Wer­muts­trop­fen bei Wind­ener­gie­aus­bau: BVer­wG hin­ter­fragt Kom­pen­sa­ti­ons­re­ge­lun­gen
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Wer Wind­rä­der baut, muss den Nach­teil für die Land­schaft in der Um­ge­bung aus­glei­chen. Wie das ge­sche­hen soll, re­geln bis­lang die Län­der. Doch deren Aus­gleichs­mo­del­le ste­hen nach einer Ent­schei­dung des BVer­wG nun auf der Kippe, er­klärt Thor­ben Fech­ler.

Mo­der­ne Wind­ener­gie­an­la­gen über­ra­gen in­zwi­schen mit Höhen um die 260 Meter (Turm und Flü­gel) den Com­merz­bank-Tower in Frank­furt am Main oder den Düs­sel­dor­fer Rhein­turm. Sie sind auf Grund ihrer Größe und der stei­gen­den An­zahl zu­neh­mend in der Land­schaft wahr­nehm­bar. Daher, so sieht es der Ge­setz­ge­ber vor, müs­sen Ein­grif­fe in das Land­schafts­bild durch den zu­neh­men­den Aus­bau der Wind­ener­gie im Ein­zel­nen kom­pen­siert wer­den.

Mit sei­ner jüngs­ten Ent­schei­dung stellt das BVer­wG (Ur­teil vom 12.09.2024 – 7 C 3.23 u. a.) die dies­be­züg­li­chen Lan­des­re­ge­lun­gen und die jah­re­lang ge­üb­te Ver­wal­tungs­pra­xis in Frage. In der Folge wer­den Pro­jek­tie­ren­de und Be­hör­den zu­künf­tig wohl we­sent­li­chem Mehr­auf­wand aus­ge­setzt sein. Die Ent­schei­dung des BVer­wG könn­te zudem auf wei­te­re Vor­ha­ben­ka­te­go­ri­en der En­er­gie­wen­de, wie etwa den Netz­aus­bau, durch­schla­gen.

Wie schüt­zen wir blü­hen­de Land­schaf­ten?

Land­schafts­schutz zielt auf den Schutz der Viel­falt, Ei­gen­art und Schön­heit sowie des Er­ho­lungs­wer­tes der Land­schaft ab, heißt es in § 1 Ab­satz 1 Nr. 3 BNatSchG. Schön­heit liegt be­kann­ter­ma­ßen im Auge des Be­trach­ters. Der Land­schafts­schutz wird daher durch die je­wei­li­gen na­tur­schutz­fach­li­chen Ein­schät­zun­gen der zu­stän­di­gen Be­hör­den kon­kre­ti­siert. Zwar dürf­ten die meis­ten Land­schafts­be­stand­tei­le be­reits mensch­lich und teil­wei­se auch tech­no­gen be­ein­flusst sein. Gleich­wohl stellt die Er­rich­tung von Wind­ener­gie­an­la­gen auch wei­ter­hin einen Ein­griff in das Land­schafts­bild dar. Dies gilt auch, wenn Re­gio­nen be­reits einen er­heb­li­chen Aus­bau der Wind­ener­gie er­fah­ren haben. Sol­che Ein­grif­fe sind nach § 13 Satz 1 BNatSchG grund­sätz­lich zu ver­mei­den.

Gleich­wohl dürf­te eben­so un­strei­tig sein, dass die Be­ein­träch­ti­gun­gen des Land­schafts­bil­des durch den Aus­bau der Wind­ener­gie nicht ver­meid­bar sind. Das Ver­mei­dungs­ge­bot ver­langt weder den Ver­zicht auf das Vor­ha­ben noch die Prü­fung von Stand­ort­al­ter­na­ti­ven. Pro­jek­tie­ren­de sind le­dig­lich dazu ver­pflich­tet, Vor­ha­ben in einer mög­lichst scho­nen­den Art und Weise zu rea­li­sie­ren. Zudem wird der Land­schafts­schutz durch die ak­tu­el­le Be­schleu­ni­gungs­ge­setz­ge­bung kon­kre­ti­siert. So kann Wind­ener­gie­vor­ha­ben der Land­schafts­schutz nicht als Hin­de­rungs­grund ent­ge­gen­ge­hal­ten wer­den, § 26 Ab­satz 3 BNatSchG.

