck des sogenannten Unbescholtenheitserfordernisses des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG, die Einbürgerung von Personen zu verhindern, die straffällig geworden sind und sich nicht erfolgreich in Staat und Gesellschaft integriert haben, erfordere bei schuldfähigen Tätern nicht die einbürgerungsrechtliche Berücksichtigung von zusätzlich zu einer Strafe angeordneten Maßregeln der Besserung und Sicherung. Denn diese seien keine zusätzliche Bestrafung oder Nebenstrafe, die auf die Verletzung eines strafrechtlich bewehrten Schutzgutes reagieren, sondern dienten der Gefahrenabwehr, beim Fahrerlaubnisentzug der Sicherheit des Straßenverkehrs. Diese präventive Funktion behielten die Maßregeln der Besserung und Sicherung auch dann, wenn sie zusätzlich (unselbstständig) zu einer Strafe angeordnet worden sind.