BVerfG: Wahlfeststellung zwischen gewerbsmäßigem Diebstahl und gewerbsmäßiger Hehlerei ist rechtens

Die Wahlfeststellung zwischen (gewerbsmäßig begangenem) Diebstahl und gewerbsmäßiger Hehlerei verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Dies geht aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 05.07.2019 hervor, mit dem die Zweite Kammer des Zweiten Senats die Verfassungsbeschwerde alternativ wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei Verurteilter nicht zur Entscheidung angenommen hat (Az.: 2 BvR 167/18).

Zahlreiche gestohlene Fahrzeuge und Fahrzeugteile sichergestellt

Das Landgericht Meiningen verurteilte im zugrundeliegenden Fall die Beschwerdeführer alternativ wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB) oder gewerbsmäßiger Hehlerei (§ 259 Abs. 1, § 260 Abs.1 Nr. 1 StGB) in 19 beziehungsweise 15 Fällen zu Freiheitsstrafen. Nach den Urteilsfeststellungen stahlen oder hehlten die Beschwerdeführer in erheblichem Umfang unter anderem Fahrzeuge und Fahrzeugteile. Bei einer Durchsuchung der Räumlichkeiten der Beschwerdeführer wurden zahlreiche solcher Gegenstände sichergestellt, die in dem für die Einzeltaten näher konkretisierten Tatzeitraum gestohlen worden waren. Ob die Beschwerdeführer die Gegenstände aus – gemeinschaftlich begangenen – Diebstählen (selbst) erlangt oder später als Hehler erworben hatten, vermochte das Landgericht nicht zweifelsfrei zu klären und gelangte entsprechend den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen zur echten Wahlfeststellung zu einer gesetzesalternativen Verurteilung.

Beschwerdeführer gehen von Verletzung der Unschuldsvermutung aus

Die Beschwerdeführer greifen mit ihrer Verfassungsbeschwerde das Urteil des LG sowie das ihre Revisionen verwerfende Urteil des Bundesgerichthofs an. Sie machen im Wesentlichen geltend, dass die echte Wahlfeststellung gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoße, weil die Verurteilung in der Wahlfeststellungssituation nicht auf einer gesetzlichen, sondern auf einer dritten, ungeschriebenen Norm beruhe. Des Weiteren verletze die gesetzesalternative Verurteilung die Unschuldsvermutung.

BVerfG: Verfahrensrechtliche Entscheidungsregel für besondere Beweissituation

Nach Auffassung des BVerfG ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls nicht begründet. Die Wahlfeststellung zwischen gewerbsmäßig begangenem Diebstahl und gewerbsmäßiger Hehlerei verletze nicht das Bestimmtheitsgebot. Das Rechtsinstitut der ungleichartigen Wahlfeststellung komme in einer bestimmten prozessualen Lage zur Anwendung und lege fest, welche Rechtsfolgen die nach abgeschlossener Beweiswürdigung verbleibenden Zweifel über materiell-rechtlich erhebliche Tatsachen haben, wenn die Feststellung einer bestimmten Tat nicht möglich ist, aber sicher feststeht, dass sich der Angeklagte nach einem gesetzlichen Tatbestand strafbar gemacht hat. Die von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze würden in dieser besonderen Beweissituation die Voraussetzungen bestimmen, unter denen das Tatgericht trotz subsumtionsrelevanter Tatsachenzweifel eine Verurteilung auszusprechen hat.

Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG nicht berührt

Die Regeln zur Wahlfeststellung würden nicht dazu dienen, materiell-rechtliche Strafbarkeitslücken zu schließen, was allein Aufgabe des Gesetzgebers sei, sie ermöglichten ausschließlich die Bewältigung verfahrensrechtlicher Erkenntnislücken. Die ungleichartige Wahlfeststellung sei eine besondere, dem Strafverfahrensrecht zuzuordnende Entscheidungsregel, die nicht den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG berührt. In der Wahlfeststellungssituation komme auch keine außergesetzliche Norm zur Anwendung. Der Angeklagte werde ausschließlich wegen der Verletzung alternativ in Betracht kommender – gesetzlich bestimmter – Einzelstraftatbestände (wahldeutig) verurteilt.

