Zschäpe mit Verfassungsbeschwerde gegen Verurteilung als NSU-Mittäterin erfolglos
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© Eibner-Pressefoto / Koehler

Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, bleibt lebenslang in Haft. Sie ist mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen das Strafurteil des Oberlandesgerichts München und zwei Beschlüsse des Bundesgerichtshofs gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an, da Zschäpe weder dargetan habe noch es aus sich heraus ersichtlich sei, dass sie in ihren Grundrechten verletzt ist.

Zu "lebenslang" unter Feststellung besonderer Schwere der Schuld verurteilt

Das Oberlandesgericht hatte Zschäpe unter anderem wegen mittäterschaftlicher und mitgliedschaftlicher Beteiligung an mehreren Mordtaten einer rechtsterroristischen Vereinigung zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Zschäpe ging gegen das Urteil mit der Revision vor, wobei ihre Verteidiger insbesondere die Einordnung ihres Handelns als Mittäterschaft angriffen. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs verwarf die Revision durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO. Mit weiterem Beschluss wies er eine gegen diesen Verwerfungsbeschluss gerichtete Anhörungsrüge Zschäpes zurück.

Missachtung rechtlichen Gehörs und Willkür geltend gemacht

Zschäpe rügt die Verletzung ihres Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs, eine willkürliche Anwendung des § 349 Abs. 2 StPO und eine Verletzung ihres Rechts auf die Entscheidung durch den gesetzlichen Richter. Sie machte insbesondere geltend, es verletze sie in ihren durch die Verfassung garantierten Rechten, dass der BGH über ihre Revision durch Beschluss und nicht nach einer mündlichen Verhandlung durch Urteil entschieden habe. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG seien nicht erfüllt.

Rechtliches Gehör auch ohne mündliche Verhandlung

Eine Verletzung ihres Prozessgrundrechts auf die Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG zeige Zschäpe nicht auf. Art. 103 Abs. 1 GG garantiere den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Aus Art. 103 Abs. 1 GG folge jedoch nicht unmittelbar ein Anspruch auf eine mündliche Verhandlung, betont das BVerfG. Es sei Sache des Gesetzgebers, zu entscheiden, in welcher Weise rechtliches Gehör gewährt werden soll. Daher begegne die Möglichkeit, im strafrechtlichen Revisionsverfahren eine Revision nach § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss – also ohne vorherige Durchführung einer mündlichen Verhandlung – zu verwerfen, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Im Verfahren der strafrechtlichen Revision habe der Gesetzgeber vorgesehen, dass der Revisionsführer in seiner Revisionsbegründung und in der Gegenerklärung zum Antrag des Generalbundesanwalts Gelegenheit bekommt, sich umfassend zu äußern, wodurch seinem Anspruch auf die Gewährung rechtlichen Gehörs ausreichend Rechnung getragen werde.

EMRK duldet Rechtsmittelverfahren ohne mündliche Verhandlung

Diese Maßstäbe stehen nach Ansicht des BVerfG im Einklang mit der EMRK, die als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte heranzuziehen ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verlange Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar grundsätzlich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. In Rechtsmittelverfahren gelte dieser Grundsatz aber nicht uneingeschränkt. Habe in der ersten Instanz eine öffentliche Verhandlung stattgefunden, könne es aufgrund der Besonderheit des betreffenden Verfahrens gerechtfertigt sein, dass in der zweiten oder dritten Instanz von einer mündlichen Verhandlung abgesehen wird. Betreffe das Rechtsmittelverfahren nur Rechtsfragen, könne – je nach Ausgestaltung des Verfahrensrechts – von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Gehörsverletzung weder dargetan noch aus sich heraus ersichtlich

