BVerfG: Vizepräsident Ferdinand Kirchhof entscheidet über Verfassungskonformität des Rundfunkbeitrags mit

Vizepräsident Ferdinand Kirchhof wird über die beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen die Erhebung des Rundfunkbeitrags mitentscheiden. Er sei aufgrund des Umstands, dass sein Bruder Paul Kirchhof ein Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags erstattet habe, weder von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen noch befangen, entschied das BVerfG mit Beschluss vom 24.04.2018 (Az.: 1 BvR 745/17, 1 BvR 981/17).

Bruder Ferdinand Kirchhofs verfasste Gutachten zum Rundfunkbeitrag

Der Einführung des Rundfunkbeitrags gingen mehrjährige Reformüberlegungen voraus. Dabei wurden mehrere Modelle zur Reform der früheren Rundfunkgebühr erörtert. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit eines dieser Modelle erstattete unter anderem der Finanzverfassungsrechtler und ehemalige Richter im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts Paul Kirchhof 2010 im Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio ein Gutachten. In dem Gutachten wird die Verfassungsmäßigkeit einer geräteunabhängigen Wohnungs- und Betriebsstättenabgabe bejaht. In der Gesetzesbegründung zu den Umsetzungsgesetzen des Rundfunkbeitragstaatsvertrags verwiesen die Gesetzgeber unter anderem auch auf dieses Gutachten.

Beschwerdeführer halten Ferdinand Kirchhof für befangen

Beim Ersten Senat sind derzeit mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Erhebung des Rundfunkbeitrags anhängig, eine mündliche Verhandlung ist auf den 16. und 17.05.2018 anberaumt. Zwei der Beschwerdeführer haben angeregt, den Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof wegen Verwandtschaft mit einem an der Sache Beteiligten von der Ausübung des Richteramts auszuschließen und ersatzweise beantragt, ihn wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

BVerfG: Kein Ausschlussgrund - Paul Kirchhof kein an der Sache Beteiligter

Das BVerfG hat entschieden, dass Vizepräsident Kirchhof nicht von der Ausübung des Richteramts nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG ausgeschlossen ist. Zwar sei Paul Kirchhof als Bruder Ferdinand Kirchhofs mit diesem in der Seitenlinie im zweiten Grade verwandt. Er sei jedoch kein Beteiligter des Verfahrens im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG, da es an der vom BVerfGG für den Ausschluss vorausgesetzten engen, konkreten Beziehung Paul Kirchhofs zum Gegenstand des Verfahrens fehlt. Eine solche folge nicht aus dem Umstand, dass Paul Kirchhof in einem Rechtsgutachten einen wohnungs- und betriebsstättenbezogenen Rundfunkbeitrag verfassungsrechtlich befürwortet und damit einen Anstoß für die Einführung der gegenwärtigen Regelung geschaffen hat. Es seien keinerlei relevante unmittelbare Vorteile oder Nachteile erkennbar, die Paul Kirchhof aus einer Entscheidung des Senats erwachsen könnten. 

Ablehnungsgesuche unbegründet

Die Ablehnungsgesuche hat das BVerfG als unbegründet zurückgewiesen. Die Ablehnung eines Richters nach § 19 BVerfGG setze voraus, dass ein Grund vorliegt, der Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit rechtfertigen kann. Entscheidend sei dabei ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Allerdings könne eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 19 BVerfGG nicht aus den allgemeinen Gründen hergeleitet werden, die nach der ausdrücklichen Regelung des § 18 Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG einen Ausschluss von der Ausübung des Richteramts nicht rechtfertigen. Es wäre ein Wertungswiderspruch, könnte gerade wegen dieser Gründe dennoch ein Richter über eine Befangenheitsablehnung von der Mitwirkung ausgeschlossen werden. Daher müsse stets etwas Zusätzliches gegeben sein, damit eine Besorgnis der Befangenheit als begründet erscheinen kann.

Verwandtschaft allein begründet keine Besorgnis der Befangenheit

Laut BVerfG liegen solche zusätzlichen Umstände in der Person Ferdinand Kirchhofs nicht vor. Es komme für sich genommen nicht darauf an, ob Paul Kirchhof nach den Ausführungen der Antragsteller über die Erstattung des Gutachtens hinaus in besonderem Maße mit den Regelungen des Rundfunkbeitragstaatsvertrags in Verbindung gebracht werden kann, als deren "Urheber" anzusehen ist und eine besondere Gewähr für die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung übernommen hat. Denn im Rahmen des § 19 BVerfGG müssten die zusätzlichen Umstände, die geeignet sein sollen, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit zu rechtfertigen, in der Person des abgelehnten Richters vorliegen. Allein eine Verwandtschaft begründe keine Besorgnis der Befangenheit.

Gutachtenerstellung statt bloße wissenschaftliche Meinungsäußerung stellt Unparteilichkeit nicht infrage

Etwaige Umstände, die eine besondere Verbindung Paul Kirchhofs zur streitgegenständlichen Regelung belegen sollen, könnten die Besorgnis der Befangenheit nach § 19 BVerfGG daher nur dann begründen, wenn dadurch auch die Unparteilichkeit Ferdinand Kirchhofs berührt wäre, so das BVerfG weiter. Wenn die Antragsteller insoweit meinten, Ferdinand Kirchhof könne der streitbefangenen Rechtsfrage nicht mehr mit der Unbefangenheit gegenübertreten, wie wenn sein Bruder Paul Kirchhof ohne Gutachtenauftrag lediglich seine wissenschaftliche Meinung geäußert hätte, stelle dies - unabhängig von der Überzeugungskraft dieser Differenzierung - keinen besonderen Umstand dar, der die Unparteilichkeit Ferdinand Kirchhofs in Zweifel ziehen könnte.

BVerfG, Beschluss vom 24.04.2018 - 1 BvR 745/17

Redaktion beck-aktuell, 3. Mai 2018.

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