BVerfG: Zustimmungsgesetz zum Einheitlichen Patentgericht nichtig

Das Bundesverfassungsgericht hat das Zustimmungsgesetz zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ-ZustG) für nichtig erklärt. Das Gesetz hätte mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden müssen, da es eine materielle Verfassungsänderung bewirke. Dies sei im Bundestag aber nicht geschehen. Damit ist die Ratifizierung des Übereinkommens vorerst gestoppt (Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 2 BvR 739/17).

Verfassungsbeschwerde gegen Zustimmungsgesetz zum EPGÜ

Mit dem Zustimmungsgesetz zum EPGÜ sollen die Voraussetzungen für die Ratifikation des Übereinkommens vom 19.02.2013 über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) geschaffen werden. Als völkerrechtlicher Vertrag ist es Teil eines Regelungspakets zum Patentrecht, dessen Kern die Einführung eines europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung auf der Ebene der Europäischen Union im Wege einer Verstärkten Zusammenarbeit ist. Das "europäische Patent mit einheitlicher Wirkung" bietet in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten einheitlichen Schutz. Das EPGÜ sieht die Errichtung eines Einheitlichen Patentgerichts (EPG) als gemeinsames Gericht der Mehrzahl der Mitgliedstaaten für Streitigkeiten über europäische Patente und europäische Patente mit einheitlicher Wirkung vor. Es soll in Bezug auf europäische Patente und europäische Patente mit einheitlicher Wirkung die ausschließliche Zuständigkeit für einen umfangreichen Katalog von Streitigkeiten übertragen erhalten. Dieser umfasst insbesondere Klagen wegen Patentverletzung, Streitigkeiten über den Bestand von Patenten und bestimmte Klagen gegen Entscheidungen des Europäischen Patentamts. Den Gesetzentwurf zu dem angegriffenen Vertragsgesetz nahm der Bundestag in dritter Lesung einstimmig an. Anwesend waren etwa 35 Abgeordnete. Eine Feststellung der Beschlussfähigkeit erfolgte ebenso wenig wie die Feststellung des Bundestagspräsidenten, dass das Zustimmungsgesetz mit qualifizierter Mehrheit beschlossen worden sei. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer die Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG.

BVerfG: Zwei-Drittel-Mehrheit wäre erforderlich gewesen

Die Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Das BVerfG hat das Zustimmungsgesetz zum EPGÜ für nichtig erklärt. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EPGÜ-ZustG verletze den Beschwerdeführer in seinem Recht auf demokratische Selbstbestimmung aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 20 Abs. 1 und 2 GG und Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG und Art. 79 Abs. 2 GG, weil das EPGÜ-ZustG nicht mit der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages beschlossen worden sei. Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen, die in einem Ergänzungs- oder sonstigem besonderen Näheverhältnis zum Integrationsprogramm der Europäischen Union stünden, seien an Art. 23 Abs. 1 GG zu messen. Soweit sie das Grundgesetz seinem Inhalt nach änderten oder ergänzten oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglichten, bedürften sie nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG einer Zwei-Drittel-Mehrheit in den gesetzgebenden Körperschaften.

Anspruch der Bürger auf formelle Übertragungskontrolle

Eine unter Verstoß gegen diese Vorgaben eingegangene völkerrechtliche Verpflichtung, die der Einwirkung einer supranationalen öffentlichen Gewalt auf Bürger in Deutschland die Tür öffne, verletze diese in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. Bürger hätten zur Sicherung ihrer demokratischen Einflussmöglichkeiten im Prozess der europäischen Integration grundsätzlich ein Recht darauf, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten nur in den vom Grundgesetz dafür vorgesehenen Formen der Art. 23 Abs. 1 S. 2 und 3 GG, Art. 79 Abs. 2 GG erfolge (formelle Übertragungskontrolle). Denn Kompetenzen, die einem anderen Völkerrechtssubjekt übertragen würden, seien in aller Regel "verloren" und könnten aus eigener Kraft nicht ohne Weiteres "zurückgeholt" werden. Ohne wirksame Übertragung von Hoheitsrechten aber fehle jeder später erlassenen Maßnahme der Europäischen Union oder einer supranationalen Organisation die demokratische Legitimation. Darüber hinaus seien die sich aus Art. 79 Abs. 3 GG ergebenden materiellen Grenzen an die Übertragung von Hoheitsrechten stets zu beachten.