Sind die Ein­grif­fe in die Land­schaft also not­wen­dig, so sieht § 13 Satz 2 BNatSchG vor, dass sie kom­pen­siert wer­den müs­sen. Das soll vor­ran­gig durch Aus­gleichs- oder Er­satz­maß­nah­men ge­sche­hen, mit denen das Land­schafts­bild in gleich­ar­ti­ger, bzw. gleich­wer­ti­ger Weise wie­der­her­ge­stellt oder neu­ge­stal­tet wird – Nä­he­res dazu re­gelt § 15 BNatSchG. Nur, wenn sol­che Maß­nah­men nicht mög­lich sind, kön­nen Wind­ener­gie­fir­men die Land­schafts­ein­grif­fe mit Geld kom­pen­sie­ren. Diese Er­satz­zah­lun­gen sind zweck­ge­bun­den und sol­len für ge­eig­ne­te Maß­nah­men des Na­tur­schut­zes ver­wen­det wer­den.

Mit wei­nen­dem Auge – BVer­wG kippt jah­re­lan­ge Ver­wal­tungs­pra­xis

Die Klä­ge­rin­nen im Ver­fah­ren, das nun vor dem BVer­wG an­ge­kom­men war, be­trei­ben ins­ge­samt fünf Wind­ener­gie­an­la­gen in Bran­den­burg und wen­de­ten sich da­ge­gen, Er­satz­zah­lun­gen für den Bau ihrer An­la­gen leis­ten zu müs­sen. Dazu be­rie­fen sie sich auf den bun­des­recht­li­chen Vor­rang der Aus­gleichs­maß­nah­men vor Er­satz­geld­zah­lun­gen. Hier­zu muss man wis­sen: § 15 Ab­satz 7 BNatSchG sieht eine Ver­ord­nungs­kom­pe­tenz zur Fest­le­gung von Ein­zel­hei­ten von In­halt, Art und Um­fang von Aus­gleichs- und Er­satz­maß­nah­men sowie der Höhe der Er­satz­zah­lung und das Ver­fah­ren zu ihrer Er­he­bung vor. Nach wie vor hat der Bund von der Ver­ord­nungs­kom­pe­tenz des § 15 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG zu­min­dest für Vor­ha­ben in Zu­stän­dig­keit der Län­der kei­nen Ge­brauch ge­macht. Somit gel­ten grund­sätz­lich – so­weit vor­han­den – die län­der­spe­zi­fi­schen Be­stim­mun­gen zur Kom­pen­sa­ti­on von Ein­grif­fen in das Land­schafts­bild durch Wind­ener­gie­an­la­gen auf Grund­la­ge der je­wei­li­gen Lan­des­na­tur­schutz­ge­set­ze.

Für die Er­rich­tung von Wind­ener­gie­an­la­gen sahen die Klä­ge­rin­nen un­ter­schied­li­che Kom­pen­sa­ti­ons­maß­nah­men vor. Sie schlu­gen vor, ei­ni­ge leer­ste­hen­de Stall­ge­bäu­de in ei­ni­ger Ent­fer­nung zu den An­la­gen ab­zu­rei­ßen und zu­sätz­lich Ge­höl­ze und He­cken an­zu­pflan­zen. Dem­ge­gen­über sieht das Land Bran­den­burg im Rah­men des "Kom­pen­sa­ti­ons­er­las­ses Wind­ener­gie" je­doch vor, dass aus­schlie­ß­lich der Rück­bau ver­gleich­ba­rer Bau­wer­ke eine Re­al­kom­pen­sa­ti­on er­mög­li­che und im Üb­ri­gen eine Er­satz­geld­leis­tung er­for­der­lich werde. Somit be­stand das Land letzt­lich auf einem mo­ne­tä­ren Aus­gleich. Die Klä­ge­rin­nen mein­ten da­ge­gen, das Land habe sich dabei nicht hin­rei­chend mit der Mög­lich­keit zur Re­al­kom­pen­sa­ti­on be­fasst.

OVG: Kein hin­rei­chen­der Zu­sam­men­hang zwi­schen Ein­griff und Aus­gleichs­maß­nah­men

In ers­ter In­stanz (OVG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 31.03.2023 – 3a A 37/23 u. a.) wur­den die Kla­gen der Wind­ener­gie­be­trei­be­rin­nen zu­nächst noch ab­ge­wie­sen. So be­stä­tig­te das OVG die Ent­schei­dun­gen der Be­hör­de, dass die vor­ge­se­he­nen Maß­nah­men eben nicht dazu ge­eig­net seien, den Ein­griff aus­zu­glei­chen. Das Ge­richt war der Mei­nung, dass es an einem hin­rei­chen­den Zu­sam­men­hang zwi­schen Ein­griff und ge­plan­ten Maß­nah­men fehle.

