Corona-Regeln: Sächsische Kontaktbeschränkungen rechtens - Bayerns strenge Ausgangssperre nicht
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Das Bundesverwaltungsgericht hat heute erstmals über die Rechtmäßigkeit früherer Corona-Schutzverordnungen aus der Anfangszeit der Pandemie entschieden. In zwei Urteilen bestätigte es die sächsischen Kontaktbeschränkungen mit der Schließung von Gastronomiebetrieben und Sportstätten aus dem April 2020 als rechtmäßig. Die strenge Ausgangssperre, die Bayern im März 2020 verhängt hatte, sei jedoch unverhältnismäßig gewesen.

Bayern: Verlassen eigener Wohnung nur aus triftigen Gründen

Nach der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom März 2020 war das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. Triftige Gründe waren insbesondere Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich allein oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München hatte auf einen Normenkontrollantrag von zwei Privatpersonen festgestellt, dass diese Regelungen unwirksam waren (COVuR 2021, 739). Das BVerwG hat die Revision des Freistaats Bayern zurückgewiesen.

VGH München: Triftige Gründe zu eng gefasst

Der VGH München hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Antragsgegner habe die triftigen Gründe, die zum Verlassen der eigenen Wohnung berechtigten, so eng gefasst, dass die Ausgangsbeschränkung im Ergebnis unverhältnismäßig gewesen sei. Von der Beschränkung sei auch das Verweilen im Freien allein oder ausschließlich mit Angehörigen des eigenen Hausstandes erfasst gewesen. Dass diese Maßnahme zur Hemmung der Übertragung des Coronavirus erforderlich und damit im Sinne des IfSG notwendig gewesen sei, sei auf der Grundlage des Vortrags des Antragsgegners nicht zu erkennen.

Bloßes Verweilen an der frischen Luft in Bayern nicht erlaubt

Diese Annahme sei mit Bundesrecht vereinbar, so das BVerwG. Erforderlich sei eine Maßnahme, wenn kein gleich wirksames, die Grundrechtsträger weniger belastendes Mittel zur Erreichung des Ziels zur Verfügung steht. Als mildere Maßnahme seien hier – wie der VGH zu Recht angenommen habe – Beschränkungen des Kontakts im öffentlichen und privaten Raum in Betracht, mit denen das Verweilen im Freien allein oder ausschließlich mit Angehörigen des eigenen Hausstandes nicht untersagt worden wäre. Sie hätten die Adressaten weniger belastet als die angegriffene Ausgangsbeschränkung. Diese erlaubte nach der bindenden Auslegung des Landesrechts durch den VGH München zwar das Verlassen der Wohnung für Sport und Bewegung, aber nicht für bloßes Verweilen an der frischen Luft, zum Beispiel um auf einer Parkbank ein Buch zu lesen.

VGH: Verbot bloßen Verweilens infektiologisch nicht zu begründen

Bei der Beurteilung, ob die als milderes Mittel in Betracht kommende Kontaktbeschränkung weniger wirksam zur Zielerreichung war als die angegriffene Ausgangsbeschränkung, habe der Antragsgegner über einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum verfügt, so das BVerwG weiter. Dieser habe sich darauf bezogen, die Wirkungen der Maßnahmen zu prognostizieren. Ein solcher Spielraum habe jedoch Grenzen. Das Ergebnis der Prognose müsse plausibel und damit einleuchtend begründet sein. Das unterliege der gerichtlichen Überprüfung. Der VGH habe angenommen, im Vortrag des Antragsgegners sei offengeblieben, warum ein Verhalten, welches für sich gesehen infektiologisch unbedeutend sei, nämlich das Verweilen allein oder mit den Personen seines Haushalts im Freien außerhalb der eigenen Wohnung, der Ausgangsbeschränkung unterworfen worden sei. Dass der VGH ein solches Verweilen als infektiologisch unbedeutend eingestuft hat, sei eine Würdigung von Tatsachen, die der Antragsgegner nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen hat; gegen sie bestünden unabhängig davon aber auch revisionsrechtlich keine Bedenken.

