Für die Polizei in NRW ist gesetzlich geregelt, dass es ohne Abzüge mit 62 Jahren in den Ruhestand geht. Das unterbieten in NRW nur die bis 1968 geborenen Beamtinnen und Beamte der Feuerwehren, die unabhängig vom Dienst noch mit 60 Jahren als reif für den Ruhestand angesehen werden. Hinzu kommt für die Polizeibeamtinnen und -beamten noch ein weiterer Nachlass: Leistete man zuvor mindestens 25 Jahre Dienst in Wechselschicht, gibt es nach § 114 LBG NRW einen Bonus für die körperlichen Belastungen und der Ruhestand ist schon mit 61 Jahren möglich.
Für die besondere Altersgrenze im Polizeivollzugsdienst hat die Elternzeit allerdings nach Ansicht des BVerwG keine Auswirkungen, wie die Leipziger Richterinnen und Richter am Donnerstag entschieden (Urteil vom 26.06.2025 – 2 C 15.24). Fällt also eine Elternzeit in die Zeit im Wechselschichtdienst, wird sie für die erforderlichen 25 Jahre nicht berücksichtigt. Die Entscheidung wirkt sich zwar in NRW nur für die Polizei aus, ist aber auch in den anderen Bundesländern relevant.
OVG legte Beamtengesetz unionsrechtskonform aus
Die klagende Polizistin hatte sich schon mit 55 Jahren um die Feststellung der für sie geltenden Altersgrenze bemüht. Rund zweieinhalb Jahre Elternzeit sollten anerkannt werden. Nur für diese hatte sie den Wechselschichtdienst unterbrochen. Sie sah sich nach § 69 LBG NRW benachteiligt, da kein sachlicher Grund rechtfertige, die Elternzeit nicht anzurechnen. Frauen hätten es so erheblich schwerer, die Schwelle von 25 Jahren zu erreichen, und würden daher mittelbar benachteiligt. Dies verstoße auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 3 GG.
In der ersten Instanz hielt das VG Köln der Beamtin den Wortlaut des § 69 LBG NRW entgegen. Das Benachteiligungsverbot erstrecke sich nur auf das "berufliche Fortkommen". Die mögliche Vorverlagerung des Ruhestands könne davon nicht erfasst sein. Fortkommen meine eben eine berufliche Weiterentwicklung etwa im Sinne einer Beförderung und nicht das Ende des aktiven Dienstes. Insbesondere rechtfertige der Zweck des § 114 Abs. 2 LBG NRW die Entscheidung des Dienstherrn. Die Regelung zur Vorverlagerung des Ruhestands im Bereich der Polizei kompensiere die lange körperliche Belastung durch den Wechselschichtdienst. Eine solche Belastung sei während der Elternzeit – jedenfalls dienstlich – gar nicht vorhanden. Zur Elternzeit führe immer eine freie Entscheidung. Durch freie Planung und das eigene tradierte Rollenverständnis könne eben nicht per se eine nachteilige Situation für Frauen angenommen werden.
Dem folgte das OVG NRW indes nicht. Zwar konnte auch nach Ansicht des OVG weder direkt über § 114 Abs. 2 LBG NRW, noch über das Benachteiligungsverbot des § 69 LBG NRW ein Anspruch der Beamtin auf Anrechnung hergeleitet werden. Da in der Elternzeit die Freistellung zur Beschäftigungslosigkeit führe, sei der direkte Weg über § 114 Abs. 2 LBG NRW nicht möglich. Und auch das OVG NRW sah schon eine Benachteiligung im "beruflichen Fortkommen" nicht gegeben. Das Gericht bemühte aber schließlich das Unionsrecht und bestätigte über eine Auslegung des § 114 Abs. 2 LBG NRW im Lichte der Vereinbarkeitsrichtlinie die Anrechnung.
OVG: Elternzeit keineswegs "freiwillig"
Wenngleich das OVG damit offenlassen konnte, ob die gesundheitlichen Belastungen als "zwingende Gründe" eine Benachteiligung rechtfertigen könnten, sind seine Ausführungen dazu interessant: Zwingend könne eine sachliche Ungleichbehandlung für Elternzeiten aber schon deshalb nicht sein, weil bei Urlaubs- oder Krankenzeiten, die den Wechselschichtdienst unterbrechen, anders verfahren werde, meinte das Gericht. Auch die Mutterschutzzeit wird angerechnet. Dem Hinweis des Landes, dass die Elternzeit aber doch "freiwillig" beantragt werde, zwingt nach Ansicht des OVG NRW nicht zu einer Ungleichbehandlung. Elternzeit sei für einen gewissen Zeitraum alternativlos. Die Kinderbetreuung in NRW oder aber die Entscheidung, das Kind zu stillen, lasse die Annahme von Freiwilligkeit nicht zu. Zudem müsse auch berücksichtigt werden, dass keine Reduzierung der Anrechnungszeiten proportional zu einer etwaigen Teilzeitbeschäftigung erfolge. Zwingende sachliche Gründe seien daher nicht gegeben.
