Nur eigenes Aufenthaltsrecht eines Kindes kann für Elternteil aus Drittstaat wirken

Dem drittstaatsangehörigen Elternteil eines Kindes, das die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats besitzt, kann ein vom Kind abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht aus Art. 21 AEUV (Freizügigkeitsrecht) nur zustehen, wenn das Kind ein eigenes und nicht nur vom anderen Unionsbürgerelternteil abgeleitetes Freizügigkeitsrecht im Aufnahmemitgliedstaat hat. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit Urteil vom 23.09.2020 entschieden.

Kosovarischer Vater eines Unionsbürgerkindes beanspruchte abgeleitetes Aufenthaltsrecht

Der Kläger, ein kosovarischer Staatsangehöriger, ist Vater eines im Juli 2017 geborenen Kindes, das über seine Mutter, mit der der Kläger zusammenlebt, die ungarische Staatsangehörigkeit besitzt. Das Sorgerecht für das Kind wird von den Eltern gemeinsam ausgeübt. Nach der Geburt des Kindes hat der Kläger erfolglos die Ausstellung einer Aufenthaltskarte als Familienangehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerkindes entsprechend § 5 Abs. 1 FreizügG/EU beantragt.

VGH verwies Kläger auf Geltendmachung humanitärer Aufenthaltserlaubnis

Die vor dem Verwaltungsgericht zunächst erfolgreiche Klage hatte in zweiter Instanz der Verwaltungsgerichtshof abgewiesen. Ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zugunsten des drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers bestehe grundsätzlich nur, wenn es erforderlich sei, damit der Unionsbürger (hier das Kind) sein Recht auf Freizügigkeit wirksam ausüben könne. Hierzu gehöre zwar auch ein familiäres Zusammenleben im Aufnahmemitgliedstaat. Ein aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht sei aber nicht geboten, wenn das Familienleben auch durch Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels, hier einer humanitären Aufenthaltserlaubnis (§ 25 Abs. 5 AufenthG), erreicht werden könne. Eine solche habe der Kläger zwar nie beantragt, deren Erteilung habe die Ausländerbehörde aber zugesagt. Nachdem der Kläger inzwischen die Kindesmutter geheiratet hat und ihm daraufhin eine Aufenthaltskarte ausgestellt worden ist, begehrt er nur noch die gerichtliche Feststellung, dass ihm ein von seinem Kind abgeleitetes Aufenthaltsrecht zugestanden habe.

BVerwG weist Verfahren zur erneuten Entscheidung zurück

Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verfahren zur erneuten Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Art. 21 AEUV schütze das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit und vermittele nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Familienangehörigen eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers auch in bestimmten Fallkonstellationen, die nicht unmittelbar von der Richtlinie 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie) erfasst würden, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht.

Aufenthalt kann nur von aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigtem Kind abgeleitet werden

Berufe sich ein Drittstaatsangehöriger auf ein aus der Freizügigkeitsgarantie für Unionsbürger nach Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht zur Führung eines normalen Familienlebens in einem anderen EU-Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, müsse die Referenzperson, von der er das Recht ableitet (hier das Kind) im Aufnahmemitgliedstaat aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt sein. Ein lediglich vom anderen Elternteil (hier der Mutter) abgeleitetes Freizügigkeitsrecht des Kindes reiche hierfür nicht. Ein eigenes Aufenthaltsrecht des Kindes bestehe nur, wenn ausreichende Existenzmittel zur Verfügung stünden (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b Unionsbürgerrichtlinie).

VGH muss Vorliegen tatsächlicher Voraussetzungen prüfen

Außerdem müsse der drittstaatsangehörige Elternteil nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in dieser Fallkonstellation für ein aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht auch tatsächlich für das Kind sorgen. Die hierzu erforderlichen Feststellungen seien vom Berufungsgericht im zurückverwiesenen Verfahren zu treffen. Ein unmittelbar aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Familienangehörigen sei ein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht, dem die Möglichkeit der Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels nicht entgegensteht.

BVerwG, Urteil vom 23.09.2020 - 1 C 27.19

Redaktion beck-aktuell, 24. September 2020.