Verletzung des Willkürverbots nach Sicherstellung ohne Anfangsverdacht

Liegt einem Beschluss zur vorläufigen Sicherstellung von Unterlagen zur Durchsicht kein Anfangsverdacht gegen einen beschuldigten Steuerberater zugrunde, stellt dies im Ermittlungsverfahren eine Verletzung des Willkürverbots dar. Erforderlich ist laut Bundesverfassungsgericht ein konkretisierter Tatverdacht gegen den Zeugnisverweigerungsberechtigten selbst. Nicht ausreichend sei, dass der Verdacht erst durch das (unzulässig) beschlagnahmte Beweismittel entstehe.

Sicherstellung von Unterlagen beim Steuerberater

Das Amtsgericht Münster hatte die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume eines Steuerberaters sowie der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft angeordnet (§§ 102, 103 StPO). Dabei wurden in den Geschäftsräumen des Partners sowie in seiner Privatwohnung unter anderem Computer, Festplatten und Unterlagen sichergestellt. Es bestehe der Verdacht der Beihilfe zur Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuerverkürzung von 2013 bis 2015 unter anderem zum Vorteil einer Immobiliengesellschaft. (Schein-)Rechnungen seien über noch nicht ausgeführte Bauleistungen eingereicht sowie Grundstücke mit deutlich überhöhten Verkehrswerten in das Betriebsvermögen der Gesellschaft eingebracht worden, wodurch die Abschreibungen (AfA) zu hoch in Ansatz gebracht worden seien.

Nachdem das Landgericht Münster festgestellt hatte, dass der Durchsuchungsbeschluss mangels Anfangsverdachts gegen den Steuerberater rechtswidrig war (§§ 102, 152 StPO), beantragte der Berater die Aufhebung der Sicherstellung und die Herausgabe beziehungsweise Löschung aller sichergestellten Unterlagen und Daten. Das AG ordnete dennoch die "Beschlagnahme" aller aufgefundenen Gegenstände an. Mit der Beschwerde hatte er keinen Erfolg: Zwar sei die Anordnung der Durchsuchung rechtswidrig gewesen. Dies ziehe aber nicht zwangsläufig ein Verwertungsverbot nach sich. Die Verfassungsbeschwerde beim BVerfG hatte größtenteils Erfolg.

Konkretisierter Tatverdacht von Anfang an erforderlich

Den Verfassungsrichtern zufolge verletzen die Beschlüsse beider Instanzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG (Willkürverbot). Ein Beschlagnahmeverbot komme zwar nach § 97 Abs. 2 Satz 2 StPO bei dem selbst beschuldigten Zeugnisverweigerungsberechtigten nicht in Betracht. Diese Rückausnahme vom Beschlagnahmeverbot setze jedoch schon ihrem Wortlaut nach voraus, dass bestimmte Tatsachen den Verdacht begründeten, dass dieser an der Tat beteiligt sei. Erforderlich ist laut BVerfG ein konkretisierter Tatverdacht gegen ihn selbst. Durchsuchung, Durchsicht oder Beschlagnahme dürften nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich seien, denn sie setzten diesen bereits voraus. Dabei reiche es nicht aus, dass er erst durch das (unzulässig) sichergestellte beziehungsweise beschlagnahmte Beweismittel entstehe. Eine Ermittlungsmaßnahme vorzunehmen, um erst durch die Auswertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse möglicherweise einen Tatverdacht gegen den Berufsgeheimnisträger begründen und sich auf die Rückausnahme des § 97 Abs. 2 Satz 2 StPO berufen zu können, sei mit dem Schutzzweck des § 97 Abs. 1 StPO unvereinbar und ließe diesen leerlaufen. Das BVerfG verwies die Sache daher an das LG zurück.

BVerfG, Beschluss vom 30.11.2021 - 2 BvR 2038/18

Redaktion beck-aktuell, 22. Dezember 2021.