BVerfG: Wankas Pressemitteilung "Rote Karte für die AfD" war verfassungswidrig

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hat mit der Veröffentlichung ihrer Pressemitteilung "Rote Karte für die AfD" vom 04.11.2015 auf der Homepage ihres Ministeriums die AfD in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien verletzt. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 27.02.2018 entschieden. Die Ministerin habe mit der Erklärung, die einen mittelbaren Boykott-Aufruf an potentielle Teilnehmer einer AfD-Demonstration gegen Merkels Flüchtlingspolitik enthalten habe, ihre Neutralitätspflicht verletzt. Ein "Recht auf Gegenschlag" gebe es für staatliche Organe nicht (Az.: 2 BvE 1/16).

Streit um Pressemitteilung auf Ministeriumsseite

Die Antragstellerin, die AfD, war Veranstalterin einer in Berlin für den 07.11.2015 angemeldeten Versammlung unter dem Motto "Rote Karte für Merkel! - Asyl braucht Grenzen!" Zu dieser Veranstaltung veröffentlichte die Antragsgegnerin, die damalige (und zur Zeit geschäftsführende) Bundesministerin für Bildung und Forschung Johanna Wanka (CDU), am 04.11.2015 auf der Homepage ihres Ministeriums eine Pressemitteilung, in der sie sich zu der geplanten Demonstration wie folgt äußerte: "Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung." Die AfD sah hierdurch ihr Recht auf Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb verletzt und erhob Organklage. Die Antragsgegnerin meinte hingegen, die Pressemitteilung stelle eine zulässige Verteidigung der Politik der Bundesregierung dar. Außerdem sei die Pressemitteilung außerhalb eines Wahlkampfs veröffentlicht worden und unterliege daher keiner strengen Neutralitätspflicht.

BVerfG: Kein "Recht auf Gegenschlag" für staatliche Organe

Das BVerfG hat der Organklage stattgegeben. Die Bildungsministerin habe mit ihrer Pressemitteilung die AfD in ihrem Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt. Durch die Veröffentlichung der Pressemitteilung auf der Homepage ihres Ministeriums habe sie den Grundsatz der Neutralität staatlicher Organe im politischen Wettbewerb missachtet, der auch außerhalb von Wahlkampfzeiten gelte. Jegliche negative Bewertung einer politischen Veranstaltung einer Partei durch staatliche Organe, die abschreckende Wirkung entfalten und dadurch das Verhalten potentieller Veranstaltungsteilnehmer beeinflussen könne, greife in das Recht der betroffenen Partei auf Chancengleichheit ein. Die Bundesregierung oder ihre Mitglieder dürften zwar im Rahmen ihrer Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Angriffe gegen ihre Politik öffentlich zurückzuweisen, seien dabei aber zur Sachlichkeit verpflichtet. Sie müssten sich darauf beschränken, ihre politischen Entscheidungen zu erläutern und sich mit Kritik daran sachlich auseinandersetzen. Ein "Recht auf Gegenschlag" dergestalt, dass staatliche Organe auf unsachliche oder diffamierende Angriffe in gleicher Weise reagieren dürfen, bestehe dagegen nicht.

Boykott-Aufruf an potentielle Demo-Teilnehmer verletzt Neutralitätspflicht

Laut BVerfG enthält die Pressemitteilung sowohl einseitig negative Bewertungen der Antragstellerin als auch den Versuch, das Verhalten potentieller Teilnehmer an der geplanten Demonstration zu beeinflussen. Die in den veröffentlichten Aussagen enthaltene abwertende Qualifizierung der Antragstellerin als eine Partei, die den Rechtsextremismus und die Radikalisierung der Gesellschaft fördere, könne deren Position im politischen Meinungskampf  beeinträchtigen. Die Antragsgegnerin fordere durch die Verwendung der Metapher der "Roten Karte" erkennbar dazu auf, sich von der Antragstellerin zu distanzieren, und wirke dadurch einseitig zu deren Lasten auf den politischen Wettbewerb ein. Daneben sei die Presseerklärung darauf gerichtet, das Verhalten potentieller Teilnehmer an der geplanten Demonstration der AfD zu beeinflussen. Es komme erkennbar die Auffassung der Antragsgegnerin zum Ausdruck, dass mit der Teilnahme an dieser Versammlung eine Partei gestärkt würde, deren Sprecher der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub leisteten und Rechtsextreme unterstützten. Die Forderung, einer solchen Partei die "Rote Karte" zu zeigen, stelle sich vor diesem Hintergrund zumindest als mittelbare Aufforderung dar, der geplanten Demonstration fernzubleiben. Eine derartige Aufforderung missachte das Gebot der Neutralität staatlicher Organe im politischen Wettbewerb.

Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Regierung überschritten

Das BVerfG sieht den Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit der AfD auch nicht durch die Befugnis der Antragsgegnerin zur öffentlichen Erläuterung des Regierungshandelns und zur Zurückweisung hiergegen gerichteter Angriffe gerechtfertigt. Die Pressemitteilung überschreite jedenfalls die sich aus den Geboten der Neutralität und Sachlichkeit ergebenden Grenzen regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit. Weder habe die Presseerklärung die Information über das Regierungshandeln zum Gegenstand noch würden hiergegen erhobene Vorwürfe in sachlicher Form zurückgewiesen. Zwar werde in der Pressemitteilung auf die von der Antragstellerin angekündigte und gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung gerichtete Demonstration Bezug genommen. Zugleich seien der Pressemitteilung aber keinerlei erläuternde Informationen über das Handeln der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik oder in einem sonstigen Politikbereich zu entnehmen. Zudem fehle es an jeglicher sachlicher Aufarbeitung von Vorwürfen gegen das Handeln der Bundesregierung oder der Bundeskanzlerin. Stattdessen enthalte sie die Aufforderung der Antragsgegnerin, der Antragstellerin die "Rote Karte" zu zeigen, und damit jedenfalls mittelbar den Aufruf, der Demonstration fernzubleiben. Die Pressemitteilung stelle einen parteiergreifenden Angriff auf die AfD im politischen Wettbewerb aus Anlass der Ankündigung einer politischen Kundgebung dar und überschreite damit die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung und ihrer Mitglieder.

BVerfG, Urteil vom 27.02.2018 - 2 BvE 1/16

Redaktion beck-aktuell, 27. Februar 2018.

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