Hausstandsübergreifende Kontakte sowie nicht vollständig verhinderbar

Gleiches gilt laut BVerwG für die Annahme des VGH, es sei nicht ersichtlich, dass sich in relevanter Anzahl um die Verweilenden Ansammlungen von Menschen bilden könnten. Er habe keine überzogenen Anforderungen an die Darlegung gestellt. Dass das Verlassen der Wohnung zum Verweilen an der frischen Luft – wie das Verlassen der Wohnung aus anderen Gründen – zu Kontakten führen kann, bedürfe als allgemeinkundige Tatsache zwar nicht der Darlegung. Das Verbot des Ausgangs für ein Verweilen im Freien ohne Kontakt zu hausstandsfremden Personen sei aber nur erforderlich gewesen, wenn es über ein Verbot solcher Kontakte hinaus geeignet war, einen relevanten Beitrag zur Verhinderung hausstandsübergreifender Kontakte zu leisten. Zu berücksichtigen war hierbei laut BVerwG, dass das Ziel des Antragsgegners, physische Kontakte zu Menschen außerhalb des eigenen Hausstandes auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren auch durch die Ausgangsbeschränkung in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht vollständig zu erreichen war. Denn bei Vorliegen triftiger Gründe sei das Verlassen der eigenen Wohnung erlaubt gewesen und auch ein solches erlaubtes Verlassen der Wohnung habe zu Kontakten zu Menschen außerhalb des eigenen Hausstandes führen können.

Erheblicher Beitrag zu Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 nicht plausibel dargelegt

Das ganztägig und damit auch während der Tagstunden geltende Verbot, die eigene Wohnung zum Verweilen im Freien zu verlassen, habe einen schweren Eingriff in die Grundrechte der Adressaten dargestellt. Für die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne hätte in der Tatsacheninstanz plausibel dargelegt werden müssen, dass es über eine Kontaktbeschränkung hinaus einen erheblichen Beitrag zur Erreichung des Ziels leisten konnte, physische Kontakte zu reduzieren und dadurch die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern. Auch daran habe es hier gefehlt, so das BVerwG zu der Rechtslage in Bayern abschließend.

Sachsens Corona-Regelungen verhältnismäßig

Die Regelungen der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom April 2020 über die Kontaktbeschränkung für den Aufenthalt im öffentlichen Raum, die Untersagung von Gastronomiebetrieben und die Schließung von Sportstätten einschließlich Golfplätzen hätten dagegen im IfSG eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage gehabt und seien auch verhältnismäßig gewesen, so das BVerwG in seinem zweiten Urteil, mit dem es eine Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Sachsen in Bautzen (BeckRS 2021, 33251) bestätigte.

Rechtsgrundlage im IfSG alter Fassung

Rechtsgrundlage für die angegriffenen Verordnungsregelungen sei § 32 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 IfSG in der Fassung des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27.03.2020 (IfSG a.F.) gewesen. Die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Vorschriften Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erlassen werden konnten, lagen laut BVerwG vor. Bei Erlass der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung seien Menschen an COVID-19 und damit an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des IfSG erkrankt gewesen. Auch Ge- und Verbote, die – wie hier – unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht an die Allgemeinheit gerichtet sind, hätten notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne der genannten Vorschriften sein können.

Rechtsgrundlage des IfSG war auch verfassungsgemäß

§ 32 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 IfSG a.F. sei in dieser Auslegung verfassungsgemäß gewesen, so das BVerwG weiter. Der Grad der verfassungsrechtlich erforderlichen Bestimmtheit hänge unter anderem von den Besonderheiten des jeweiligen Sachbereichs ab. Im Infektionsschutzrecht sei eine Generalklausel, wie sie § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 IfSG a.F. enthält, sachgerecht. Der Gesetzgeber könne nicht voraussehen, welche übertragbaren Krankheiten neu auftreten und welche Schutzmaßnahmen zu ihrer Bekämpfung erforderlich sein werden. Hat sich der Erkenntnisstand in Bezug auf einen neuen Krankheitserreger verbessert und haben sich geeignete Parameter herausgebildet, um die Gefahrenlage zu beschreiben und zu bewerten, könne er allerdings gehalten sein, für die jeweilige Krankheit zu konkretisieren, unter welchen Voraussetzungen welche Schutzmaßnahmen ergriffen werden können. Eine solche Kodifikationsreife habe für COVID-19 im hier maßgebenden Zeitraum von Mitte April bis Anfang Mai 2020 nicht vorgelegen.

