Vergeblich hat sich der ehemalige Staatsdiener damit vor dem BVerwG in letzter Instanz gegen seinen Rauswurf gewehrt (Beschluss vom 02.05.2024 – 2 B 24.23). Die Besonderheit an solchen Verfahren: Will eine Behörde jemanden aus dem Beamtenverhältnis entfernen, findet erst ein Disziplinarverfahren gegen ihn statt, und dann muss sie eine Disziplinarklage gegen ihn vor den Verwaltungsgerichten einreichen – weshalb der Betroffene prozessual nicht Kläger, sondern Beklagter ist. Der Oberregierungsrat – ein Diplom-Politologe – arbeitete im Bundesinnenministerium von Horst Seehofer (CSU) mit der Besoldungsgruppe A 14. Seit 2013 war er im Referat "B" tätig, das für den Kampf gegen die Virenseuche nur am Rande zuständig war.
Am 23.3.2020 nahm der Mann den Kampf gegen die Regierungsmaßnahmen auf: Zunächst versandte er an den Leiter und weitere Mitarbeiter seines Referats einen "1. Zwischenbericht zur Bewertung der Coronakrise aus der Perspektive Grundsatzfragen des Schutzes kritischer Infrastrukturen". Darin vertrat er die Auffassung, die Schutzmaßnahmen gegen Covid-Ansteckungen drohten zu einer eigenen, ernsthaften Bedrohung der kritischen Infrastrukturen zu werden. Sein Chef teilte ihm daraufhin mit, dass er keinen dienstlichen Bezug der Ausführungen zu ihrem Referat sehe und forderte ihn auf, die Überlegungen nicht als dessen Auffassung zu kennzeichnen und nur im eigenen Namen zu transportieren. Worauf sich der Beamte mit seinem Anliegen an den noch höher stehenden Abteilungsleiter wandte, was ihm einen weiteren Rüffel des unmittelbaren Vorgesetzten eintrug. Nach einem erneuten Vorstoß des Oberregierungsrats wies ihn der Referatsleiter per Mail ausdrücklich an: "Nochmals: Sie können mich in Ihrer Funktion als Referent beraten. Sie können und dürfen nicht aus dem Referat heraus und für das Referat im eigenen Namen agieren."
Gespräch mit Horst Seehofer gewünscht
Zwar nahm das Referat später den Bericht in die vom Krisenstab des Ministeriums erbetene Liste der zur Corona-Lage erstellten Arbeiten auf – jedoch mit dem Hinweis, dass es sich um eine ausschließlich vom Beklagten als Politologen erstellte, nur interne Analyse handele. Doch der gab keine Ruhe: Er schickte dem Leiter des Ministerbüros seine Ausarbeitung und bat, diese dem Minister höchstselbst vorzulegen. Doch dessen Adlatus lehnte eine Weitergabe ab und bot ein persönliches Gespräch in der Folgewoche an. Die Erörterung sah der Kämpfer als "zeitkritisch" an, zumal sein direkter Boss ihm inzwischen mitgeteilt hatte, zum 1.5. sei diesem eine andere Aufgabe übertragen worden. Doch das vermochte auch den Abteilungsleiter nicht überzeugen, an den er sich nun abermals wandte. Er sei auch nicht bereit, ein Papier anzunehmen, dass vom früheren Referatsleiter nicht akzeptiert und intern nicht abgestimmt worden sei. Vielmehr wies er den Beamten abschließend an, den Dienstweg einzuhalten und auf den Nachfolger zu warten, der demnächst seinen Dienst antreten werde.
Am 8. Mai 2020, der nur in Berlin (und mittlerweile auch in Mecklenburg) ein Feiertag ist, ging der Ministerialbeamte aufs Ganze: Er schickte seinem Abteilungsleiter einen überarbeiteten Auswertungsbericht und behauptete, es handle sich um eine offiziell im Referat abgestimmte Version. Gleichzeitig teilte er mit, da er Gefahr im Verzug sehe, werde er als gegenwärtiger Vertreter der Referatsleitung dem Krisenstab eine Zusammenfassung seiner Arbeitsergebnisse zukommen lassen. Vier Minuten später versandte er seine ausführliche "Analyse des Corona-Krisenmanagements" mit Anlagen an einen E-Mail-Verteiler, der sowohl Funktions- als auch persönliche E-Mail-Adressen des Bundesinnenministeriums enthielt. Schlagwortartig vorangestellt hieß es dort: "gravierende Fehlleistungen des Krisenmanagements", "Defizite im Regelungsrahmen für Pandemien" und "Coronakrise erweist sich wohl als Fehlalarm". Anschließend mailte er all dies unter dem Absender "B" an verschiedene Adressen nachgeordneter Bundes- und Landesbehörden – woraufhin das Haus von Seehofer gezwungen war, sich in einer Pressemitteilung davon zu distanzieren. Weitere Konsequenzen: ein Verbot, die Dienstgeschäfte weiterzuführen, und ein Hausverbot.
