Verpflichtende Beteiligung von Anwohnern und Gemeinden bei Windparks grundsätzlich zulässig
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Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23.03.2022 das mecklenburg-vorpommersche Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz, das Betreiber von Windenergieanlagen verpflichtet, Anwohner und standortnahe Kommunen am Projekt über Gesellschaftsanteile oder alternativ über Sparprodukte bzw. Zahlung einer Ausgleichsabgabe zu beteiligen, ganz überwiegend bestätigt. Die Pflichten seien zum Zwecke des Klimaschutzes, des Schutzes vor dem Klimawandel und der Sicherung der Stromversorgung gerechtfertigt.

Verpflichtende Beteiligung von Anwohnern und Gemeinden bei Windparks

In Mecklenburg-Vorpommern verpflichtet das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz (BüGembeteilG) von 2016 Betreiber von Windenergieanlagen, beim Bau neuer Windparks an Land eine Projektgesellschaft zu gründen und mindestens 20% der Anteile den Anwohnern und Kommunen im Umkreis von fünf Kilometern anzubieten. Ein Anteil darf dabei maximal 500 Euro kosten. Alternativ können Projektträger den Gemeinden eine jährliche "Ausgleichsabgabe" und den Bürgerinnen und Bürgern ein risikoärmeres Sparprodukt wie eine Festgeldanlage anbieten. Die Höhe der Abgabe und die Verzinsung des Sparprodukts bemessen sich nach dem Ertrag der Projektgesellschaft. Zur Zahlung der Abgabe kommt es aber nur dann, wenn die Gemeinden auf eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung an der Projektgesellschaft verzichten. Beschwerdeführerin war ein Windenergie-Unternehmen, das unter anderem eine Verletzung seiner Berufsfreiheit gerügt hatte.

Regelung in Mecklenburg-Vorpommern bislang bundesweit einmalig

Die Regelung in Mecklenburg-Vorpommern ist bislang bundesweit einmalig. Auf Bundesebene können Windpark-Betreiber die betroffenen Kommunen seit 2021 auf freiwilliger Basis finanziell beteiligen. Anteile für die Anwohner sind nicht vorgesehen. Die einzelnen Bundesländer können aber gemäß § 36g Abs. 5 EEG weitergehende Regelungen erlassen. In Brandenburg sind Projektträger etwa verpflichtet, Gemeinden in einem Drei-Kilometer-Radius jährlich 10.000 Euro zu zahlen. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) hat kürzlich ein umfassendes Maßnahmenpaket zum Ökostrom-Ausbau vorgestellt. Darin ist vorgesehen, dass die finanzielle Beteiligung der Kommunen "maßvoll überarbeitet" und weiterentwickelt wird.

BVerfG: Land gesetzgebungsbefugt

Das BVerfG hat das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz ganz überwiegend als verfassungskonform bestätigt. Das Land sei dafür gesetzgebungsbefugt gewesen. Das Gesetz unterfalle der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. Dort sei es dem Teilbereich "Energiewirtschaft" und nicht dem vom Bund bereits umfassend geregelten "Gesellschaftsrecht" zuzuordnen. Bundesgesetzliche Regelungen entfalteten keine Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG, auch wegen der im EEG enthaltenen Öffnungsklausel zugunsten weitergehender landesrechtlicher Regelungen zur Bürgerbeteiligung und zur Steigerung der Akzeptanz für den Bau neuer Windenergieanlagen. Derselben Kompetenz unterfalle auch die alternative Abgabe an Gemeinden, die nach der gesetzlichen Zweckbindung allein zur Steigerung der Akzeptanz neuer Windenergieanlagen verwendet werden darf.

Pflichten dienen wichtigen Gemeinwohlbelangen

Das BVerfG sieht in den Pflichten zur Gründung von Projektgesellschaften und zur direkten oder alternativ indirekten Beteiligung von Anwohnern und standortnahen Gemeinden zwar einen schwerwiegenden Eingriff in die Berufsfreiheit der Projektträger. Der Eingriff sei aber durch bedeutende Gemeinwohlbelange gerechtfertigt. Die Pflichten dienten unmittelbar der Verbesserung der Akzeptanz für neue Windenergieanlagen an Land zur Förderung des weiteren Ausbaus dieser erneuerbaren Energie. Damit diene das Gesetz den legitimen Gemeinwohlzielen des Klimaschutzes (Art. 20a GG), des Schutzes der Grundrechte vor den nachteiligen Folgen des Klimawandels und der Sicherung der Stromversorgung. Insoweit bestehe ein erhöhter Bedarf infolge der durch das Klimaschutzziel des Art. 20a GG gebotenen Rückführung der Stromgewinnung durch Verbrauch fossiler Energieträger bis hin zur Klimaneutralität bei gleichzeitigem Atomausstieg. Außerdem könne Deutschland unabhängiger von Importen werden und die Eigenversorgung stärken.

