BVerfG verlangt von Gericht weitere Aufklärung über Foltergefahr für verurteilten Terrorunterstützer bei Abschiebung

Vor Abschiebungen müssen Gerichte bei gewichtigen Anhaltspunkten für drohende Folter oder unmenschliche Haftbedingungen die Verhältnisse im Abschiebungszielstaat weiter aufklären und gegebenenfalls Zusicherungen der zuständigen Behörden einholen, um eine menschenrechtskonforme Behandlung sicherzustellen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 18.12.2017 bekräftigt. Es gab damit der Verfassungsbeschwerde eines verurteilten Terrorunterstützers teilweise statt, der in die Türkei abgeschoben werden soll, und verwies die Sache an das Verwaltungsgericht Gießen zurück (Az.: 2 BvR 2259/17).

Ausweisung nach Verurteilung wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung

Der in Deutschland geborene und aufgewachsene Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Das Kammergericht verurteilte ihn 2015 unter anderem wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, weil er sich salafistischen Kreisen angeschlossen und in Syrien der terroristischen Vereinigung Junud al-Sham erhebliche Geld- und Sachleistungen überlassen hatte. Die Ausländerbehörde wies den Beschwerdeführer im Juni 2016 aus der Bundesrepublik aus, drohte die Abschiebung in die Türkei an. Den Eilantrag des Beschwerdeführers lehnte das Verwaltungsgericht ab. Die Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof blieb erfolglos.

Beschwerdeführer beantragte Asyl und machte drohende Folter geltend

Zusätzlich stellte der Beschwerdeführer im August 2017 einen Asylantrag, der als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Dagegen beantragte der Beschwerdeführer Eilrechtsschutz und trug vor, gegen ihn sei in der Türkei ein Strafverfahren wegen Unterstützung des islamistischen Terrorismus anhängig und es drohe ihm Folter. Er legte zur Begründung seines Antrags ein Schreiben von amnesty international vor, wonach die deutsche Sektion Ende Juli 2017 von dem Vater eines in der Türkei als Terrorverdächtiger inhaftierten türkischen Staatsangehörigen Hinweise darauf erhalten habe, dass sein Sohn seit einiger Zeit zusammen mit den Mitgefangenen schwer geschlagen und gefoltert werde. Jede ärztliche Versorgung werde den Gefangenen verweigert, die in Zellen voller menschlicher Fäkalien untergebracht seien.

VG sah keine ausreichenden Anhaltspunkte für drohende Folter

Das VG lehnte den Eilantrag mit Beschluss vom 21.09.2017 ab. Wie der VGH im ausweisungsrechtlichen Verfahren zu Recht festgestellt habe, drohe lediglich Angehörigen der kurdischen PKK oder der Gülen-Bewegung Folter. An Anhaltspunkten für eine beachtliche Gefahr von Folter oder menschenrechtswidriger Behandlung im Falle des Beschwerdeführers fehle es jedoch. Der Beschwerdeführer legte anschließend Verfassungsbeschwerde ein und rügte unter anderem eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

BVerfG: Gerichte müssen in Abschiebungsfällen Foltergefahr bei ernstlichen Hinweisen aufklären

Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, soweit der Beschwerdeführer mit ihr die VG-Entscheidung vom 21.09.2017 angegriffen hatte. Der Beschluss verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Im Übrigen hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Lägen ernsthafte Anhaltspunkte für eine Foltergefahr vor, geböten es die Verfassung und die Europäische Menschenrechtskonvention, dass sich die zuständigen Behörden und Gerichte vor einer Rückführung in den Zielstaat über die dortigen Verhältnisse informieren und gegebenenfalls Zusicherungen der zuständigen Behörden einholen, die die Gefahr einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung wirksam ausschließen.

Ernstliche Hinweise auf drohende Folter gegeben

Laut BVerfG wird die angegriffene Entscheidung diesen Maßgaben nicht gerecht. Die Begründung des VG, ausreichende Anhaltspunkte für eine Foltergefahr oder menschenrechtswidrige Haftbedingungen fehlten, da nur kurdische Aktivisten und Anhänger der Gülen-Bewegung, nicht aber Unterstützer des islamistischen Terrorismus mit menschenrechtswidriger Behandlung rechnen müssten, verfehle die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Mit Blick auf das Schreiben von amnesty international und insbesondere vor dem Hintergrund der als gerichtsbekannt einzustufenden allgemeinen Erkenntnisse zur politischen Situation in der Türkei hätte das VG den Sachverhalt weiter aufklären oder Zusicherungen der türkischen Behörden zur Behandlung des Beschwerdeführers einholen müssen. Denn es habe damit ernsthafte Anhaltspunkte dafür gegeben, dass auch im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Unterstützung des islamistischen Terrorismus und damit auch in Bezug auf den Beschwerdeführer eine Foltergefahr bestehe.

Menschenrechtswidrige Haftbedingungen in Türkei ebenfalls wahrscheinlich

Auch in Anbetracht der obergerichtlichen Rechtsprechung zu den Haftbedingungen in der Türkei habe das VG nicht ohne Weiteres davon ausgehen können, dass dem Beschwerdeführer nach der Abschiebung keine menschenrechtswidrige Behandlung drohte. Im Hinblick auf den festgestellten Verstoß gegen die aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgende Aufklärungspflicht bedürfe die weitere Frage, ob Personen, die islamistischen terroristischen Organisationen zuzurechnen seien, in der Türkei generell mit Folter zu rechnen haben, im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren keiner Entscheidung.

BVerfG, Beschluss vom 18.12.2017 - 2 BvR 2259/17

Redaktion beck-aktuell, 9. Januar 2018.

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