Bundesrechnungshof darf Berufsgenossenschaften prüfen

Berufsgenossenschaften unterliegen als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts und Unfallversicherungsträger mit ihrer Haushalts- und Wirtschaftsführung der Prüfung durch den Bundesrechnungshof. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. § 120 SGB VII sei als gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes im Sinn des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO zu verstehen.

Berufsgenossenschaft klagte gegen Prüfungsanordnung 

Die Klägerin ist eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts, eine der größten Berufsgenossenschaften in Deutschland und als solche eine Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie wandte sich gegen eine auf die Durchführung sozialmedizinischer Begutachtungen bezogene Prüfungsanordnung des Bundesrechnungshofs vom 19.03.2018.

Voraussetzungen der Prüfung bundesunmittelbarer Sozialversicherungsträger

Nach § 111 Abs. 1 Satz 1 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) prüft der Bundesrechnungshof die Haushalts- und Wirtschaftsführung der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Diese Vorschrift ist allerdings gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO auf die bundesunmittelbaren Träger der Sozialversicherung – unter anderem diejenigen der gesetzlichen Unfallversicherung – nur dann anzuwenden, wenn diese auf Grund eines Bundesgesetzes vom Bund Zuschüsse erhalten oder eine Garantieverpflichtung des Bundes gesetzlich begründet ist.

BRH nahm gesetzlich begründete Garantieverpflichtung an

Die Klägerin erhält keine staatlichen Zuschüsse. Der Bundesrechnungshof sah jedoch eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes in § 120 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII), wonach mit der Auflösung eines bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers dessen Rechte und Pflichten auf den Bund übergehen, soweit durch Rechtsvorschriften des Bundes nicht etwas anderes bestimmt worden ist.

OVG: Keine rechtlich bindende Einstandspflicht

Das Verwaltungsgericht Köln wies die Anfechtungsklage gegen die Prüfungsanordnung ab. Das Oberverwaltungsgericht Münster gab dagegen der Berufung der Klägerin statt und hob die Anordnung auf. Es nahm an, eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung im Sinn des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO sei nur eine nicht ausschließlich vom Willen des Bundesgesetzgebers abhängige, unter bestimmten Voraussetzungen – dem Garantiefall – rechtlich bindend eintretende Leistungsverpflichtung. Diese Voraussetzungen erfülle § 120 SGB VII nicht, weil der Eintritt des Garantiefalls – die Auflösung eines bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers – ausschließlich vom Willen des Bundesgesetzgebers abhänge und dieser es zugleich in der Hand habe, von den in § 120 SGB VII vorgesehenen Rechtsfolgen abzuweichen. Die Vorschrift begründe keine rechtlich bindende Einstandspflicht, sondern verleihe allenfalls deklaratorisch der ohnehin bestehenden Verantwortung des Bundes für die bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträger Ausdruck.

BVerwG: Exemtion von Prüfung eng auszulegende Ausnahme

Auf die Revision der Bundesrepublik Deutschland hat das BVerwG das erstinstanzliche Urteil jetzt wiederhergestellt. Nach der gesetzlichen Systematik sei die lückenlose, kontrollfreie Räume vermeidende Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts die Regel und die Exemtion von dieser Prüfung nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO die eng auszulegende Ausnahme. Nach dessen Zweck sollen die begünstigten Sozialversicherungsträger der Kontrolle durch den Bundesrechnungshof jedenfalls dann unterworfen sein, wenn aus ihrer Tätigkeit ein Risiko für den Bundeshaushalt erwachsen könne.

Auffangregelung für Übernahme finanzieller Lasten

Danach sei eine gesetzlich begründete Garantieverpflichtung des Bundes im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 BHO anzunehmen, wenn – zum Zeitpunkt des Prüfungsbegehrens des Bundesrechnungshofs – sich aufgrund eines Bundesgesetzes, sei es auch erst nach Erlass weiterer Akte, die Möglichkeit einer zukünftigen Belastung des Bundeshaushalts durch eine Verpflichtung des Bundes zum Eintritt in Zahlungspflichten ergebe, die zu Lasten eines Sozialversicherungsträgers entstanden seien. Diese Voraussetzungen würden durch § 120 SGB VII erfüllt. Denn diese Norm sei unter Berücksichtigung ihrer gesetzlichen Bezeichnung als Bundesgarantie, des Verständnisses ihrer in das Kaiserreich zurückreichenden historischen Vorgängerregelungen sowie ihres Zwecks im Kern als Auffangregelung für die Übernahme der finanziellen Lasten eines durch Gesetz aufgelösten bundesunmittelbaren Unfallversicherungsträgers zu verstehen. Sie könne im Fall der Auflösung eines solchen Trägers in einer Weise angewandt werden, die nicht in Konflikt mit Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG gerät, der das Führen eines Sozialversicherungsträgers in unmittelbarer Bundesverwaltung verbiete.

Prüfungsanordnung auch im Übrigen rechtmäßig

Die hiernach von einer Prüfungsbefugnis des Bundesrechnungshofs getragene, von der Klägerin angegriffene Prüfungsanordnung ist nach der Entscheidung des BVerwG auch im Übrigen in formell und materiell rechtmäßiger Weise erlassen worden. Sie verletze insbesondere nicht den Schutz der Sozialdaten der bei der Klägerin Versicherten.

BVerwG, Urteil vom 12.05.2021 - 6 C 12.19

Redaktion beck-aktuell, 14. Mai 2021.