EPGÜ-ZustG überträgt Hoheitsrechte auf supranationales Gericht

Wie das BVerfG erläutert, übertrage das EPGÜ-ZustG Hoheitsrechte auf das Einheitliche Patentgericht. Das EPGÜ-ZustG übertrage Rechtsprechungsaufgaben auf ein supranationales Gericht und weise ihm bestimmte Rechtsstreitigkeiten zur ausschließlichen Entscheidung zu. Durch das EPGÜ würden die Entscheidungen und Anordnungen des EPG darüber hinaus zu vollstreckbaren Titeln erklärt.

Besonderes Näheverhältnis zum EU-Integrationsprogramm

Laut BVerfG steht das EPGÜ auch in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Integrationsprogramm der EU und ersetzt in der Sache unionsrechtliche Regelungen, deren Verankerung im EU-Recht nicht die notwendigen Mehrheiten gefunden habe. Das EPGÜ finde im Primärrecht einen unmittelbaren Anknüpfungspunkt in Art. 262 AEUV. Dieser sehe eine Übertragung der Rechtsprechungszuständigkeit für Streitigkeiten über europäische Rechtstitel für das geistige Eigentum auf den EuGH vor, erfordere jedoch einen einstimmigen Beschluss des Rates und eine Ratifikation durch die Mitgliedstaaten. Dafür habe es bislang keinen ausreichenden politischen Willen gegeben. Das EPGÜ sei darüber hinaus mit auf der Grundlage von Art. 118 AEUV erlassenem Sekundärrecht auf das Engste verwoben. Ein wesentlicher Teil der Rechtsprechungsaufgaben des EPG werde unionsrechtlich geregelte Rechte und Ansprüche betreffen, deren einheitliche Wirkung erst durch die im EPGÜ enthaltenen Regelungen sichergestellt werde. Zudem sei das EPG unmittelbar an das Unionsrecht gebunden.

Besonderes Näheverhältnis trotz fehlender Teilnahme aller EU-Staaten

Das EPGÜ sei maßgeblich durch EU-Organe vorangetrieben worden. Jedenfalls seit der Jahrtausendwende habe die EU-Kommission auf eine Zentralisierung des gerichtlichen Rechtsschutzes in diesem Bereich gedrungen. Das "Europäische Patentpaket" sei auch vom EU-Parlament nachdrücklich befürwortet worden. Das Übereinkommen stehe ausschließlich EU-Mitgliedstaaten offen. Dass nicht alle EU-Mitgliedstaaten auch Vertragsmitgliedstaaten seien, stelle das besondere Näheverhältnis zum EU-Integrationsprogramm nicht in Frage. Im Gegenteil, dies sei durch das Institut der Verstärkten Zusammenarbeit ausdrücklich legitimiert und unterstreiche die enge Verzahnung mit dem institutionellen Gefüge der EU.

Materielle Verfassungsänderung durch EPGÜ-ZustG

Weiter legt das BVerfG dar, dass das EPGÜ-ZustG den Anforderungen des Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 2 GG unterliege, weil es der Sache nach eine materielle Verfassungsänderung bewirke. Das EPGÜ habe Verfassungsrelevanz und stelle eine vergleichbare Regelung im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG dar, weil es eine funktional äquivalente Regelung zu einer Änderung der vertraglichen Grundlagen der EU nach Art. 48 EUV enthalte. In der Sache stelle das EPGÜ eine Änderung oder Ersetzung von Art. 262 AEUV dar. Dort sehe der Vertrag nicht nur ein besonderes Gesetzgebungsverfahren und einen einstimmigen Beschluss des Rates vor, sondern auch, dass dieser Rechtsakt erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Bestimmungen in Kraft trete.