Grundsatz "nulla poena sine lege" nicht verletzt

Die ungleichartige Wahlfeststellung verletzte nicht den von Art. 103 Abs. 2 GG erfassten Grundsatz "nulla poena sine lege", der das Gebot der Gesetzesbestimmtheit auch auf die Strafandrohung erstreckt. Das Tatgericht entehme Art und Maß der Bestrafung einem gesetzlich normierten Straftatbestand, genauer dem Gesetz, das für den konkreten Fall die mildeste Bestrafung zulässt. Da bei einer wahldeutigen Verurteilung in allen Punkten die dem Angeklagten günstigste der alternativen Tatgestaltungen zugrunde zu legen sei, sei auch die Verhängung einer den Schuldgrundsatz verletzenden, weil die tatsächliche Schuld übersteigenden, Strafe ausgeschlossen.

Täter haben einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Straftatbeständen sicher verwirklicht

Die gesetzesalternative Verurteilung wegen gewerbsmäßig begangenen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei entsprechend den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen trage der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Unschuldsvermutung hinreichend Rechnung. Zwar könne dem Angeklagten in den Fällen der ungleichartigen Wahlfeststellung eine konkrete, schuldhaft begangene Straftat nicht nachgewiesen, insoweit ein eindeutiger Tat- und Schuldnachweis nicht geführt werden. Andererseits stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Angeklagte sicher einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Straftatbeständen schuldhaft verwirklicht hat. Zweifelhaft sei nicht, ob sich der Angeklagte nach einem bestimmten Tatbestand strafbar gemacht hat, sondern aufgrund der begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts, welches Strafgesetz verletzt ist.

Kein Freispruch bei vergleichbarem Unrechts- und Schuldgehalt

Jedenfalls dann, wenn diese Straftatbestände einen vergleichbaren Unrechts- und Schuldgehalt besitzen, fordere die Unschuldsvermutung keinen Freispruch. Vielmehr stünde ein Freispruch trotz unzweifelhaft strafbaren Verhaltens aufgrund mehrfacher Anwendung des Zweifelssatzes seinerseits in Widerspruch zu dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, das als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit und den Grundsatz der Rechtsgleichheit einschließt. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, die Pflicht des Staates, die Sicherheit seiner Bürger und deren Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, und der Anspruch aller in Strafverfahren Beschuldigter auf Gleichbehandlung rechtfertigten es, den staatlichen Strafanspruch auch dann durchzusetzen, wenn Zweifel hinsichtlich des Tatgeschehens verbleiben, gleichzeitig aber ein strafloses Verhalten des Angeklagten sicher ausscheidet.

Kein unzulässiges Verdachtsurteil

Mit der gesetzesalternativen Verurteilung gehe kein unzulässiges Verdachtsurteil einher. Zwar seien die in der Urteilsformel aufgeführten Straftatbestände – für sich genommen – nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen. Durch die alternative Fassung des Schuldspruchs und die Darlegung der Voraussetzungen der wahlweisen Verurteilung in den Urteilsgründen komme jedoch hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass die Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage beruht.

Ungleichartige Wahlfeststellung vom Gesetzgeber gebilligt

Die angegriffenen Entscheidungen halten sich auch im Rahmen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung, so das BVerfG weiter. Die Beschwerdeführer seien daher nicht in ihrem Recht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG verletzt. Die Rechtsprechung zur ungleichartigen Wahlfeststellung greife insbesondere nicht in die Kompetenzen des Gesetzgebers ein, sondern könne sich vielmehr auf seine Billigung stützen. Der Gesetzgeber habe sich im Rahmen der Beratungen zum Dritten Strafrechtsänderungsgesetz mit der Wahlfeststellung befasst. Ausweislich der Begründung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs sollte die Frage, wie die Grenzen für die Zulässigkeit von wahlweisen Schuldfeststellungen zu ziehen sind, weiterhin der Rechtsprechung überlassen werden.

Regelung auf enge Ausnahmefälle begrenzt

Eine Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage zur Vermeidung der Gerechtigkeit widersprechender Ergebnisse sei gleichwohl nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn trotz Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen eine eindeutige Tatfeststellung und ein eindeutiger Tatnachweis nicht möglich sind. Die Möglichkeit einer Wahlfeststellung dürfe nicht dazu führen, dass die weitere Aufklärung des Tatsachenstoffs unterbleibt. Den Tatgerichten obliege es daher, bereits im Rahmen des Eröffnungsbeschlusses das Vorliegen der Voraussetzungen einer Wahlfeststellung zu überprüfen. Des Weiteren müssten die Urteilsgründe erkennen lassen, dass trotz Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten und erschöpfender Würdigung der Tatsachen und Beweise keine eindeutigen Feststellungen getroffen werden konnten.

BVerfG, Beschluss vom 05.07.2019 - 2 BvR 167/18

Redaktion beck-aktuell, 19. Juli 2019.