Verfassungswidrige Versagung des Zugangs zur Revisionsinstanz

Beantwortet ein Gericht eine abstrakte Rechtsfrage abweichend von der höchstrichterlichen Rechtsprechung, muss es zwingend wegen Divergenz die Revision zulassen. Laut Bundesverfassungsgericht dokumentierte die Nichtzulassung der Revision in einer Mietsache "ein offensichtlich fehlerhaftes Verständnis von den Voraussetzungen der Statthaftigkeit einer Berufung".

Nichtzulassung der Revision in Mietstreitigkeit

Eine Inkassodienstleisterin rügte gegenüber einer Vermieterin die Überschreitung der zulässigen Höchstmiete um mehr als 10% der ortsüblichen Vergleichsmiete und forderte von dieser aus abgetretenem Recht die überschüssige Miete für Mai 2019 in Höhe von rund 500 Euro zurück. Ferner verlangte sie Auskünfte. Das Amtsgericht wies diese Klage größtenteils ab – die Auskunft sei bereits erteilt worden und dem Rügeschreiben habe die notwendige Originalvollmacht nicht beigelegen. Die Berufung wurde nicht zugelassen. Das Unternehmen legte zunächst unbeschränkt Berufung ein. In seiner Berufungsbegründung erklärte es gegenüber dem Landgericht Berlin, dass lediglich die Klageabweisung bezüglich der Miete vom Mai angegriffen werden sollte. Dafür erweiterte es seinen Klageantrag um die Miete für Juni 2019 (weitere knapp 500 Euro). Die Berufung war erfolgreich, wobei die Berliner Richter für den Wert des Beschwerdegegenstands beide Mietforderungen berücksichtigten. Die Revision ließen sie nicht zu. Auch mit der Anhörungsrüge konnte die Vermieterin nicht durchdringen, weshalb sie Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhob – mit Erfolg.

Vermengung von Rechtsfiguren

Die Berufung ist nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nur zulässig, wenn "der Wert des Beschwerdegegenstands 600 Euro übersteigt…" (Wertberufung). Die Verfassungsrichter bemängeln, dass das Landgericht die zurückgeforderte Maimiete und die Junimiete, um die die Klage in der Berufungsinstanz erst erweitert wurde, als ausschlaggebend für den Wert des Beschwerdegegenstands bestimmt hatten. Die Mieterin sei durch das amtsgerichtliche Urteil nur in Höhe der Maimiete beschwert – nicht durch die Junimiete. Diese Vermengung der Rechtsfiguren der Beschwer (§ 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und des Werts des Beschwerdegegenstands nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sowie der Streitwertfestsetzung für die zweite Instanz ist nach Ansicht des BVerfG nicht mit der Systematik des Berufungsrechts in Übereinstimmung zu bringen.

Grundrecht effektiven Rechtsschutzes verletzt

Die Nichtzulassung zur Revision verletzte die Vermieterin in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG, so das BVerfG weiter. Das Landgericht habe den Justizgewährleistungsanspruch verletzt, indem es entgegen § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revision nicht zuließ, obwohl es zur Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert hätte. Die Karlsruher Richter verwiesen auf Entscheidungen der VI. und IX. Zivilsenate des Bundesgerichtshofs, wonach der Berufungsführer nicht durch Klageerweiterung den Beschwerdewert bestimmen können und damit eine zusätzliche Instanz gewinnen sollte. 

BVerfG, Beschluss vom 13.04.2023 - 1 BvR 667/22

Redaktion beck-aktuell, 23. Mai 2023.