Der Pressemitteilung des BVerwG ist hier eine andere Einordnung zu entnehmen. Mit der "zwingenden Regelung" des § 114 Abs. 2 LBG NRW trage der Gesetzgeber in NRW der vorzeitigen Abnahme der Leistungsfähigkeit Rechnung, die typischerweise nach langjährigem Wechselschichtdienst wegen der damit verbundenen gesundheitlichen Belastungen eintrete, so die Leipziger Richterinnen und Richter. Auch unionsrechtliche Vorgaben – insbesondere die Vereinbarkeitsrichtlinie, auf welche sich das OVG bezogen hatte – würden keine Anrechnung von Elternzeit gebieten.
In der Begründung hatte sich das OVG NRW insbesondere auf Art. 10 Abs. 2 RL 2019/1158/EU bezogen. Die Richtlinie sichert Arbeitnehmenden nach einem Urlaub im Sinn der Richtlinie eine Rückkehr an den Arbeitsplatz und den Genuss aller Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu, auf die sie Anspruch gehabt hätten, wenn sie den Urlaub nicht genommen hätten. Entsprechend der Rechtsprechung des EuGH ist diese für Arbeitnehmende geschaffene Regelung für Beamtinnen und Beamte anwendbar. Urlaub im Sinn der Richtlinie ist gerade auch Elternzeit.
Bei Kleinkindern 45% Frauen und 3% Männer in Elternzeit
Mit der Rückkehr aus dem Elternurlaub in den Wechselschichtdienst sind nach Ansicht des OVG NRW also auch die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu gewähren, die ohne die Elternzeit bestünden. Die Regelung zur möglichen Verringerung der Altersgrenze falle daher unter den Begriff der "Arbeitsbedingungen". Dies folge aus dem Wortlaut und insbesondere aus den Zielen der Regelung. Es sei Ausdruck der besonderen Bedeutung des Sozialrechts der Union für die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen. Um dem zur Geltung zu verhelfen, müsse eine gerechte Aufteilung der Betreuungsaufgaben ermöglicht werden.
Im Sinne dieser nun für das BVerwG nicht erforderlichen unionsrechtskonformen Auslegung sind für das OVG NRW unter den Beschäftigungsbedingungen eben auch die "Entlassungsbedingungen" zu sehen, die mit der Verringerung der Altersgrenze verbunden sind. Dies hatte der EuGH etwa für die Bestimmung von Kündigungsfristen im Arbeitsverhältnis entschieden. Den Weg über eine nationale, verfassungskonforme Auslegung über Art 3 Abs. 3 GG musste das OVG NRW nicht gehen. Das BVerwG äußert sich dazu in der Pressemitteilung nicht.
Klar stellte das OVG NRW jedoch, dass die Realität der Elternzeit nicht geschlechtsneutral ist. Natürliche und gesellschaftliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern wirkten sich statistisch ganz überwiegend zum Nachteil von Frauen aus. In seiner Entscheidung verwies das OVG NRW dazu auf die Zahlen aus dem Jahr 2022. Bei Kindern unter sechs Jahren waren 25% der Frauen und nur 2% der Männer in Elternzeit und bei Kindern unter drei Jahren lagen die Zahlen sogar bei 45% Frauen zu 3% Männern. Dies führe zu einer mittelbaren Ungleichbehandlung, denn Frauen müssten im Schnitt rund 21 Monate aufholen, meinte das Gericht.
In vielen Aspekten wird das BVerwG dies nun in seinen Urteilsgründen, die gegenwärtig noch nicht vorliegen, anders einordnen müssen. Die Entscheidung irritiert jedoch vor dem Hintergrund der so deutlichen Auslegungsdogmatik des OVG NRW. Die Begründung des Senats gegen die Vereinbarkeitsrichtlinie wird also spannend.
BVerwG setzt Zeichen gegen Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Die Entscheidung des BVerwG zur Elternzeit verhindert nun positive Effekte auf die Entscheidung zur Elternzeit von Polizistinnen und Polizisten in NRW und ebenso von Beamtinnen und Beamten anderer Bundesländer im Wechselschichtdienst. Natürlich wirkt sich Elternzeit für alle Beamtinnen und Beamte im Ruhestand positiv auf das Ruhegehalt aus. Die Kindererziehungszeiten können für Zuschläge angeführt werden, die eine finanzielle Benachteiligung mildern.
Bundeskanzler Merz will, dass wir alle länger und flexibler arbeiten, und zugleich wird in der Politik die Regelaltersgrenze für die Rente heiß diskutiert. Der Senat stärkt mit seiner Entscheidung nun zwar die Argumente für einen früheren Ruhestand bei Belastung von Wechselschichtdienst. Zugleich setzt er aber ein Zeichen gegen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Klägerin könnte dies nun mit der Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe prüfen lassen.
Der Gesetzgeber in NRW hat indes zu entscheiden, ob wirklich nur Polizistinnen und Polizisten von einer niedrigeren Altersgrenze durch den Wechselschichtdienst profitieren sollen. Wenn das BVerwG die körperlichen Belastungen betont, wäre hier eine Angleichung an die schon in anderen Bundesländern gegebenen Regelungen für die Bereiche der Feuerwehr und des Justizvollzugsdiensts geboten.
Die Autorin Sarah Nußbaum ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Verwaltungsrecht in der Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf. Sie ist spezialisiert auf das öffentliche Dienstrecht – insbesondere das Beamten-, Disziplinar- und Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst.