Weg frei für Zustimmung zu ESM-Reform
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kann nach eineinhalb Jahren nun das Zustimmungsgesetz zur ESM-Reform ausfertigen. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde von sieben FDP-Bundestagsabgeordneten als unzulässig verworfen. Sie hätten weder eine Übertragung von Hoheitsrechten auf den ESM oder die EU noch eine faktische Änderung der Rahmenbedingungen des EU-Integrationsprogramms aufgezeigt.

ESM-Reform: Rückversicherungsfunktion für Bankenabwicklung

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM, "Euro-Rettungsschirm") wurde 2012 gegründet und soll Mitgliedstaaten, die in finanzielle Schieflage geraten, unter strikten Auflagen durch Finanzhilfen unterstützen. So versorgte er Griechenland in der Euro-Krise mit Geld - im Gegenzug für Reformen. 2021 einigten sich die ESM-Mitgliedstaaten auf eine Reform des ESM-Vertrags. Die Reform des ESM soll unter anderem vorsorgliche Kreditlinien für Staaten in Wirtschafts- und Finanzkrisen erleichtern. Außerdem soll der ESM die Aufgabe einer Rückversicherung für die Bankenabwicklung übernehmen. Dieser gemeinsame "Backstop" soll das Bankensystem Europas stärken und vor Finanzkrisen absichern. Mit der Einigung auf die ESM-Reform einigten sich die Staaten zugleich auf eine Änderung des IGA-Übereinkommens von 2014, das Teil der Regelungen zur europäischen Bankenunion ist. Insbesondere soll eine Übertragung nachträglich erhobener Beiträge aus sämtlichen Vertragsstaaten (Vergemeinschaftung) auf den Einheitlichen Abwicklungsfonds erst nachrangig und der Höhe nach begrenzt erfolgen. Die Änderung steht im Zusammenhang mit der neuen Rückversicherungsaufgabe des ESM.

FDP-Abgeordnete rügten Übertragung von Hoheitsrechten ohne Zweidrittelmehrheit

Bundestag und Bundesrat billigten die Zustimmungsgesetze im Juni 2021. Der Bundespräsident setzte die Ausfertigung des Zustimmungsgesetzes zum ESM-Änderungsübereinkommen aber auf Bitte des BVerfG hin aus. Denn sieben FDP-Abgeordnete hatten – als Privatpersonen – Verfassungsbeschwerde gegen die Zustimmungsgesetze eingelegt. Sie rügten die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. Nach ihrer Ansicht hätten die Zustimmungsgesetze mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden müssen, statt nur mit einfacher Mehrheit. Durch die ESM-Reform würden Hoheitsrechte übertragen und die faktische Vertragsänderung modifiziere in strukturell bedeutsamer Weise die rechtlichen Konturen bestehender Kompetenzen der EU.

BVerfG: Übertragung von Hoheitsrechten nicht aufgezeigt

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde verworfen. Sie sei unzulässig, weil die Abgeordneten die Möglichkeit einer Verletzung ihres Rechts auf demokratische Selbstbestimmung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG nicht hinreichend substantiiert dargelegt hätten. Sie hätten nicht aufgezeigt, dass mit der ESM-Reform Hoheitsrechte auf den ESM oder die EU übertragen würden. Dies gelte zunächst, soweit sie die Neuregelung des Dringlichkeitsabstimmungsverfahrens im Rahmen der Letztsicherung anführten. Da der ESM mit der Entscheidung über die Gewährung von Finanzhilfen sowie mit den damit verbundenen Aufgaben keine Hoheitsrechte wahrnehme, die einen Bezug zur Rechtssphäre natürlicher oder juristischer Personen des Privatrechts aufwiesen, stelle auch eine diesbezügliche, auf die Aufgaben des ESM bezogene Verfahrensregelung (wie Art. 18a Abs. 6 ESM-ÄndÜ) keine Ermächtigung zur Ausübung von Hoheitsrechten dar. Auch im Hinblick auf andere Regelungen – insbesondere der Einräumung einer Letztsicherungsfazilität für den einheitlichen Abwicklungsfonds – oder die verstärkte Heranziehung der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank für Aufgaben des ESM im Wege der Organleihe hätten die Abgeordneten eine Übertragung von Hoheitsrechten auf den ESM oder die EU nicht ausreichend dargetan.

Faktische Änderung des EU-Integrationsprogramms schon nicht dargetan

Eine lediglich faktische Änderung des Integrationsprogramms der EU oder seiner rechtlichen Einbettung durch den Abschluss völkerrechtlicher Verträge jenseits von Primärrechtsänderungen stelle in aller Regel keine Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU dar. Hier stelle sich die Frage nach der Möglichkeit einer Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU durch eine faktische Änderung ihres Integrationsprogramms von vornherein nicht, da die ESM-Reform lediglich nachrangige Modifikationen des bestehenden Integrationsprogramms des ESM vorsieht. Die Abgeordneten hätten auch nicht substantiiert dargelegt, dass durch das IGA-Änderungsübereinkommen Hoheitsrechte übertragen würden oder dass dieses zu einer faktischen Änderung des Primärrechts der EU führen könnte.

BVerfG, Beschluss vom 13.10.2022 - 2 BvR 1111/21

Redaktion beck-aktuell, 9. Dezember 2022.