Verzögerte Besoldungsanpassungen für sächsische Beamte der Besoldungsgruppen A 10 aufwärts
Der Freistaat Sachsen hat zum 01.01.2008 die Angleichung der Ostbesoldung an das Westniveau für Beamte der Besoldungsgruppen bis A 9 vollzogen. Für die Besoldungsgruppen ab A 10 aufwärts lief die abgesenkte Ostbesoldung dagegen erst zum 01.01.2010 aus. Um zu verhindern, dass ein Beamter der Besoldungsgruppe A 10 geringere Dienst- oder Versorgungsbezüge als ein vergleichbarer Beamter der Besoldungsgruppe A 9 erhielt, wurde der Unterschiedsbetrag zwischen der Besoldung nach Besoldungsgruppe A 9 (West) und der Besoldung nach Besoldungsgruppe A 10 (Ost) zuzüglich eines Betrages in Höhe von 10 Euro als Zulage gewährt. Sofern ein Beamter der Besoldungsgruppe A 10 gleich hohe oder geringfügig höhere Bezüge hatte als ein vergleichbarer Beamter der Besoldungsgruppe A 9, wurde die Zulage nicht gewährt. Zusätzlich zu dem um zwei Jahre späteren Auslaufen der Ostbesoldung wurde für alle Besoldungsgruppen ab A 10 aufwärts die Besoldungsanpassung 2008 um 2,9% um vier Monate hinausgeschoben.
Beschwerdeführer rügten Verletzung ihrer Rechte
Die Beschwerdeführer, zwei sächsische Polizeioberkommissare der Besoldungsgruppe A 10, erhielten die abgesenkten Bezüge der Ostbesoldung. Für den zum 31.12.2007 in den Ruhestand getretenen Beschwerdeführer in dem Verfahren 2 BvR 905/14 setzte sich die Absenkung in dessen Versorgungsbezügen fort. Darüber hinaus betraf beide Beschwerdeführer die Verzögerung der Besoldungsanpassung im Jahr 2008 um vier Monate. Nach erfolglosen Widersprüchen blieben auch die auf volle Besoldung beziehungsweise Versorgung gerichteten Klagen beider Beschwerdeführer in allen drei Instanzen erfolglos. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügten die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 33 Abs. 5 GG.
BVerfG sieht durch verzögerte Übertragung der Tarifergebnisse ungerechtfertigte Benachteiligung
Laut BVerfG verletzt die Verzögerung der Besoldungsanpassung in Höhe von 2,9% um vier Monate die Rechte der Beschwerdeführer aus Art. 33 Abs. 5 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG. Die betroffenen Beamten der Besoldungsgruppen A 10 aufwärts seien ohne erkennbaren sachlichen Grund im Vergleich zu den Beamten bis zur Besoldungsgruppe A 9, die von der Besoldungsanpassung schon zum 01.05.2008 profitiert hätten, benachteiligt worden. Der sächsische Besoldungsgesetzgeber könne sich insbesondere nicht darauf berufen, dass eine grundlegende Neuregelung des Besoldungssystems Gegenstand der Gesetzesänderung gewesen und ihm daher ein besonders weiter Gestaltungsspielraum einzuräumen sei. Ausweislich der Gesetzesbegründung habe die verzögerte Besoldungsanpassung allein der Erzielung von Einsparungen dienen sollen. Mit der Verzögerung einer Besoldungsanpassung habe der Besoldungsgesetzgeber lediglich durch Einzelmaßnahmen den Empfängern ausgewählter Besoldungsgruppen einen "weiteren Beitrag zur haushaltsgemäßen Konsolidierung" abverlangt.
Kein sozialverträglicher Sparbeitrag: Nicht nur Empfänger höherer Bezüge betroffen
Die verzögerte Übertragung der Tarifergebnisse im Jahr 2008 für die Besoldungsgruppen ab A 10 aufwärts lasse sich auch nicht als sozialverträglicher Sparbeitrag höherer Besoldungsgruppen rechtfertigen, so das BVerfG weiter. Zwar erscheine auf den ersten Blick die Begründung nachvollziehbar, dass Empfänger höherer Bezüge von der allgemeinen Teuerung, zu deren Ausgleich die lineare Erhöhung der Besoldung und Versorgung beitragen solle, weniger stark betroffen seien als Empfänger niedriger Bezüge. Allerdings trage diese Argumentation gerade im vorliegenden Kontext nicht, da die angegriffene Maßnahme nicht ausschließlich Empfänger höherer Bezüge betrifft. Jedenfalls bei den der Besoldungsgruppe A 10 zugehörigen Beamten handele es sich offensichtlich nicht um Empfänger höherer Bezüge.
