Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien faktisch ausgeschlossen
Nach derzeitiger Rechtslage ist eine zur gemeinsamen Elternschaft führende Stiefkindadoption nur möglich, wenn der Stiefelternteil mit dem rechtlichen Elternteil verheiratet ist. Demgegenüber kann der Stiefelternteil in nichtehelichen Stiefkindfamilien die Kinder des rechtlichen Elternteils nicht adoptieren, ohne dass die Verwandtschaft der Kinder zu diesem erlischt (§§ 1754 Abs. 1 und Abs. 2, 1755 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB). Das Kind hätte dann nur noch den Stiefelternteil als rechtlichen Elternteil, was typischerweise nicht im Interesse der Beteiligten liegt. Die Stiefkindadoption ist dadurch nach geltendem Recht in nichtehelichen Familien faktisch ausgeschlossen. Zwischen dem nicht verheirateten Stiefelternteil und dem Kind bestehen keine besonderen gesetzlichen Rechtsbeziehungen. Das gilt auch dann, wenn der Stiefelternteil mit dem anderen Elternteil und dem Kind in sozial-familiärer Beziehung lebt. Der nicht verheiratete Stiefelternteil ist weder sorgeberechtigt noch -verpflichtet. Auch nach dem Tod des rechtlichen Elternteils oder einer Trennung bestehen im Stiefeltern-Kind-Verhältnis, abgesehen von der nach § 1685 Abs. 2 BGB möglichen Umgangsregelung, keine besonderen gesetzlichen Rechtsbeziehungen.
Mann will Kinder seiner Lebenspartnerin adoptieren
Der mit der Kindesmutter verheiratete leibliche Vater der beiden Kinder, um deren Annahme es geht, verstarb 2006. Seit 2007 lebt sie mit einem neuen Partner in nichtehelicher Lebensgemeinschaft. Das Paar hat davon abgesehen, die Ehe zu schließen, weil die Frau eine Witwenrente bezieht, die sie als einen wesentlichen Teil ihrer Existenzgrundlage betrachtet und die sie durch die Wiederverheiratung verlöre. Die beiden haben einen gemeinsamen, im Jahr 2009 geborenen Sohn. Das Amtsgericht wies den Antrag auf Ausspruch der Annahme der beiden Kinder der Frau als gemeinschaftliche Kinder zurück. Die Beschwerde zum Oberlandesgericht und die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof blieben erfolglos. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügten die Beschwerdeführer, durch die Regelungen des BGB zur Adoption unter anderem in ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt zu sein.
BVerfG: Kinder in nichtehelichen Stiefkindfamilien ungerechtfertigt benachteiligt
Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Laut BVerfG verstößt die derzeitige Rechtslage gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie führe zu einer Ungleichbehandlung von Kindern in nichtehelichen Stiefkindfamilien gegenüber Kindern in ehelichen Stiefkindfamilien. Denn sie könnten im Gegensatz zu Kindern in ehelichen Stiefkindfamilien vom Stiefelternteil nicht unter Aufrechterhaltung des Verwandtschaftsverhältnisses zum rechtlichen Elternteil adoptiert und damit zugleich gemeinschaftliches Kind beider Elternteile werden, mit denen es in nichtehelicher Stiefkindfamilie zusammenlebe. Diese Benachteiligung hält das BVerfG für nicht gerechtfertigt.
Strengerer Prüfungsmaßstab anzuwenden: Adoption für Persönlichkeitsentfaltung des Kindes bedeutsam
Dabei wendet das BVerfG einen strengeren Prüfungsmaßstab an, weil die Adoption für die Persönlichkeitsentfaltung wesentliche Grundrechte des Kindes, nämlich dessen Recht auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte familiäre Zusammenleben des Kindes mit seinen Eltern betreffe, und ihr Ausschluss insgesamt zu dessen Nachteil sei. Überdies sei das nach derzeitiger Rechtslage maßgebliche Differenzierungskriterium, die Ehe zwischen Elternteil und Stiefelternteil, durch die Kinder weder beinflussbar noch sei den Kindern der Eheverzicht der Eltern zuzurechnen.