Pilotcharakter verstärkt Gemeinwohlbedeutung

Die Bedeutung der Maßnahme für den Klimaschutz und den Schutz vor den Folgen des Klimawandels werde nicht dadurch geschmälert, dass sie regional begrenzt und ihre Wirkung angesichts der gegenwärtig global emittierten Gesamtmenge an CO2 offensichtlich sehr gering sei. Das BVerfG unterstreicht, dass es auf eine Gesamtbetrachtung der durch gleichartige Maßnahmen erzielten oder erzielbaren Strommenge ankomme. Gemeinwohlverstärkend könne sich insoweit insbesondere auswirken, dass Maßnahmen wegen ihres Pilotcharakters länderübergreifende Bedeutung haben. Das sei hier der Fall. Offenkundig stoße der Ausbau der Windenergie an Land auf Akzeptanzprobleme. Das Gesetz könne als Modell für vergleichbare Regelungen zur Sicherung einer akzeptanzsteigernden bürgerschaftlichen und kommunalen Beteiligung am Ausbau der Windenergie dienen. Außerdem könne auch eine durch einzelne Maßnahmen bewirkte Verbesserung der nationalen Emissionsbilanz zum Gelingen des globalen Klimaschutzes beitragen. Auch hinsichtlich der Sicherung der Stromversorgung betont das BVerfG den gemeinwohlverstärkenden Pilotcharakter der Maßnahme.

Regelungen auch verhältnismäßig

Die Regelungen seien auch verhältnismäßig, so die Verfassungsrichterinnen und -richter weiter. Die besonders eingriffsintensive Pflicht der Projektträger zur Veräußerung von Anteilen an eine eigens zu gründende und allein der Erzeugung von Windenergie dienende Projektgesellschaft beruhe auf der vertretbaren Einschätzung des Gesetzgebers, dass die Akzeptanz für Windparks dann besonders hoch ist, wenn sie von einer lokal verankerten Projektgesellschaft unter bürgerschaftlicher und kommunaler Mitverantwortung betrieben werden. Das Eingriffsgewicht dieser Pflicht werde dadurch erheblich gemildert, dass es den Vorhabenträgern freigestellt sei, den kaufberechtigten Anwohnerinnen und Anwohnern den Erwerb eines Sparprodukts anzubieten, um die sich aus der Gesellschafterstellung einer Vielzahl von Einwohnern ergebenden Belastungen vermeiden zu können. Soweit die Vorhabenträger bei fehlender Zustimmung standortnaher Gemeinden zur Zahlung einer Abgabe gezwungen seien, Anteile an diese zu veräußern, sei dies zudem auf einen Umfang unterhalb der Sperrminorität begrenzt. Die Gemeinden könnten daher weder das operative Geschäft der Projektgesellschaft bestimmen noch Gesellschafterentscheidungen blockieren.

Positive Effekte für Projektträger durch höhere Akzeptanz

Außerdem könnten sich die Beteiligungspflichten auch privatnützig auswirken. Denn das gesetzliche Ziel, die Akzeptanz zu verbessern, um so eine Voraussetzung für die verstärkte Nutzung der Windenergie an Land zu schaffen, decke sich mit dem Gesamtinteresse der Branche der Anlagenbetreiber an einer Ausweitung der zur Erzeugung von Windenergie geeigneten Flächen. Dies relativiere die Schmälerung der Rendite, die die Vorhabenträger infolge der Beteiligung von Anwohnern und standortnahen Gemeinden an der Gewinnausschüttung oder am prognostizierten Ertrag der Projektgesellschaft hinzunehmen haben.

Informationspflicht gegenüber Gemeinden teilweise verfassungswidrig

Das BVerfG hat allerdings eine Regelung zur Informationspflicht gegenüber Gemeinden (§ 10 Abs. 6 Satz 2 BüGembeteilG) beanstandet. Sie verpflichtet die Projektträger auch dann, den Kommunen unverzüglich nach Erhalt der Genehmigung umfassende Informationen über das Vorhaben und die wirtschaftlichen Rahmendaten zur Verfügung zu stellen, wenn sie den Gemeinden anstelle eines Anteilserwerbs die Zahlung einer jährlichen Abgabe anbieten wollen. Dies sei angesichts der mit der Pflicht verbundenen erheblichen Aufwendungen unverhältnismäßig.

BVerfG, Urteil vom 23.03.2022 - 1 BvR 1187/17

Redaktion beck-aktuell, 5. Mai 2022.