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe sei eine Gehörsverletzung weder dargetan noch aus sich heraus ersichtlich, so das BVerfG weiter. Zschäpe lege einen Gehörsverstoß nicht hinreichend substantiiert dar. Unabhängig davon, dass sie allenfalls fragmentarisch mitteile, was sie in einer anberaumten Revisionshauptverhandlung weiter vorgetragen hätte und welche Folgen sich daraus für die angegriffenen Entscheidungen ergeben hätten, gehe sie nicht darauf ein, dass sie im Revisionsverfahren umfassend schriftlich dazu vorgetragen hat, weshalb aus ihrer Sicht eine Mittäterschaft nicht gegeben sei. Eine Auseinandersetzung mit diesem Umstand wäre aber notwendig gewesen, weil der 3. Strafsenat in seiner Entscheidung über die Anhörungsrüge bekräftigt hat, er habe das umfangreiche Revisionsvorbringen der Beschwerdeführerin zur Frage der Mittäterschaft bei seinen Beratungen gewürdigt, das Vorbringen aber nicht für überzeugend erachtet. Der Substantiierungspflicht genüge ein Beschwerdeführer bei der Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nur, wenn der Begründung der Verfassungsbeschwerde entnommen werden kann, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte. Rüge er einen Gehörsverstoß durch das Absehen von einer mündlichen Verhandlung in der Revisionsinstanz, müsse er darlegen, dass er sein Gehörsrecht nur bei Durchführung einer Hauptverhandlung habe ausüben und er sein Revisionsvorbringen nicht ausreichend schriftlich habe deutlich machen können.

BGH wich nicht von seiner ständigen Rechtsprechung zur Mittäterschaft ab

Zschäpe zeige auch in der Sache keinen Gehörsverstoß auf. Ihre Argumentation stehe unter der Prämisse, dass der BGH – für sie überraschend – von seiner ständigen Rechtsprechung zur Mittäterschaft abgewichen sei. Diese Prämisse treffe indes nicht zu. Denn der Beschluss des BGH vom 12.08.2021 entspreche der bisherigen Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme. Der 3. Strafsenat habe klargestellt, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalte, wonach bei vereinigungsbezogenen Taten Mittäterschaft an diesen Taten nicht schon mit der bloßen Mitgliedschaft in der Vereinigung begründet werden könne. Außerdem habe er die Annahme, Zschäpe sei Mittäterin gewesen – unter Verweis auf seine ständige Senatsrechtsprechung – auf nach seiner Ansicht vom OLG revisionsrechtlich rechtsfehlerfrei getroffene Feststellungen zu den objektiven Tatbeiträgen Zschäpes und zu ihrem Tatinteresse gestützt. Auf der objektiven Ebene des § 25 Abs. 2 StGB darauf abzustellen, dass Zschäpe maßgeblichen Einfluss auf die Planung der Taten sowie auf den gemeinsamen Tatentschluss und den weiteren Willen ihrer beiden Komplizen zur Tatbegehung genommen habe, erscheine jedenfalls plausibel, so das BVerfG. Davon auszugehen, dass der Zusicherung der Aufrechterhaltung der Legendierung eine bestimmende Bedeutung für die Herbeiführung der Taterfolge zugekommen sei, sei daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Möglichkeit anderer einfachrechtlicher Bewertung der Tatbeiträge irrelevant

Soweit der BGH betont hat, es sei vor diesem Hintergrund unerheblich, dass Zschäpe einen tatherrschaftsbegründenden Beitrag im Ausführungsstadium der Taten nicht geleistet habe, weil sie durch die sinnstiftende und handlungsleitende Zusicherung, die bürgerliche Fassade der Gruppe aufrechtzuerhalten und zu gegebener Zeit das Bekennervideo zu versenden, die serienmäßige Tatbegehung durch die anderen Mitglieder der Terrorgruppe erst ermöglicht habe, begegne diese Argumentation keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dass auch eine andere einfachrechtliche Bewertung dieser Tatbeiträge möglich gewesen wäre, begründe keinen Gehörsverstoß. Denn die Kritik an der angegriffenen Entscheidung zeige nicht auf, dass Zschäpe unter Berücksichtigung der Breite vertretbarer Rechtsauffassungen nicht mit der Qualifikation ihrer Tatbeiträge als mittäterschaftliches Handeln zu rechnen brauchte.