Generelle Bedenken gegen Stiefkindadoption bereits kein legitimer Zweck
Diesen strengeren Rechtfertigungsanforderungen genügten die angegriffenen Regelungen nicht, so das BVerfG weiter. Generelle Bedenken gegen die Stiefkindadoption könnten die Benachteiligung von Kindern in nichtehelichen Stiefkindfamilien von vornherein nicht rechtfertigen, weil sie keine spezifischen Probleme der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien betreffen, sondern für eheliche und nichteheliche Stiefkindfamilien gleichermaßen gelten.
Aufwachsen unter ungünstigen familiären Bedingungen durch Adoptionsausschluss nicht zu verhindern
Hingegen sei der vom Gesetzgeber mit dem Ausschluss der Stiefkindadoption verfolgte Zweck zu verhindern, dass ein Kind unter ungünstigen familiären Bedingungen aufwachsen muss, zwar legitim. Dieses Ziel könne in der konkreten Situation des Stiefkindes durch den Adoptionsausschluss jedoch schon deshalb nicht erreicht werden, weil das Kind in aller Regel bereits mit dem Eltern- und dem Stiefelternteil in einer konkreten Familie lebt. Sofern der rechtliche Elternteil des Kindes mit dem Stiefelternteil nicht verheiratet sei, stehe dem Kind die eheliche Familie schlicht nicht zur Verfügung.
Beschränkung der Stiefkindadoption auf stabile Lebensgemeinschaften zwar legitim
Für legitim erachtet das BVerfG auch den mit dem Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien verfolgten Zweck, die Stiefkindadoption nur in Stabilität versprechenden Lebensgemeinschaften zuzulassen. So lasse sich das Kind vor Nachteilen schützen, mit denen es gerade infolge der Adoption belastet sein könnte, falls sich Elternteil und Stiefelternteil wieder voneinander trennten, noch bevor sich eine nachhaltige Beziehung zwischen dem Stiefelternteil und dem Kind habe bilden können, das Kind dann aber wegen der Adoption an den Stiefelternteil über die Trennung der Eltern hinaus gebunden bliebe.
Vollständiger Ausschluss in nichtehelichen Familien aber unverhältnismäßig
Indessen sei der vollständige Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien kein angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks, so das BVerfG. Zwar sei verfassungsrechtlich nichts dagegen einzuwenden, dass der Gesetzgeber im Adoptionsrecht die Ehelichkeit der Elternbeziehung als Indikator für Stabilität verwendet. Seien die Eltern die Ehe eingegangen, spreche dies für einen über einen kurzfristigen Beziehungswunsch hinausgehenden Bindungswillen und damit für die Stabilität der Beziehung. Die gesetzliche Regelung sei jedoch nicht geeignet, stabile nichteheliche Stiefkindfamilien zu erfassen, weil sie die Ehelichkeit der Elternbeziehung als notwendigen Stabilitätsindikator verwendet und nicht zulässt, eine Stabilitätserwartung alternativ durch andere Indikatoren zu begründen.
Schutz vor nachteiliger Adoption kann auch anders hinreichend wirksam gesichert werden
Soweit der durch einen vollständigen Adoptionsausschluss in nichtehelichen Stiefkindfamilien erzielbare Schutz der Kinder wirksamer sei als der Schutz, der sich mit einer auf konkretere Stabilitätsprognosen im Einzelfall abstellenden Adoptionsregelung erzielen lasse, wiege dies die Nachteile nicht auf, die Kindern in nichtehelichen Stiefkindfamilien dadurch entstehen könnten, dass ihnen die Adoption auch dann versperrt bleibe, wenn die Beziehung der Eltern stabil ist und die Adoption insgesamt ihrem Wohl diente. Der Schutz des Stiefkindes vor einer nachteiligen Adoption lasse sich hinreichend wirksam mit einer auf konkretere Stabilitätsprognosen abstellenden Adoptionsregelung sichern, in deren Rahmen der Gesetzgeber nicht gehindert sei, an nichteheliche Lebensgemeinschaften solche Stabilitätserwartungen zu stellen, wie sie Ehen berechtigterweise entgegengebracht werden dürften.
