Bundesinnenministerium durfte Berlin Aufnahme zusätzlicher Moria-Flüchtlinge versagen
Lorem Ipsum
© Gregor Fischer / picture alliance / dpa

2020 wollte Berlin 300 besonders schutzbedürftigen Personen Flüchtlinge aus dem Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos aufnehmen - bis der Bund den Plan stoppte. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun entschieden, dass das Bundesinnenministerium das nach § 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit erforderliche Einvernehmen zu der humanitären Aufnahmeanordnung rechtmäßig versagt hat. 

Ministerium: Dublin III-VO vorrangig, Inkohärenz mit Bundesmaßnahmen

Das rot-rot-grün regierte Land Berlin wollte im Juni 2020 mit einem eigenen Programm 300 besonders schutzwürdige Flüchtlinge aus dem überfüllten (später durch einen Brand zerstörten) Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos aufnehmen. Dazu brauchte es grünes Licht vom Bundesinnenministerium (BMI), das damals von Horst Seehofer (CSU) geführt wurde. Das BMI lehnte die Erteilung des Einvernehmens im Juli 2020 ab, weil schon die Voraussetzungen für eine Landesaufnahmeanordnung nicht erfüllt seien und zudem die Bundeseinheitlichkeit nicht gewahrt werde. Das BMI argumentierte, dass § 23 Abs. 1 AufenthG keine Rechtsgrundlage für Kontingentaufnahmen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union bilde, sondern die Feststellung des humanitären Schutzbedarfs vor der Einreise voraussetze. Hielten sich Geflüchtete bereits in einem anderen Mitgliedstaat auf, komme dem unionsrechtlichen Aufnahmeinstrument der Dublin III-VO gegenüber nationalen Aufnahmen einzelner deutscher Länder der Vorrang zu. Die beabsichtigte humanitäre Aufnahme durch ein Land sei auch nicht kohärent mit den vom Bund selbst getroffenen Maßnahmen, so das Ministerium weiter. Dieser habe im Rahmen eines europäisch abgestimmten Vorgehens unter anderem für eine bestimmte Anzahl kranker Kinder und ihrer Familien die Zuständigkeit für die Durchführung der Asylverfahren übernommen, ohne diesen sofort eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Im Bereich der Außen- und Europapolitik komme dem Bund, der sich für ein auf europäischer Ebene koordiniertes Vorgehen entschieden habe, die alleinige Zuständigkeit zu.

BVerwG: Versagung des Einvernehmens rechtmäßig

Das bei verwaltungsrechtlichen Bund-Länder-Streitigkeiten in erster und letzter Instanz zuständige BVerwG hat die Klage des Landes Berlin abgewiesen. Die Versagung des Einvernehmens zu der Anordnung sei rechtmäßig gewesen. Das Aufenthaltsgesetz eröffne der obersten Landesbehörde mit der Befugnis zur gruppenbezogenen Aufnahme von Ausländern aus humanitären Gründen ein weites politisches Ermessen. Eine Aufnahmeanordnung bedürfe nach der mit dem Grundgesetz vereinbaren Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG indes zu ihrer Wirksamkeit des Einvernehmens des BMI.

Einvernehmen dient Wahrung der Bundeseinheitlichkeit

Die Entscheidung über das Einvernehmen diene der Wahrung der Bundeseinheitlichkeit und sei an diesem Zweck auszurichten, so die Leipziger Richter. Bundeseinheitlichkeit beziehe sich auf eine im Grundsatz einheitliche Behandlung der fraglichen Personengruppe im Bundesgebiet und ziele unter anderem auf die Verhinderung negativer Auswirkungen auf die anderen Länder oder den Bund. Dies berechtige das BMI im Grundsatz auch, ein koordiniertes Vorgehen aller oder mehrerer durch das Gemeinsame Europäische Asylsystem zusammengeschlossenen Mitgliedstaaten durch eine kohärente und einheitliche Vertretung der Bundesrepublik Deutschland zu befördern, so die BVerwG-Richter weiter. Habe der Bund in eigener Zuständigkeit Ausländer aus der fraglichen Gruppe aus denselben humanitären Gründen aufgenommen, dürfe er einem Landesaufnahmeprogramm zudem bei fehlender Kohärenz mit den eigenen, auf dieselbe Personengruppe bezogenen Maßnahmen das Einvernehmen verweigern. Bei der Bewertung der Erheblichkeit von Uneinheitlichkeiten im Einzelfall habe das BMI einen Beurteilungsspielraum, so das BVerwG.

Unterschiedliche Rechtstellung von Moria-Flüchtlingen

Nach diesen Grundsätzen konnte laut BVerwG eine Rechtswidrigkeit der Versagung des Einvernehmens nicht festgestellt werden, selbst wenn die unionsrechtlichen Vorschriften über Asylverfahren einschließlich der Zuständigkeitsregeln für deren Durchführung einer humanitären Landesaufnahme nicht von vornherein entgegenstanden hätten. Das BMI habe rechtsfehlerfrei auch darauf abgestellt, dass die Aufnahmeanordnung Berlins zu einer - grundlegend - unterschiedlichen Rechtsstellung von Personen aus demselben griechischen Flüchtlingslager im Bundesgebiet geführt hätte. Denn die vom Bund Aufgenommenen hätten lediglich eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung eines ergebnisoffenen Asylverfahrens erhalten. Das Berliner Programm hätte hingegen sofort zu zunächst auf drei Jahre befristeten Aufenthaltserlaubnissen geführt, ohne dass der Schutzbedarf auch in Bezug auf das jeweilige Herkunftsland zuvor geprüft worden wäre.

BVerwG, Urteil vom 15.03.2022 - 1 A 1.21

Redaktion beck-aktuell, 16. März 2022 (ergänzt durch Material der dpa).