Auch keine Verletzung des Willkürverbotes dargetan

Eine Verletzung des Willkürverbotes aus Art. 3 Abs. 1 GG durch die Anwendung des § 349 Abs. 2 StPO sei ebenfalls nicht dargetan, fährt das BVerfG fort. Ein Gericht verwerfe die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO, wenn das Rechtsmittel ohne Anführung neuer Gesichtspunkte Rechtsfragen aufwirft, die bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt sind und eine Revisionshauptverhandlung zur Wahrung rechtsstaatlicher Garantien nicht geboten ist. In diese ständige Rechtsanwendungspraxis füge sich der angegriffene Verwerfungsbeschluss ein. Der 3. Strafsenat habe seiner Entscheidung die vom OLG aus seiner Sicht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zugrunde gelegt und seine ständige Senatsrechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme auf diese Feststellungen angewandt. In verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise habe er ausgeführt, weshalb er Zschäpe nach dieser Rechtsprechung als Mittäterin einordne. Er habe dabei die Argumentation Zschäpes nicht aus dem Blick verloren und – verfassungsrechtlich tragfähig – sowohl im Verwerfungsbeschluss als auch im Beschluss über die Anhörungsrüge klargestellt, dass die von Zschäpe angeführten Entscheidungen seinem Ergebnis nicht entgegenstünden.

Keine sachfremden Erwägungen für Zurückweisung der Revision ersichtlich

Es ist laut BVerfG damit nicht ersichtlich, dass die Annahme des 3. Strafsenats, die Revision der Beschwerdeführerin sei "offensichtlich unbegründet" im Sinne der Rechtsprechung zu § 349 Abs. 2 StPO, bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Der Vortrag Zschäpes sei jedenfalls nicht geeignet, eine willkürliche Anwendung des § 349 Abs. 2 StPO aufzuzeigen. Er erschöpfe sich im Ergebnis in einer eigenen Auslegung des § 349 Abs. 2 StPO, wonach das Kriterium der offensichtlichen Unbegründetheit nur dann eigenständige Bedeutung erlangen könne, wenn es nicht nur auf die Einstimmigkeit der Senatsmitglieder ankomme. Zschäpe lege allerdings nicht dar, dass das Verständnis von einer offensichtlichen Unbegründetheit der Revision, wie es der ständigen Rechtsprechung des BGH zugrunde liegt, nicht mehr nachzuvollziehen wäre und es von Verfassungs wegen – etwa zur Wahrung des Fairnessgebots – zwingend geboten wäre, ihrer Rechtsauffassung zu folgen.

Keine sonstigen Grundrechtsverletzungen

Zschäpe sei zudem der gesetzliche Richter nicht im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entzogen. Soweit sie die unterlassene Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union rüge, zeige sie nicht auf, dass der BGH eine solche Vorlage in einer Weise unterlassen habe, die nach den Maßstäben des BVerfG einen Verfassungsverstoß begründe. Es begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der BGH in dem angegriffenen Beschluss über die Anhörungsrüge nachvollziehbar darauf abstelle, es erschließe sich nicht, wie die von Zschäpe begehrte Auslegung des unionsrechtlichen Begriffs der "kriminellen Vereinigung" durch den EuGH zur Bewertung der Stärke des Tatinteresses hätte beitragen können. Der Rüge, der BGH habe die Aufgabenverteilung zwischen Revisions- und Instanzgericht missachtet, bleibe ebenfalls der Erfolg versagt. Die Verfassungsbeschwerde werde auch im Übrigen nicht zur Entscheidung angenommen, führt das BVerfG weiter aus. Sie richte sich formal auch gegen das Strafurteil des OLG. Inhaltlich setze sich Zschäpe jedoch nur mit den Entscheidungen des BGH auseinander. Eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten lege sie nicht in nachvollziehbarer Weise dar. Soweit Zschäpe ihre Verfassungsbeschwerde auf den die Anhörungsrüge betreffenden Zurückweisungsbeschluss erweitert habe, sei sie ebenfalls nicht zur Entscheidung anzunehmen.

BVerfG, Beschluss vom 30.09.2022 - 2 BvR 2222/21

Redaktion beck-aktuell, 24. Oktober 2022.