Anpassung nur für niedrigere Besoldungsgruppen grundsätzlich unzulässig
Wie das BVerfG darlegt, verpflichte das Alimentationsprinzip den Besoldungsgesetzgeber zudem dazu, sich bei der Bemessung der Besoldung - für alle Beamten - an der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und dem allgemeinen Lebensstandard zu orientieren. Dass allein die Finanzlage der öffentlichen Haushalte oder das Ziel der Haushaltskonsolidierung den Grundsatz der amtsangemessenen Alimentierung nicht einschränken könne, gelte ebenfalls für alle Beamten. Die verfassungsrechtlich geschuldete Alimentierung sei nicht eine dem Umfang nach beliebig variable Größe, die sich einfach nach den "wirtschaftlichen Möglichkeiten" der öffentlichen Hand oder nach den politischen Dringlichkeitsbewertungen hinsichtlich der verschiedenen vom Staat zu erfüllenden Aufgaben oder nach dem Umfang der Bemühungen um die Verwirklichung des allgemeinen Sozialstaatsprinzips bemessen lasse. Wenn der Besoldungsgesetzgeber für niedrigere Besoldungsgruppen eine Anpassung in bestimmter Höhe als für eine amtsangemessene Alimentation erforderlich erachte, müsse er sich daran für alle Beamten festhalten lassen, sofern er mit der Differenzierung keine Umgestaltung des Besoldungssystems oder eine Neubewertung von Statusämtern vornehme.
Kein Ausnahmefall gegeben: Verzögerte Anpassung lediglich einmaliger Sparbeitrag
Dem BVerfG zufolge liegt auch kein Ausnahmefall vor, der die Maßnahme des Besoldungsgesetzgebers verfassungsrechtlich rechtfertigten könnte. Die verzögerte Besoldungsanpassung stelle sich für die Besoldungsgruppen A 10 aufwärts nicht als Teil eines schlüssigen Gesamtkonzepts zur Sanierung des sächsischen Haushalts dar, sondern als einmaliger Sparbeitrag. Andere mit Verfassungsrang ausgestattete kollidierende Wertentscheidungen, die zu berücksichtigen wären, seien nicht ersichtlich. Insbesondere könnten im vorliegenden Zusammenhang keine besonderen sozialen Belange zu einer ausnahmsweisen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Maßnahme führen.
Verzögerte West-Angleichung bei "A 10 aufwärts"-Beamten ebenfalls verfassungswidrig
Auch die differenzierte Angleichung an das West-Besoldungsniveau bei Beamten mit einem Amt bis zur Besoldungsgruppe A 9 einerseits und bei Beamten und Richtern mit einem höheren Amt andererseits hat das BVerfG für verfassungswidrig erachtet. Die West-Angleichung als solche könne zwar als Systemwechsel angesehen werden, weil darin die endgültige Abkehr von einer mit Rücksicht auf die Folgen der Deutschen Einheit über Jahre hinweg bestehenden Differenzierung zu sehen ist. Die Entscheidung für eine differenzierte West-Angleichung betreffe aber die Art und Weise der Gestaltung dieses Systemwechsels und laufe somit auf eine bloße haushalterisch motivierte Einzelmaßnahme hinaus.
Abstandsgebot beeinträchtigt
Das BVerfG führt aus, dass durch die angegriffene Maßnahme der Abstand zwischen den Besoldungsgruppen A 9 und A 10 (Ost) eingeebnet werde. Damit sei das Abstandsgebot beeinträchtigt. Die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen A 9 (Ost) und A 10 (Ost) hätten vor der Differenzierung mit Wirkung zum 01.01.2008 im Mittel aller einander entsprechenden Stufen bei 223,75 Euro oder 10,66% gelegen. Nach der West-Angleichung der Besoldungsgruppe A 9 zum 01.01.2008 hätten die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen A 9 und A 10 (Ost) im Mittel aller einander entsprechenden Stufen bei 55,88 Euro oder 2,36% gelegen. Die gewährte Zulage falle vor diesem Hintergrund nicht nennenswert ins Gewicht, zumal diese nur gewährt worden sei, wenn die Dienstbezüge nach A 10 geringer gewesen seien als die Dienstbezüge nach A 9.
Einebnung des Abstands nicht gerechtfertigt
Für diese Beeinträchtigung des Abstandsgebots fehlt es laut BVerfG an einer sachlichen Rechtfertigung. Insbesondere lasse sich die Differenzierung nicht durch eine besondere und einmalige Situation am Ende des Transformationsprozesses der Wiederherstellung der deutschen Einheit rechtfertigen. Zwar mögen die Unterschiede in der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit der Länder zum Teil noch immer Ausdruck eines Transformationsprozesses Ostdeutschlands sein. 18 Jahre nach der Wiedervereinigung hätten jedoch diese - ebenso von zahlreichen anderen Entwicklungen beeinflussten - Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland schon allein aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen der vorliegenden Art herangezogen werden können.
Sächsischer Besoldungsgesetzgeber war in vergleichbarer Lage wie weniger leistungsstarke westdeutsche Länder
Entsprechend differenzierende Besoldungsregelungen ließen sich lediglich als Übergangsregelungen hinnehmen, um für eine begrenzte Zeit auf eine außergewöhnliche Situation wie die der Wiedervereinigung zu reagieren. Der sächsische Besoldungsgesetzgeber habe sich beim Übergang der Besoldungsgesetzgebungskompetenz durch die Föderalismusreform zum 01.09.2006 jedoch in einer vergleichbaren Situation wie die Besoldungsgesetzgeber anderer weniger leistungsstarker westdeutscher Länder befunden. Folglich sei ihm im Rahmen von Art. 33 Abs. 5 GG auch nur ein vergleichbarer Gestaltungsspielraum eröffnet gewesen.