Das BVer­wG hob die Ent­schei­dung des OVG nun auf und ver­wies die Sache noch ein­mal ans OVG zu­rück. Laut Mit­tei­lung des Ge­richts lege das OVG mit sei­ner Ar­gu­men­ta­ti­on einen recht­li­chen Maß­stab zu­grun­de, der über die An­for­de­run­gen des BNatSchG und die hier­zu er­gan­ge­ne Recht­spre­chung des BVer­wG hin­aus­ge­he. So komme bei Wind­ener­gie­an­la­gen nicht von vorn­her­ein nur der Rück­bau von ver­gleich­ba­ren Mas­ten und Hoch­bau­ten in Be­tracht. Viel­mehr seien auch Maß­nah­men her­an­zu­zie­hen, die auf an­de­rem Wege den Land­schafts­wert in dem be­trof­fe­nen Na­tur­raum stei­gern. Es ist somit nicht aus­ge­schlos­sen, dass die von den Klä­ge­rin­nen vor­ge­se­he­nen Maß­nah­men eine zu­min­dest teil­wei­se gleich­wer­ti­ge Wi­der­her­stel­lung oder Neu­ge­stal­tung dar­stell­ten.

Län­der müs­sen ihre Vor­schrif­ten nun prü­fen

Die Ent­schei­dung des BVer­wG stellt die viel­fach gel­ten­den lan­des­recht­li­chen Re­ge­lun­gen und damit die lang­jäh­ri­ge Ver­wal­tungs­pra­xis in Frage. Lan­des­sei­tig wer­den häu­fig Er­satz­geld­re­ge­lun­gen in (Kom­pen­sa­ti­ons-)Ver­ord­nun­gen be­zie­hungs­wei­se in den je­wei­li­gen Wind­ener­gie­er­las­sen nor­miert. In Bezug auf Ein­grif­fe in das Land­schafts­bild ent­hal­ten die lan­des­recht­li­chen Be­stim­mun­gen zu­meist quan­ti­fi­zier­te Aus­gleichs­sum­men im Sinne von Er­satz­geld­zah­lun­gen. Neben den ent­spre­chen­den Re­ge­lun­gen des Lan­des Bran­den­burg ent­hal­ten die lan­des­recht­li­chen Re­ge­lun­gen viel­fach ver­gleich­ba­re An­nah­men, die Er­satz­maß­nah­men auf den Rück­bau ma­st­ar­ti­ger oder ver­gleich­ba­rer Struk­tu­ren be­schrän­ken. Auch haben ei­ni­ge Län­der ent­spre­chen­de Re­ge­lun­gen für wei­te­re Vor­ha­ben­ka­te­go­ri­en, wie bei­spiels­wei­se Frei­lei­tungs­vor­ha­ben im Rah­men des Strom­netz­aus­baus, ein­ge­führt und auf ver­gleich­ba­re Prä­mis­sen ge­fu­ßt.

In der Pra­xis führ­te dies bis­her dazu, dass Pro­jek­tie­ren­de mit re­la­tiv wenig Auf­wand Ein­grif­fe in das Land­schafts­bild kom­pen­sie­ren konn­ten. Auf Grund der lan­des­recht­li­chen Re­ge­lun­gen war es nicht er­for­der­lich, in der Pro­jek­tie­rungs­pha­se ge­eig­ne­te Maß­nah­men zu iden­ti­fi­zie­ren und ding­lich zu si­chern. Auch die Ge­neh­mi­gungs­be­hör­den waren nicht ge­hal­ten, eine de­tail­lier­te Be­wer­tung der Ge­eig­net­heit von Maß­nah­men­vor­schlä­gen durch­zu­füh­ren. Man darf also davon aus­ge­hen, dass die Ent­schei­dung des BVer­wG an die­ser Stel­le einen er­heb­li­chen Ein­fluss auf die Ver­fah­rens­dau­er und den fi­nan­zi­el­len und per­so­nel­len Auf­wand bei Be­hör­den und Pro­jek­tie­ren­den hat.

