BVerfG: Verharmlosung des Holocausts nicht zwingend als Volksverhetzung strafbar

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verurteilung eines Mannes wegen Volksverhetzung durch Verharmlosung des Holocaust aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen, da es für die Annahme einer Gefährdung des öffentlichen Friedens im Sinne der Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung an tragfähigen Feststellungen gefehlt habe. Das BVerfG unterstreicht dabei, dass dies für die Variante der Verharmlosung (§ 130 Abs. 3 Alt. 3 StGB) nicht indiziert, sondern gesondert zu prüfen sei (Beschluss vom 22.06.2018, Az.: 1 BvR 2083/15).

Holocaust verharmlost - Beschwerdeführer wegen Volksverhetzung zu Geldstrafe verurteilt

Der Beschwerdeführer veröffentlichte auf seiner Internetseite und auf seinem YouTube-Account eine Audiodatei, in der ein Dritter die erste "Wehrmachtsausstellung", die vor einigen Jahren in Deutschland an verschiedenen Orten gezeigt wurde, wegen der teilweise unrichtig dargestellten Fotos von Soldaten der Wehrmacht kritisiert. Den Ausstellungsverantwortlichen werden Fälschungen und Manipulationen sowie Volksverhetzung und den alliierten Siegermächten "Lügenpropaganda" vorgeworfen. Historische Wahrheiten würden verfolgt und bestraft, Menschen seien freiwillig mit der SS in Lager gegangen. Holocaust-Überlebenden wird vorgeworfen, mit Vorträgen über die Massenvernichtung Geld zu verdienen. Außerdem wird die These vertreten, dass Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und Zeugen in den Gerichtsprozessen zu dessen Aufarbeitung gelogen hätten. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen in Höhe von je 30 Euro. Das Landgericht verwarf die Berufung des Beschwerdeführers mit der Maßgabe, dass er wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt wurde. Die Revision zum Oberlandesgericht blieb erfolglos. Der Beschwerdeführer erhob daraufhin Verfassungsbeschwerde und rügte eine Verletzung seiner Meinungsfreiheit. 

BVerfG: Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers verletzt

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das BVerfG hat das LG-Urteil und den OLG-Beschluss aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen. Die Entscheidungen verletzten den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG. Das LG habe im Rahmen der Anwendung des § 130 Abs. 3 StGB keine tragfähigen Feststellungen getroffen, nach denen die Äußerungen des Beschwerdeführers geeignet gewesen seien, den öffentlichen Frieden in dem verfassungsrechtlich gebotenen Verständnis als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung zu stören. 

§ 130 Abs. 3 StGB vom Erfordernis der Allgemeinheit meinungsbeschränkender Gesetze ausgenommen 

In der Bestrafung wegen der Verbreitung des streitgegenständlichen Textes liege ein Eingriff in die Meinungsfreiheit. Dass § 130 Abs. 3 StGB als Eingriffsgrundlage kein allgemeines Gesetz sei, sondern spezifisch nur Äußerungen zum Nationalsozialismus unter Strafe stelle, steht der Verurteilung laut BVerfG nicht entgegen. Als Vorschrift, die auf die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zwischen den Jahren 1933 und 1945 gerichtet sei, sei sie nach der BVerfG-Rechtsprechung von der formellen Anforderung der Allgemeinheit, wie sie sonst nach Art. 5 Abs. 2 GG gilt, ausgenommen. 

Gefährdung des öffentlichen Friedens bei "Verharmlosung" gesondert zu prüfen 

Dem BVerfG zufolge ist der Eingriff der Meinungsfreiheit aber materiell verfassungswidrig. Die Strafgerichte hätten den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG nicht hinreichend Rechnung getragen. Der Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB verlange schon seinem Wortlaut nach eine Äußerung, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören. Zwar bedürfe das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens in Bezug auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG einer näheren Konkretisierung durch die weiteren Tatbestandsmerkmale. Auch könne, wenn diese verwirklicht seien, eine Friedensstörung in der Regel vermutet werden. Dies setze aber umgekehrt voraus, dass die weiteren Tatbestandsmerkmale ihrerseits im Lichte der Friedensstörung ausgelegt werden. Insoweit komme eine Verurteilung nach § 130 Abs. 3 StGB in allen Varianten - und damit auch in der Form des Verharmlosens - nur dann in Betracht, wenn hiervon allein solche Äußerungen erfasst werden, die geeignet seien, den öffentlichen Frieden im Sinne der Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 GG zu gefährden. Soweit sich dies aus den anderen Tatbestandsmerkmalen selbst nicht eindeutig ergebe, sei die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens eigens festzustellen. Anders als in den Fällen der Leugnung und der Billigung, in denen die Störung des öffentlichen Friedens indiziert sei, erscheine dies für den Fall der Verharmlosung geboten. 

Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder anstößige Geschichtsinterpretation allein nicht strafbar 

Anschließend legt das BVerfG die näheren Anforderungen dar, die im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG an die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens zu stellen seien. Ausgangspunkt sei die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit. Eingriffe dürften nicht darauf gerichtet sein, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen. Das Anliegen, die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ansichten zu verhindern, sei ebenso wenig ein Grund, Meinungen zu beschränken, wie deren Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit. Legitim sei es demgegenüber, Rechtsgutverletzungen zu unterbinden. Danach sei dem Begriff des öffentlichen Friedens ein eingegrenztes Verständnis zugrunde zu legen. Nicht tragfähig sei ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung der Bürger durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien ziele. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet seien, gehörten zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer "Vergiftung des geistigen Klimas" sei ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte. Eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründeten keine Strafbarkeit. 

Gefährdung der Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung erforderlich 

Ein legitimes Schutzgut sei der öffentliche Frieden hingegen in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit, so das BVerfG weiter. Ziel sei hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt seien. Die Wahrung des öffentlichen Friedens beziehe sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösten oder Hemmschwellen herabsetzten oder Dritte unmittelbar einschüchterten. Eine Verurteilung könne dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können. 

LG-Begründung belegt keine Gefährdung der Friedlichkeit 

Laut BVerfG genügen die angegriffenen Entscheidungen diesen Anforderungen nicht. Das Vorliegen der Eignung zu einer Störung des öffentlichen Friedens begründe das LG in erster Linie damit, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert werde und die Äußerungen als Ausdruck unerträglicher Missachtung wirkten. Damit werde aber in der Sache nicht mehr als eine Vergiftung des geistigen Klimas und eine Kränkung des Rechtsbewusstseins der Bevölkerung geltend gemacht, die die Schwelle einer Gefährdung der Friedlichkeit noch nicht erreiche. Dass sich die Internetseite an ein Publikum am äußeren rechten Rand des politischen Spektrums richte, begründe für sich genommen ebenso wenig eine Gefährdung des öffentlichen Friedens im Sinne der Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung. 

Auch offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen von Meinungsfreiheit gedeckt 

Die Störung des öffentlichen Friedens ergebe sich auch nicht mittelbar aus den fachgerichtlichen Würdigungen der Äußerungen selbst, so das BVerfG. Das LG stelle insoweit fest, dass mit den Äußerungen die Gewalttaten des NS-Regimes relativiert und bagatellisiert würden. Dabei werfe das Gericht dem Beschwerdeführer nicht vor, dass hierdurch Aggressivität geschürt und die Gewaltherrschaft oder Verbrechen des Nationalsozialismus gegen die Menschlichkeit gebilligt oder geleugnet würden. Abgestellt werde vielmehr auf eine einseitig beschönigende Darstellung des Nationalsozialismus. Die Grenzen der Meinungsfreiheit seien aber nicht schon dann überschritten, wenn die anerkannte Geschichtsschreibung oder die Opfer nicht angemessen gewürdigt werden. Vielmehr seien von ihr auch offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen gedeckt, die wissenschaftlich haltlos seien und das Wertfundament der gesellschaftlichen Ordnung zu diffamieren suchen. 

Grundgesetz setzt auf öffentliche Auseinandersetzung 

Der Schutz solcher Äußerungen durch die Meinungsfreiheit besage damit nicht, dass diese als inhaltlich akzeptabel mit Gleichgültigkeit in der öffentlichen Diskussion aufzunehmen sind. Die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes setze vielmehr darauf, dass solchen Äußerungen, die für eine demokratische Öffentlichkeit schwer erträglich sein können, grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der öffentlichen Auseinandersetzung entgegengetreten wird. Die Meinungsfreiheit finde erst dann ihre Grenzen im Strafrecht, wenn die Äußerungen in einen unfriedlichen Charakter umschlagen. Hierfür enthielten die angegriffenen Entscheidungen jedoch keine Feststellungen.

BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018 - 1 BvR 2083/15

Redaktion beck-aktuell, 3. August 2018.