Verordnungsgeber durfte auf Risikobewertung des RKI zurückgreifen

Die angegriffenen Verordnungsregelungen seien auch verhältnismäßig und damit notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 IfSG a.F. Das Ziel der Verordnung, physische Kontakte zu vermeiden, um die Ausbreitung des Virus und der Krankheit COVID-19 zu verlangsamen, habe im Einklang mit dem Zweck der Verordnungsermächtigung gestanden. Die Annahme des Verordnungsgebers, dass dieses Ziel ohne die erlassenen Ge- und Verbote gefährdet und die Gefahr wegen einer möglichen Überlastung des Gesundheitssystems dringlich war, habe nach den Feststellungen des OVG auf einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage beruht. Der Verordnungsgeber habe sich für seine tatsächliche Einschätzung der Gefährdungslage insbesondere auf die Risikobewertung des Robert Koch-Institutes (RKI) stützen dürfen, das nach § 4 IfSG a.F. als nationale Behörde zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen unter anderem zur Auswertung und Veröffentlichung von Daten zum Infektionsgeschehen berufen ist. Der Antragsteller habe nichts vorgetragen, was die Bewertung des RKI nach der maßgebenden ex-ante-Sicht erschüttern könnte. Dafür sei auch nichts ersichtlich, betont das BVerwG.

Ge- und Verbote auch erforderlich zu Eindämmung der Gefährdung

Die angegriffenen Ge- und Verbote seien für die Zielerreichung geeignet und auch erforderlich gewesen. Es sei nicht ersichtlich, so das BVerwG, dass dem Verordnungsgeber eine gleich wirksame, weniger in die Grundrechte der Betroffenen eingreifende Maßnahme zur Verfügung stand. Angesichts der seinerzeit fehlenden Erfahrungen mit dem SARS-CoV-2-Virus habe er einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum gehabt, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren. Dass er diesen Spielraum überschritten habe, habe das OVG ohne Rechtsfehler verneint. Die Prognose des Verordnungsgebers sei ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz plausibel.

Mildere, aber gleich effektive Mittel nicht ersichtlich

Hinsichtlich der Kontaktbeschränkungen sei ein gleich wirksames, aber weniger belastendes Mittel nicht ersichtlich gewesen. In Bezug auf gastronomische Einrichtungen habe das Gericht festgestellt, dass aufgrund der besonderen Nähe und fehlender Ausweichmöglichkeiten von Gästen und Personal ein besonders hohes Ansteckungsrisiko für eine Tröpfcheninfektion bestand. Zudem habe gerade in Szene-Vierteln die Gefahr von größeren Menschenansammlungen bestanden. Danach sei plausibel gewesen, dass selbst ein anspruchsvolles Hygienekonzept nicht so wirksam gewesen wäre wie die Schließung der Gastronomiebetriebe. In Bezug auf Golfplätze habe das OVG festgestellt, dass es auch dort Bereiche gebe, die von einer Vielzahl von Spielern zusammen aufgesucht würden und wo damit die Gefahr einer Ansteckung bestehe.

Auch Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn gegeben

Schließlich habe das OVG ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass der mit den Maßnahmen verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung weder bezogen auf die einzelnen Maßnahmen noch insgesamt außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen. Dass Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum sowie die Schließung von gastronomischen Einrichtungen verhältnismäßig im engeren Sinne sein können, sei in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Regelungen in § 28b Abs.1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 7 IfSG in der Fassung des Gesetzes vom 22.04.2021 ("Bundesnotbremse") geklärt. Für die hier in Rede stehenden Schutzmaßnahmen aus der Anfangsphase der COVID-19-Pandemie ("1. Welle") ergibt sich laut BVerwG nichts Anderes.

BVerwG, Urteil vom 22.11.2022 - 3 CN 1.21

Redaktion beck-aktuell, 22. November 2022 (ergänzt durch Material der dpa).