Vor die Tür gesetzt
In dem anschließenden Disziplinarverfahren und in der Klage auf Entfernung aus dem Staatsdienst kam der Vorwurf dazu, der Regierungskritiker habe seine umfänglichen Texte während seiner Dienstzeit erstellt, obwohl er dafür mangels Bezugs zur kritischen Infrastruktur gar nicht zuständig gewesen sei. Das VG Berlin setzte ihn denn auch vor die Tür der Amtsstube. Das OVG Berlin-Brandenburg wies die Berufung dagegen zurück: Der Beklagte sei jedenfalls nicht berechtigt gewesen, seine Ausführungen entgegen den Weisungen seiner Vorgesetzten im Namen des Referats in zwei aufeinanderfolgenden E-Mails an weitere Stellen im Bundesministerium und in den Ländern zu versenden. Damit habe er nicht nur gegen die ihm obliegende "Folgepflicht", sondern auch gegen seine "Pflicht zur Loyalität" gegenüber der eigenen Behörde verstoßen. Kontroverse Einschätzungen dürften nicht im Namen der Dienststelle unter Umgehung des Dienstwegs an einen breiten Adressatenkreis innerhalb der Behörde selbst und darüber hinaus an andere staatliche Stellen übermittelt werden. Die Oberrichter beanstandeten sowohl den Inhalt wie auch die Wortwahl, die gegen die Pflicht zur politischen Mäßigung und zu einem achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten verstoßen habe.
Da das OVG keine Revision zugelassen hatte, mussten sich die Leipziger Bundesrichter und -richterinnen nur noch mit der Beschwerde dagegen befassen – und die bezog sich auf eine ganze Latte angeblicher Verfahrensverstöße, etwa dass die Klageschrift gegen den Mann unvollständig gewesen sei und sich das Berlin-Brandenburger Gericht wegen unzureichender Berücksichtigung seiner Rügen keine ausreichende Überzeugung gebildet habe. Das Vorgehen gegen ihn verstoße zudem gegen seine Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG).
Dennoch ging der Leipziger Senat auch in diesem (längeren) Teil seiner Entscheidung nochmals aufs Inhaltliche ein. So habe der Maßnahmen-Rebell die Dringlichkeit unter anderem damit gerechtfertigt, die schweren Versäumnisse bei der Gefahrenanalyse und -bewertung müssten als methodisch-handwerkliche Fehlleistungen des bisherigen Krisenmanagements betrachtet werden. Bezogen auf die Versorgung mit Dienstleistungen der kritischen Infrastrukturen seien Ende 2019 die gesundheitlichen Gefahren durch den Corona-Virus als niedrig bis sehr niedrig einzuschätzen gewesen, während seit etwa Mitte März 2020 die multiplen Gefahren unterschiedlicher Art, die durch zum Schutz vor den gesundheitlichen Gefahren ergriffenen Maßnahmen ausgelöst worden seien, hoch bis sehr hoch einzuschätzen seien. Im Gesundheitssystem beispielsweise habe die Kontrolle des Anstiegs der Fallzahlen Vorrang mit der Folge gehabt, dass abgesagte oder verschobene OP-Termine zu Schäden und Todesfällen geführt hätten.
"Beamte sind Treuhänder der Allgemeinheit"
Da schossen die obersten Verwaltungsrichter zurück und stützen die Vorinstanz: Nach deren Einschätzung hatte der Beklagte den 8.5.2020 allein deshalb als Tag für die Versendung der Papiere gewählt, "weil er an diesem Tag, einem Feiertag, die Möglichkeit gesehen habe, ungestört als amtierender Vertreter des Leiters des Referats B agieren und seine persönlichen Ansichten (...) entgegen ausdrücklicher Weisung (...) als in diesem Referat abgestimmte Ausarbeitung ausgeben zu können". Besonders gut kam wohl auch nicht an, dass er in der Verhandlung vor dem Berufungsgericht gesagt habe, "er würde fast alles wieder so machen".
Abschließend schreiben die Richterinnen und Richter ihm und überhaupt allen Staatsdienern ins Stammbuch: "Die mit der Ausübung von Hoheitsgewalt verbundene Rechtsmacht wird dem Beamten nicht zur Verwirklichung eigener Vorstellungen oder Grundrechte verliehen; er nimmt die ihm übertragenen Aufgaben nicht als Privatperson, sondern als Amtsträger wahr." Er habe sein Amt treuhänderisch "zum Wohl der Allgemeinheit" zu führen, was als "Grundpflicht" des Beamten in § 60 Abs. 1 Satz 2 BBG ausdrücklich niedergelegt sei. "Er unterliegt dabei der Weisungsbefugnis seines Vorgesetzten, die ein unentbehrliches Glied in der demokratischen Legimitationskette bildet, um den Amtswalter über die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung mit dem Volkssouverän zu verbinden." Als Ausfluss der Staatsgewalt legimitierte sich die Amtsführung schließlich aus dem Willen des Volkes, nicht aus den Grundrechten des als Amtswalter handelnden Beamten.