BVerfG verhandelte über Tarifeinheitsgesetz

Seit 2015 bevorzugt ein Gesetz bei Tarifabschlüssen die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb und lässt die kleineren Konkurrenten um ihre Existenz fürchten. Das Bundesverfassungsgericht stellte der Konflikt vor komplizierte Fragen, die an zwei Verhandlungstagen am 24. und 25.01.2017 besprochen wurden. Nun brüten die Richter über einem Urteil, das in einigen Monaten erwartet wird (Az.: 1 BvR 1571/15 u.a.).

Nahles verteidigte Gesetz vor dem BVerfG

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles wehrte sich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Vorwurf, die Tarifeinheit auch in Reaktion auf große Streiks gesetzlich geregelt zu haben. "Ich kann das als schlicht falsch zurückweisen“, sagte die SPD-Politikerin am zweiten Verhandlungstag in Karlsruhe. Der Grundsatz der Tarifeinheit solle die Gewerkschaften in erster Linie dazu animieren, sich von vornherein über ihre Zuständigkeiten und Positionen abzustimmen. Die Situation, in der das Gesetz der Mehrheit den Vorrang gibt, werde dann gar nicht eintreten. Alleiniger Anlass für die 2015 in Kraft getretene Neuregelung sei die geänderte Rechtsprechung der Arbeitsgerichte gewesen, betonte Nahles. Machtkämpfe zwischen Gewerkschaften hätten dadurch zugenommen.

Neues Gesetz soll Nebeneinander von sich überschneidenden Tarifverträgen verhindern

Mit einem Urteil von 2010 hatte das Bundesarbeitsgericht eine jahrzehntelange Praxis nach dem Motto "Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ gekippt (in BeckRS 2010, 72840). Das neue Gesetz soll nun verhindern, dass einander überschneidende Verträge nebeneinander gelten. Vorgesehen ist, dass im Konfliktfall in einem Betrieb nur der Abschluss mit der mitgliederstärksten Gewerkschaft gilt. Die Unterlegene kann sich allenfalls anschließen und den Vertrag nachträglich unterzeichnen.

Gewerkschaften warnen vor negativen Auswirkungen

Zuvor hatte der Prozessbevollmächtigte der Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo, Matthias Jacobs, vorgetragen, eigentlicher Zweck sei die Verhinderung von Arbeitskämpfen gewesen. Ende 2014 und Anfang 2015 hatte die Lokführer-Gewerkschaft GDL im Tarifstreit mit der Deutschen Bahn in mehreren Streikwellen den Zugverkehr spürbar beeinträchtigt. Die Gewerkschaften befürchten gravierende Auswirkungen. So brachten Ufo und die Pilotenvereinigung Cockpit vor, dass die einzelnen Berufsgruppen mit ihren Interessen dann möglicherweise gar kein Gehör mehr fänden. So sei für die Piloten zum Beispiel das Thema Gesundheitsschutz zentral. Für die vorwiegend weiblichen Flugbegleiter seien wiederum Teilzeitregelungen wichtiger als Geld.

dbb fürchtet um die Zukunft des Flächentarifs

Der Beamtenbund dbb warnte davor, dass Spartengewerkschaften ihre Zuständigkeiten in Zukunft immer mehr ausweiten könnten, um so ihren Einfluss zu sichern. "Der Flächentarif wird an allen Ecken und Enden durchlöchert“, sagte der Prozessbevollmächtigte Wolfgang Däubler.

Insgesamt elf Verfassungsbeschwerden anhängig

Der Erste Senat unter Vizegerichtspräsident Ferdinand Kirchhof verhandelte am 24.01.2017 und 25.01.2017 stellvertretend auch über Klagen von Verdi und der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Insgesamt sind elf Verfassungsbeschwerden anhängig. Das Urteil ist frühestens in mehreren Monaten zu erwarten.

Redaktion beck-aktuell, 26. Januar 2017 (dpa).

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