Ob der Jurastudent, der sich 2018 für die staatliche Pflichtfachprüfung im Ersten Staatsexamen angemeldete, damals schon genug vom Prozessrecht verstand, um zu ermessen, dass das Prozessrecht ihm sein Examen retten würde, ist nicht bekannt.
Es ging um alles für ihn, als er im August 2018 antrat, es war der Wiederholungsversuch. Mehr als fünf Jahre später steht nun fest, dass er bestanden hat. Das bestätigte das BVerwG mit einem jetzt veröffentlichten Urteil aus Dezember 2023. Die Leipziger Richterinnen und Richter wiesen die Nichtzulassungsbeschwerde des Landesjustizprüfungsamts (LJPA) gegen ein Urteil des OVG Münster zurück. Der Bescheid, mit dem das LJPA die staatliche Pflichtfachprüfung des Wiederholungskandidaten für nicht bestanden erklärt hatte, ist damit aus der Welt.
Das OVG hatte dem klagenden Examenskandidaten Recht gegeben und den Bescheid des Prüfungsamts aufgehoben. Das LJPA hatte zuvor den staatlichen Teil des Examens für nicht bestanden erklärt, weil der Examenskandidat getäuscht habe (§ 22 Abs. 1 JAG NRW): Tatsächlich habe nicht er selbst, sondern sein Zwillingsbruder alle sechs Klausuren für ihn geschrieben, so die Begründung. Das LJPA zog einen Sachverständigen hinzu, der die Schriftproben der Brüder auswertete. Allerdings kam der Experte nun zu einem Ergebnis, das bis dahin noch niemand auf dem Zettel hatte: Weder der Examenskandidat noch sein Zwillingsbruder hätten die Klausuren geschrieben, hieß es nun.
Der unsichtbare Dritte ist auch nicht logisch
Der Examenskandidat klagte, doch vor dem VG Köln verlor er zunächst: Man glaube dem Gutachten, er habe seine Klausuren nicht selbst geschrieben.
Das OVG hingegen hob den Bescheid des JPA auf: Ein Täuschungsversuch nach § 22 Abs. 1 JAG NRW sei nicht erwiesen. Das Gutachten reiche nicht, denn dessen Ergebnis, keiner der Brüder habe die Klausuren geschrieben, sei nicht plausibel. Schließlich sei die Identität der Prüflinge an jedem Klausurtag anhand der Ladung und mit einem Ausweisdokument überprüft worden und auch sonst gebe es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es nicht der jetzt klagende Examenskandidat gewesen sei, der an sechs Tagen Klausuren geschrieben und abgegeben habe.
Auch die Überlegung des VG, der Kandidat könnte die Klausuren mit einem anderen Prüfling ausgetauscht haben, konnte die Oberverwaltungsrichterinnen und -richter nicht wirklich überzeugen. Andere Beweismittel gebe es nicht mehr, das non liquet gehe zu Lasten des Prüfungsamts: Bescheid übers Nichtbestehen aufgehoben.
Bei diesem Urteil bleibt es nun, die höchsten deutschen Verwaltungsrichterinnen und -richter lassen die Nichtzulassungsbeschwerde der NRW-Behörde nicht zu (BVerwG, Beschluss vom 13.12.2023 – 6 B 13.23). Dabei macht das BVerwG im wahrsten Sinne des Wortes recht kurzen Prozess, und zwar fast ausschließlich mit prozessualen Argumenten.
Wenn das Land gern weitere Beweise hätte erheben, zum Beispiel das Aufsichtspersonal bei den Klausuren hätte vernehmen lassen wollen, hätte es das eben in der Tatsacheninstanz vortragen und beantragen müssen, so der 6. Senat. Einen Hinweis auf seine Rechtsansicht hätte das OVG laut dem Senat auch nicht vor der Berufungsverhandlung geben müssen, außerdem hätte die Anwältin ja schließlich noch einen Schriftsatznachlass beantragen können.
Auch in der Sache finden die Richterinnen und Richter in Leipzig offenbar nicht, dass das OVG-Urteil in sich widersprüchlich, aktenwidrig, paradox oder sonst wie so unlogisch wäre, dass das Revisionsgericht sich noch einmal in die dem Tatrichter vorbehaltene Tatsachenbewertung einmischen könnte. Das OVG habe das Gutachten eben für nicht überzeugend erachtet. Das reicht dem BVerwG. Und dem Kandidaten dürfte die Begründung am Ende relativ gleichgültig sein.