Willkür durch nicht nachvollziehbare Antragsablehnung

Begründet ein Richter seine Ablehnung einer Anhörungsrüge mit formelhaften Wendungen, die seine Gründe nicht nachvollziehbar machen, handelt er willkürlich und verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht gab einer Verfassungsbeschwerde statt, mit der ein Mann sich gegen den entsprechenden Beschluss eines Sozialgerichts wandte: Der Richter behauptete darin lapidar, dass der (nachgereichte) Vortrag keinerlei Bedeutung für seine Entscheidung gehabt hätte.

Jobcenter kürzt die Leistungen und rechnet trotz Widerspruch auf

Eine kleine Familie bezog Hartz IV. Das Jobcenter war im November 2019 der Ansicht, dass die Bedarfsgemeinschaft 257 Euro zu viel erhalten hatte und erklärte, es würde diesen Betrag durch Aufrechnung mit 10% der zukünftigen monatlichen Regelleistungen ab sofort einziehen. Dagegen erhob jedes Familienmitglied Widerspruch. Die Behörde begann trotzdem sofort mit der Einziehung. Der Mann verfolgte die ungekürzte Auszahlung seines Bedarfs bis zur Klärung der Hauptsache im Eilverfahren vor dem Sozialgericht Köln. In dem Verfahren behauptete das Jobcenter, dass der "Kürzungsbescheid" gegenüber seiner Frau bestandskräftig sei. Dieses Schreiben ging dem Antragsteller erst zusammen mit dem Ablehnungsbeschluss des Sozialgerichts zu. Er erhob daraufhin die Anhörungsrüge. Der Sozialrichter lehnte wiederum ab: Selbst wenn die Ehefrau Widerspruch eingelegt hätte, hätte das für seine Entscheidung keinerlei Relevanz gehabt. Die Verfassungsbeschwerde des Mannes war erfolgreich.

Willkürverbot verletzt

Das Sozialgericht hat den Verfassungsrichtern zufolge willkürlich nach Art. 3 Abs. 1 GG gehandelt, indem es die Anhörungsrüge zurückwies: Die Begründung, der Widerspruch seiner Frau gegen die Kürzung sei "ohne Belang", sei "schlechterdings nicht nachvollziehbar". Da dränge sich der Schluss auf, dass der Beschluss auf sachfremden Erwägungen beruhe. Die Verfassungsbeschwerde war soweit erfolgreich.

Rechtliches Gehör verletzt

Das Sozialgericht hatte zuvor laut den Karlsruher Richtern auch das rechtliche Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG des Antragstellers verletzt, indem es ihm die Möglichkeit nahm, noch vor Erlass seiner Entscheidung richtigzustellen, dass seine Frau ebenso wie die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Widerspruch gegen die Kürzung eingelegt hatte. Auch wenn der Eilantrag wegen des Fehlens einer existenziellen Notlage durch die geringe Höhe der einbehaltenen Leistung aller Wahrscheinlichkeit nach unbegründet gewesen sei, so seien ihm doch alle Schriftstücke des Gegners zuzuleiten und damit sicherzustellen, dass der Leistungsempfänger alle Tatsachen kennt, auf der die abschließende Entscheidung beruht. Im Übrigen habe er die Möglichkeit gehabt, seinen Antrag auf die (deklaratorische) Feststellung der aufschiebenden Wirkung umzustellen.

BVerfG, Beschluss vom 10.09.2021 - 1 BvR 1029/20

Redaktion beck-aktuell, 8. Oktober 2021.