Vollständiger Ausschluss nicht durch Vereinfachungs- und Typisierungsbefugnisse des Gesetzgebers gerechtfertigt
Das BVerfG sieht den vollständigen Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien auch nicht durch Vereinfachungs- und Typisierungsbefugnisse des Gesetzgebers gerechtfertigt. Der Gesetzgeber dürfe typisierende Regelungen zwar auch jenseits der Regelung von Vorgängen der Massenverwaltung, zu denen die Prüfung der Adoptionsvoraussetzungen offensichtlich nicht zähle, verwenden, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Benachteiligung Einzelner gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Sei eine Regelung über ungewisse Umstände oder Geschehnisse zu treffen, die sich - wie hier die Bestandsfestigkeit einer Paarbeziehung - selbst bei detaillierter Einzelfallbetrachtung nicht mit Sicherheit bestimmen ließen, könne es zur Rechtssicherheit beitragen, wenn der Gesetzgeber Rechtsfolgen typisierend an klarer zu fassende Tatbestandsvoraussetzungen knüpft, die - als Stellvertretermerkmale - die ungewissen Umstände oder Geschehnisse möglichst genau erfassen. Die mit einer Typisierung verbundene Ungleichbehandlung sei allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, die hier nicht erfüllt seien.
Nichteheliche Familie als weitere Familienform gesellschaftlich etabliert
Laut BVerfG liegt dem strikten Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Stiefkindfamilien nicht realitätsgerecht der typische Fall als Maßstab zugrunde. Die nichteheliche Familie habe sich mehr und mehr als weitere Familienform neben der ehelichen Familie etabliert. Es gebe keine Erkenntnisse, die heute die Annahme rechtfertigten, dass die Paarbeziehung innerhalb einer nichtehelichen Stiefkindfamilie typischerweise besonders fragil und nur in einer kleinen Zahl von Fällen stabil wäre. Die Regelung treffe damit nicht nur zu einem verhältnismäßig geringen Teil die Falschen, sondern werde immer wieder Stiefkindfamilien betreffen, die länger Bestand haben, so dass ein tragfähiges Eltern-Kind-Verhältnis entsteht und die Annahme des Kindes durch den Stiefelternteil dem Kindeswohl dienlich wäre. Das Ausmaß der Ungleichbehandlung sei zudem intensiv. Für die Kinder entscheide sich anhand des Familienstands ihrer Eltern, ob sie ihren sozialen Elternteil als rechtlichen Elternteil erhalten können oder nicht. Die Härte ließe sich schließlich ohne übermäßige Schwierigkeiten vermeiden. Es wäre möglich, die Kindeswohldienlichkeit auch in dieser Konstellation im Einzelfall zu prüfen und dabei statt oder neben dem Ehekriterium alternative Stabilitätsindikatoren wie etwa die bisherige Beziehungsdauer zu verwenden.
Wertentscheidung zugunsten der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG rechtfertigt Benachteiligung ebenfalls nicht
Die unterschiedliche Behandlung von Stiefkindern in ehelichen und nichtehelichen Familien sei im Ergebnis auch nicht durch die in Art. 6 Abs. 1 GG zugunsten der Ehe enthaltene Wertentscheidung gerechtfertigt. Ob die adoptionsrechtliche Benachteiligung nichtehelicher Lebensgemeinschaften gegenüber verheirateten Paaren trotz der Möglichkeit, die angestrebte Adoption nach Eheschließung zu realisieren, einen eigenständigen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG begründe, könne hier offenbleiben, weil die Verhinderung der Stiefkindadoption jedenfalls die betroffenen Kinder in nicht gerechtfertigter Weise benachteiligt und damit bereits aus diesem Grunde verfassungswidrig ist.