BVerwG bestätigt unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen im Fährverkehr

Beim Fährverkehr zwischen Emden und Borkum handelt es sich um Nahverkehr im Sinne des Schwerbehindertenrechts. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 27.09.2018 entschieden. Menschen mit Behinderungen, die über einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "G" und eine erforderliche Wertmarke verfügen, stehe daher ein Anspruch auf unentgeltliche Beförderung zu (Az.: 5 C 7.17).

Streit um Begriff "Nahverkehr mit Wasserfahrzeugen"

Der Kläger ist als Schwerbehinderter anerkannt. Weil er wegen einer Einschränkung des Gehvermögens in seiner Bewegungsfreiheit erheblich beeinträchtigt ist, weist sein Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "G" auf. Die Fähren des beklagten Unternehmens verkehren auf der Verbindung zwischen Emden und Borkum mehrmals täglich in beide Richtungen. Der Kläger hat die Feststellung begehrt, dass ihm ein Anspruch auf unentgeltliche Nutzung dieser Fährverbindung zusteht. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Nahverkehr mit Wasserfahrzeugen sei nur dann anzunehmen, wenn es um die im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen gehe, wie etwa zu Schulen, Arbeitsstätten, Behörden oder zum Einkauf. Dazu zähle die über zweistündige Fahrt mit der Fähre nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat die Entscheidung des VG geändert und der Feststellungklage des Klägers stattgegeben.

BVerwG: Alltäglicher Verkehr keine Voraussetzung

Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Nahverkehr sei nach der gesetzlichen Regelung der öffentliche Personenverkehr mit Wasserfahrzeugen im Linien-, Fähr- und Übersetzverkehr, wenn dieser der Beförderung von Personen im Orts- und Nachbarschaftsbereich dient und Ausgangs- und Endpunkt innerhalb dieses Bereiches liegen, so das BVerwG. Den Nachbarschaftsbereich definiere das Gesetz als den Raum zwischen benachbarten Gemeinden, die, ohne unmittelbar aneinandergrenzen zu müssen, durch einen stetigen, mehr als einmal am Tag durchgeführten Verkehr wirtschaftlich und verkehrsmäßig verbunden sind. Dieser Definition ist nach Auffassung des BVerwG die Anforderung, dass es sich typischerweise um alltäglichen Verkehr handeln muss, nicht zu entnehmen.

BVerwG: Nachteilsausgleich für behinderte Menschen geht über Alltagsverkehr hinaus

Hinreichende Gründe für eine solche Einschränkung ergäben sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik oder dem Zweck des Gesetzes. Der mit der gesetzlichen Vergünstigung beabsichtigte Nachteilsausgleich für behinderte Menschen, die in ihrer Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt seien, sei nicht auf den Alltagsverkehr begrenzt, sondern gehe darüber hinaus. Die benachbarten Gemeinden seien durch den Fährverkehr auch wirtschaftlich miteinander verbunden. Nach den Feststellungen des OVG, an die das BVerwG gebunden sei, nutzten sowohl die Bewohner der Insel Borkum als auch Touristen, welche die Insel kurzzeitig besuchen oder dort ihren Urlaub verbringen, die Fähren und es würden zur Versorgung der Insel erforderliche Waren und Güter über diese Fährverbindung transportiert.

BVerwG, Urteil vom 27.09.2018 - 5 C 7.17

Redaktion beck-aktuell, 28. September 2018.

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