Schichtsystem des Neyman-Tschuprow-Verfahrens
Die Grundlage für die Dienstleistungsstatistik ermitteln die Statistischen Landesämter durch jährliche bundesweite Befragung von höchstens 15% der Unternehmen und freiberuflich tätigen Einrichtungen aus dem Dienstleistungssektor zu deren wirtschaftlicher Tätigkeit. Die von der Erhebung betroffenen Unternehmen werden nach einem mathematisch-statistischen Verfahren (Neyman-Tschuprow-Verfahren) ausgewählt. Dabei werden alle potenziell auskunftspflichtigen Unternehmen zunächst nach Bundesland, Wirtschaftszweig und Umsatzgröße in Gruppen (Schichten) eingeteilt. Aus jeder dieser Schichten werden sodann auskunftspflichtige Unternehmen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt.
In manchen Schichten werden alle Unternehmen befragt
Nach dem von den Behörden gewählten mathematisch-statistischen Verfahren kann es in besonders kleinen und heterogenen Schichten geschehen, dass alle Unternehmen dieser Schicht zur Auskunft herangezogen werden (Totalschicht). Eine greifbare Chance auf Nichtheranziehung in Zukunft besteht für diese Unternehmen dann nicht.
Behörde hält jährliche Heranziehung in Totalschicht für ermessensfehlerfrei
Beide Kläger, eine Baugenossenschaft und eine Rechtsanwaltskanzlei, gehören einer sogenannten Totalschicht an. Infolgedessen sind sie in der Vergangenheit regelmäßig jährlich verpflichtet worden, ihre Unternehmensdaten an die Statistischen Landesämter zu übermitteln. Die Statistischen Landesämter halten dieses Vorgehen für ermessenfehlerfrei. Es beruhe auf einem anerkannten mathematisch-statistischen Verfahren, das im Rahmen des vorgegebenen Stichprobenumfangs von 15% der Dienstleistungsunternehmen eine optimale Ergebnisgenauigkeit sicherstelle. Während das OVG Bautzen der dortigen Klage stattgab (in BeckRS 2016, 54611), hatte die Klage vor dem OVG Koblenz (in BeckRS 2016, 41319) keinen Erfolg.
BVerwG: Zu starker Fokus auf möglichst genaue Ergebnisse
Das BVerwG hat die stattgebende Entscheidung des OVG Bautzen (Az.: 8 C 9.16) bestätigt und das gegenteilige Urteil des OVG Koblenz geändert (Az.: 8 C 6.16). Die Statistischen Landesämter hätten bei der Auswahl der beiden Unternehmen das ihnen eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Der Zweck der Ermessensermächtigung bestehe bei einer Stichprobenerhebung in der Erzielung repräsentativer, das heißt für den Erhebungszweck (noch) hinreichend genauer statistischer Ergebnisse. Dabei komme den Statistikbehörden zwar ein fachwissenschaftlicher Beurteilungsspielraum für die Frage zu, welchen Grad an Genauigkeit die erzielten statistischen Ergebnisse erreichen müssen. Die Behörden hätten in den konkreten Fällen hierzu jedoch keine fachwissenschaftlich begründete Festlegung getroffen, sondern entgegen dem Zweck der Ermessensermächtigung das Auswahlverfahren allein auf die Erzielung möglichst genauer Ergebnisse ausgerichtet.
Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Darin liegt laut BVerwG zugleich ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, nämlich gegen das Gebot der Erforderlichkeit. Danach ist bei Stichproben dasjenige Auswahlverfahren anzuwenden, bei dem repräsentative Ergebnisse mit der geringstmöglichen Belastung der Auskunftspflichtigen erzielt werden können.
Auch allgemeiner Gleichheitssatz verletzt
Darüber hinaus verstößt das von den Statistischen Landesämtern ausgeübte Auswahlermessen nach Ansicht der Bundesrichter gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Dieser fordere für das Auswahlverfahren bei statistischen Stichprobenerhebungen, dass die Belastung gleichmäßig auf die auskunftspflichtigen Unternehmen verteilt wird, soweit der Zweck der Erzielung repräsentativer Ergebnisse dies zulässt. Das von den Statistischen Landesämtern angewandte Auswahlverfahren mit dem Ziel einer optimalen Ergebnisgenauigkeit führe hingegen zu einer über die Jahre anwachsenden und nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Unternehmen, die einer Totalschicht angehören, gegenüber solchen Unternehmen, die einer regelmäßig rotierenden Schicht zugeordnet seien.