AfD-Kandidaten unterliegen in geheimer Mehrheitswahl
Nachdem sich die Fraktionen des 20. Deutschen Bundestages zu Beginn der Wahlperiode im Ältestenrat nicht auf die Verteilung der Ausschussvorsitze verständigen konnten, wurden diese unter den Fraktionen im sogenannten Zugriffsverfahren verteilt. Die Antragstellerin griff im Rahmen dieses Verfahrens auf die Vorsitze der Ausschüsse für Inneres und Heimat, Gesundheit sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu und schlug ihre jeweiligen Kandidaten vor. Auf Antrag der Regierungsfraktionen wurden daraufhin in den drei Ausschüssen geheime Wahlen zur Bestimmung der Ausschussvorsitzenden durchgeführt, bei denen keiner der von der Antragstellerin benannten Kandidaten die erforderliche Mehrheit erhielt. Auch in den Sitzungen der Ausschüsse am 12.01.2022 verfehlten die Kandidaten der Antragstellerin bei erneuten geheimen Wahlen die erforderlichen Mehrheiten.
Antragstellerin sieht sich in Grundrechten verletzt
Die Antragstellerin wendet sich in der Hauptsache im Weg des Organstreits gegen die Durchführung von Wahlen zur Bestimmung der Vorsitzenden der betroffenen Ausschüsse. Im Weg der einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin, die von ihr benannten Kandidaten vorläufig als Ausschussvorsitzende einzusetzen. Durch die "Veranstaltung einer ungebundenen Mehrheitswahl" zur Besetzung der ihr zustehenden Ausschussvorsitze sieht sie sich in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG auf Gleichbehandlung und auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT) sowie in einem aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG, folgenden Recht auf effektive Opposition verletzt.
BVerfG weist Eilantrag zurück
Das Bundesverfassungsgericht hat den Eilantrag abgelehnt. Zwar sei es nicht ausgeschlossen, dass die Antragstellerin in ihren organschaftlichen Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden sei, zumal der Antragstellerin gemäß § 12 GO-BT drei Ausschussvorsitze grundsätzlich zustünden. Die Klärung der Frage, ob § 58 GO-BT eine freie Wahl der Ausschussvorsitze zulasse und deshalb eine Rechtsverletzung gegenüber der Antragstellerin in Frage komme, bleibe dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Vor diesem Hintergrund komme es an dieser Stelle nicht mehr darauf an, ob darüber hinaus auch eine Verletzung der behaupteten Rechte der Antragstellerin auf effektive Opposition sowie auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung in Betracht komme. Die wegen des offenen Verfahrensausgangs zu treffende Folgenabwägung führe zur Ablehnung des Eilantrags, da nicht ersichtlich sei, dass die Antragstellerin durch die einstweilige Vorenthaltung der Ausschussvorsitze daran gehindert wäre, an der politisch-parlamentarischen Willensbildung im engeren Sinn in den betroffenen Ausschüssen mitzuwirken. Auch ohne die mit dem Amt des Ausschussvorsitzenden verbundenen Geschäftsleitungs- und Organisationsbefugnisse könne die Antragstellerin ihr Recht auf Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Deutschen Bundestages in vollem Umfang wahrnehmen. Eigenständige parlamentarische Kontrollrechte seien mit dem Ausschussvorsitz nicht verbunden.
Einstweilige Anordnung widerspräche Mehrheitswillen im jeweiligen Ausschuss
Die drohenden Nachteile einer möglichen Rechtsverletzung wären insofern nachrangig gegenüber der Ausschussvorsitzbesetzung mit Kandidaten, die das Vertrauen der Ausschussmehrheit offensichtlich nicht besäßen. Dies könne die Arbeitsfähigkeit der Ausschüsse mit Blick auf die Möglichkeiten der Ausschussmehrheit, Leitungshandlungen des Vorsitzenden zu konterkarieren, gefährden. Dabei sei nicht auszuschließen, dass sich eine solche Beeinträchtigung der Arbeit der betroffenen Ausschüsse wegen ihrer unverzichtbaren Vorarbeit für das Plenum auch auf die Funktionsfähigkeit des Bundestages insgesamt auswirken könne. Zudem griffe eine vorläufige Einsetzung von Ausschussvorsitzenden durch das BVerfG schwerwiegend in die von Art. 40 Abs. 1 GG garantierte Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages ein. Hierzu sei das BVerfG im Eilverfahren nur unter sehr strengen Voraussetzungen befugt. Schließlich beeinträchtigte die Einsetzung der von der Antragstellerin benannten Kandidaten als Ausschussvorsitzende das durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte freie Mandat der Mehrheit der Ausschussmitglieder, das auch ihr Recht auf Beteiligung an den im Parlament stattfindenden Abstimmungen umfasse. Die begehrte einstweilige Anordnung widerspräche damit dem im Wahlergebnis zum Ausdruck gekommenen Mehrheitswillen des jeweiligen Ausschusses.
Brandner kritisiert Entscheidung
Der parlamentarische Geschäftsführer und Justiziar der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Brandner, hat mit Enttäuschung auf die Entscheidung reagiert. "Heute ist mal wieder ein schlechter Tag für die parlamentarische Demokratie. Der AfD-Bundestagsfraktion wird eine faire Teilhabe an der parlamentarischen Arbeit verweigert. Wir werden weiter mit unlauteren Mitteln ausgegrenzt", teilte Brandner am Donnerstag mit. "Unverständlich bleibt, warum das Bundesverfassungsgericht für das Eilverfahren fast sechs Monate brauchte und nicht diese Zeit bereits für das Hauptsacheverfahren genutzt hat", so Brandner weiter.