Grundlage für Art. 262 AEUV-Weg faktisch entzogen

Die Schaffung einer neuen Zuständigkeit des EuGH für den gewerblichen Rechtsschutz hätten die Mitgliedstaaten damit als gravierenden Eingriff in die nationale Rechtsprechungszuständigkeit gewertet und als ratifikationsbedürftigen Vorgang ausgestaltet. Der deutsche Gesetzgeber habe Art. 262 AEUV als besonderes Vertragsänderungsverfahren eingestuft. Mit dem EPGÜ hätten die Vertragsmitgliedstaaten das Integrationsprogramm des Vertrages von Lissabon verändert, dem in Art. 262 AEUV vorgesehenen Weg faktisch die Grundlage entzogen und die Möglichkeit eines neuen Typus einheitlicher Gerichtsbarkeit im gewerblichen Rechtsschutz in Anlehnung an die EU geschaffen, weil es weder für den vertraglich vorgezeichneten Weg des Art. 262 AEUV noch für eine Änderung nach Art. 48 EUV die notwendige Einstimmigkeit gegeben habe.

Grundgesetzliche Rechtsprechungszuweisung modifiziert

Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Patentgerichtsbarkeit bewirke eine Übertragung von Rechtsprechungsaufgaben unter Verdrängung deutscher Gerichte eine inhaltliche Änderung des Grundgesetzes im Sinne von Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG. Die rechtsprechende Gewalt werde nach Art. 92 GG durch das BVerfG, die Bundesgerichte und die Gerichte der Länder ausgeübt. Jede Übertragung von Rechtsprechungsaufgaben auf zwischenstaatliche Gerichte modifiziere diese umfassende Rechtsprechungszuweisung und bedeute insoweit eine materielle Verfassungsänderung. Sie berühre nicht nur die grundrechtlichen Garantien des Grundgesetzes, weil deutsche Gerichte insoweit keinen Grundrechtsschutz mehr gewähren könnten, sondern auch die konkrete Ausgestaltung der Gewaltenteilung. Art. 32 EPGÜ übertrage dem EPG einen nicht unerheblichen Ausschnitt der zivil- und verwaltungsrechtlichen Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten von erheblicher ökonomischer Relevanz zur ausschließlichen Erledigung. Die verfassungsrechtlich geordnete Struktur der deutschen Gerichtsverfassung werde durch das EPGÜ modifiziert, um ein weiteres Gericht ergänzt und mit einem eigenen internen Rechtsmittelzug versehen.

EPGÜ-ZustG mangels Zwei-Drittel-Mehrheit nichtig

Laut BVerfG war das EPGÜ-ZustG mit der qualifizierten Mehrheit von Art. 79 Abs. 2 GG zu beschließen. Angesichts der besonderen Bedeutung des Mehrheitserfordernisses für die Integrität der Verfassung und die demokratische Legitimation von Eingriffen in die verfassungsmäßige Ordnung komme ein Gesetz, das diese Mehrheit verfehle, nicht zustande. Das EPGÜ-ZustG sei vom Deutschen Bundestag daher nicht wirksam beschlossen worden. Es sei nichtig. 

Drei Richter kritisieren formelle Übertragungskontrolle

Drei BVerfG-Richter (Doris König, Christine Langenfeld und Ulrich Maidowski) haben eine abweichende Meinung vertreten. Sie lehnen die von der Senatsmehrheit zugelassene formelle Übertragungskontrolle ab. Mit der Erstreckung auf die Einhaltung der formellen Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Hoheitsrechtsübertragung verliere der "Anspruch auf Demokratie" seine spezifische, auf die Ermöglichung und den Erhalt demokratischer Selbstbestimmung gerichtete materielle Substanz. Die formelle Übertragungskontrolle könnte zudem letztlich dazu führen, dass der politische Prozess im Kontext mit der europäischen Integration verengt und behindert werde. Die breite Eröffnung des Zugangs zum BVerfG könnte in Zukunft den demokratischen Prozess in problematischer Weise präjudizieren und weitere Integrationsschritte erheblich verzögern.

BVerfG, Beschluss vom 13.02.2020 - 2 BvR 739/17

Redaktion beck-aktuell, 20. März 2020.