Zudem wer­den die Län­der kurz­fris­tig ihre Re­ge­lun­gen prü­fen und ge­ge­be­nen­falls an­pas­sen müs­sen; auch die Bun­des­kom­pen­sa­ti­ons­ver­ord­nung für Vor­ha­ben in Zu­stän­dig­keit des Bun­des, wie bei­spiels­wei­se die Vor­ha­ben des Strom­netz­aus­baus in Zu­stän­dig­keit der Bun­des­netz­agen­tur, ent­hält ent­spre­chen­de Re­ge­lun­gen. Erst die Ur­teils­be­grün­dung wird er­ge­ben, wel­che kon­kre­ten Maß­stä­be das BVer­wG hier an die Ge­eig­net­heit von Maß­nah­men stellt. Auch wird sich zei­gen müs­sen, in­wie­weit die Ent­schei­dung den Län­dern bei der Kon­kre­ti­sie­rung des Ein­griff-Kom­pen­sa­ti­on-Re­gimes wei­ter­hin einen Re­ge­lungs­spiel­raum sowie ein ge­wis­ses Ab­wei­chungs­recht zu­ge­steht.

Sorgt der Bund für Klar­heit?

De lege fe­ren­da könn­te man durch ent­spre­chen­de spe­zi­al­ge­setz­li­che Re­ge­lung bei­spiels­wei­se im BNatSchG kurz­fris­tig Ab­hil­fe schaf­fen. In wel­chem zeit­li­chen Rah­men der Bund hin­ge­gen von der Ver­ord­nungs­kom­pe­tenz zur bun­des­ein­heit­li­chen Re­ge­lung Ge­brauch ma­chen kann, ist je­den­falls auf Grund des bis­he­ri­gen Wi­der­stan­des der Län­der frag­lich. Ge­ge­be­nen­falls er­gibt sich auf Grund der Ent­schei­dung des BVer­wG ein er­neu­ter An­stoß, nun eine bun­des­ein­heit­li­che Kom­pen­sa­ti­ons­re­ge­lung zu er­ar­bei­ten. Dabei müss­te es ge­lin­gen, den un­ter­schied­li­chen Ge­ge­ben­hei­ten in den je­wei­li­gen Län­dern in Bezug auf den Aus­gleich die­ser Ein­grif­fe ge­recht zu wer­den und gleich­zei­tig Ver­zö­ge­run­gen in den Ge­neh­mi­gungs­ver­fah­ren zu ver­mei­den. 

Auch die Grund­la­ge für die An­knüp­fungs­punk­te der Kom­pen­sa­ti­ons­hö­he wird sich nun än­dern müs­sen. So konn­te unter der Prä­mis­se, dass Aus­gleichs- und Er­satz­maß­nah­men nicht zur Ver­fü­gung ste­hen, bis­her le­dig­lich auf die Schwe­re und Dauer des Ein­griffs sowie die er­wach­sen­den Vor­tei­le für den Ver­ur­sa­cher ab­ge­stellt wer­den. Vor­dring­lich muss sich die Er­satz­geld­hö­he je­doch aus den ver­gleich­ba­ren Kos­ten für ent­spre­chen­de Maß­nah­men er­ge­ben. Nun bleibt zu klä­ren, wel­che Kos­ten hier­für an­ge­setzt wer­den kön­nen.

Ein Hoff­nungs­zei­chen ist, dass Deutsch­land wohl zwi­schen den Jah­ren 2035 und 2045 die Ziele des Aus­baus der Wind­ener­gie er­rei­chen wird. Mit der Le­bens­lauf­zeit von Wind­ener­gie­an­la­gen kann damit wohl zu­künf­tig ver­mehrt der Rück­bau alter Wind­ener­gie­an­la­gen als Kom­pen­sa­ti­on für die Er­rich­tung neuer Wind­ener­gie­an­la­gen in Abzug ge­bracht wer­den.

Der Autor Thor­ben Fech­ler ist Re­fe­rent für Er­neu­er­ba­re En­er­gi­en im Mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft, In­dus­trie, Kli­ma­schutz und En­er­gie des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len. Er ist seit knapp zehn Jah­ren mit en­er­gie­wirt­schaft­li­chem Pla­nungs- und Ge­neh­mi­gungs­recht be­fasst.

Der Bei­trag spie­gelt aus­schlie­ß­lich die Sicht­wei­se des Au­tors wider.

BVerwG, Urteil vom 12.09.2024 - 7 C 3.23

Gastbeitrag von Thorben Fechler, 13. September 2024.

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