BVerfG: Zweitwohnungsteuern auf Basis der Einheitsbewertung von 1964 verfassungswidrig

Zweitwohnungsteuern, die auf der Grundlage der Einheitsbewertung von 1964 berechnet werden, sind verfassungswidrig. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 18.07.2019 unter Verweis auf sein Grundsteuerurteil (BeckRS 2018, 4904) entschieden und die Zweitwohnungsteuererhebung in den bayerischen Gemeinden Oberstdorf und Sonthofen beanstandet. Die inzwischen eingetretenen Wertverzerrungen könnten auch nicht durch eine Hochrechnung mit dem Verbraucherpreisindex ausglichen werden. Laut BVerfG dürfen die beiden Gemeinden ihre Satzungen noch übergangsweise bis zum 31.03.2020 anwenden (Az.: 1 BvR 807/12, 1 BvR 2917/13).

Zweitwohnungsteuern wurden auf Basis der Einheitswerte von 1964 berechnet

Die Gemeinde Markt Oberstdorf und die Stadt Sonthofen erheben jeweils aufgrund kommunaler Satzungen eine Zweitwohnungsteuer, die auf dem fiktiven jährlichen Mietaufwand basiert. Dieser wird bestimmt, indem die nach den Vorschriften der Einheitsbewertung von Grundstücken zum Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964 ermittelte fiktive Jahresrohmiete entsprechend der Steigerung der Wohnungsmieten nach dem Verbraucherpreisindex hochgerechnet wird.

Beschwerdeführer rügten Verstoß gegen Gleichheitssatz

Die Beschwerdeführer sind Eigentümer von Zweitwohnungen in den genannten Gemeinden. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügten sie im Wesentlichen eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, da die Berechnung der Zweitwohnungsteuer auf Grundlage der Einheitsbewertung von Grundstücken verfassungswidrig sei. Zudem weise die Staffelung des Steuertarifs in der Gemeinde Markt Oberstdorf eine zu geringe Differenzierung auf. Darüber hinaus bestehe für die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer seit der Änderung des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes keine verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage mehr, da die dort geregelte Befreiung für Geringverdiener dazu führe, dass die Zweitwohnungsteuer ihren Charakter als örtliche Aufwandsteuer verliere und damit nicht mehr der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterfalle. 

BVerfG: Berechnung der Zweitwohnungsteuer in beiden Gemeinden verfassungswidrig

Das BVerfG hat entschieden, dass die Berechnung der Zweitwohnungsteuer auf Grundlage einer nach den Vorschriften der Einheitsbewertung von Grundstücken zum Hauptfeststellungszeitpunkt 01.01.1964 ermittelten fiktiven Jahresrohmiete, die entsprechend der Steigerung der Wohnungsmieten nach dem Verbraucherpreisindex hochgerechnet wird, gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Das BVerfG verweist auf sein Grundsteuerurteil vom 10.04.2018 (BeckRS 2018, 4904), in dem es die Vorschriften der Einheitsbewertung von Grundstücken auf Grundlage der Wertverhältnisse von 1964 für gleichheitswidrig erachtet hat. Veränderte Ausstattungsstandards von Gebäuden, mögliche Veränderungen in der Lage oder strukturellen Anbindung von Grundstücken und mietrechtliche Bindungen würden bei einem derart lange zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunkt nicht berücksichtigt, so dass es inzwischen zu Verzerrungen bei den Grundstücksbewertungen gekommen sei, die nicht mehr vor dem Gleichheitsrecht gerechtfertigt seien.

Kein Ausgleich der Wertverzerrungen durch Hochrechnung mit Verbraucherpreisindex

Diese Wertverzerrungen könnten nicht durch eine Hochrechnung der auf dieser Grundlage bestimmten fiktiven Jahresrohmiete mit dem Verbraucherpreisindex ausgeglichen werden, da die Steigerungsrate für alle Wohnungen im Gemeindegebiet die gleiche sei, so dass eine Hochrechnung mit diesem Faktor die Wertverzerrungen gerade nicht ausgleichen könne.

Degressiver Steuertarif der Gemeinde Markt Oberstdorf gleichheitswidrig

Darüber hinaus hat das BVerfG die Art der Staffelung des Steuertarifs in der Zweitwohnungsteuersatzung der Gemeinde Markt Oberstdorf beanstandet. Diese verstoße ebenfalls gegen Art. 3 Abs. 1 GG, und zwar gegen das Grundrecht auf Gleichbehandlung in seiner Ausprägung als Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Der jeweilige Mietaufwand als Bemessungsgröße der Zweitwohnungsteuer spiegele die in der Einkommensverwendung typischerweise zum Ausdruck kommende Leistungsfähigkeit der Wohnungsinhaber wider. Der weit überwiegend degressiv ausgestaltete Steuertarif der Gemeinde Markt Oberstdorf belaste solchermaßen weniger leistungsfähige Steuerschuldner prozentual höher als leistungsfähigere.

Ungleichbehandlungen nicht zur Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt

Eine Ungleichbehandlung folge zum einen aus den durch die typisierenden Stufen bewirkten Differenzen in der Steuerbelastung. Bei einem Vergleich der mittleren Steuersätze in den Steuerstufen sei eine Ungleichbehandlung weniger leistungsfähiger gegenüber leistungsfähigeren Steuerschuldnern feststellbar, weil erstere bezogen auf den jährlichen Mietaufwand überwiegend einen höheren Steuersatz zahlen müssten. Diese Ungleichbehandlung werde zudem verstärkt durch den degressiven Steuertarif einerseits und andererseits die durch die Stufenbildung hervorgerufenen Effekte. Die hervorgerufenen Ungleichbehandlungen seien nicht gerechtfertigt, insbesondere nicht durch Zwecke der Verwaltungsvereinfachung. 

KAG Bayern verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage

Soweit sich die Beschwerdeführer auch gegen die Ermächtigungsgrundlage im Bayerischen Kommunalabgabengesetz zum Erlass einer Zweitwohnungsteuersatzung wendeten, hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Sie sei unbegründet. Die Länder seien grundsätzlich befugt, Zweitwohnungsteuern als Form der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuer zu erheben und die Gesetzgebungskompetenz dazu in dem ihnen selbst eingeräumten Umfang auf die Gemeinden zu übertragen.

Befreiung von Geringverdienern nicht typprägend und zudem gerechtfertigt

Die im bayerischen Kommunalabgabengesetz normierte Befreiung von Geringverdienern von der Zweitwohnungsteuer ändere an dem Charakter der Zweitwohnungsteuer als Aufwandsteuer nichts, da nur eine geringe Anzahl von potentiell Steuerpflichtigen ausgenommen werde und die Befreiung daher nicht typprägend sei. Die damit verbundene Ungleichbehandlung von einkommensschwächeren gegenüber einkommensstärkeren Zweitwohnungsinhabern sei zudem gerechtfertigt und sei insbesondere verhältnismäßig, da sie von der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gedeckt sei und der Abmilderung sozialer Härten diene. 

BVerfG, Beschluss vom 18.07.2019 - 1 BvR 807/12

Redaktion beck-aktuell, 24. Oktober 2019.