BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen Unzuständigkeit deutscher Gerichte für Klage gegen Schuldgelderhöhung an Europäischer Schule unzulässig

Bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen muss der Gesetzgeber dafür sorgen, dass das vom Grundgesetz geforderte Minimum an Grundrechtsschutz gewährleistet wird. Dazu gehöre auch die Gewährleistung eines wirkungsvollen und lückenlosen Rechtsschutzes, so das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 24.07.2018. Da Verstöße gegen diese Anforderungen nicht ausreichend dargelegt worden seien, verwarf das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde von Eltern, die ohne Erfolg vor deutschen Gerichten gegen eine Schulgelderhöhung an der Europäischen Schule Frankfurt am Main geklagt hatten, als unzulässig (Az.: 2 BvR 1961/09, BeckRS 2018, 19587).

Kinder der Beschwerdeführer besuchten Europäische Schule Frankfurt am Main

Die Europäische Schule Frankfurt am Main ist eine von derzeit 13 Europäischen Schulen und eine unselbstständige Untergliederung der zwischenstaatlichen Einrichtung Europäische Schulen. Diese wurde gemeinsam von den EU-Mitgliedstaaten und der EU gegründet, um Kindern von Eltern, die in europäischen Institutionen arbeiten, einen Unterricht in der Muttersprache zu ermöglichen. Die Beschwerdeführer waren nicht für die europäischen Institutionen tätig. Sie sind Eltern von ehemaligen Schülern, die mit der Europäischen Schule Frankfurt am Main Schulverträge für ihre Kinder abgeschlossen hatten, und sich in diesen mit der jährlichen Festsetzung des Schulgeldes durch den Obersten Rat der Europäischen Schulen einverstanden erklärt hatten.

Beschwerdeführer klagten gegen Erhöhung des Schulgeldes  

Die im Schuljahr 2003/2004 durch den Obersten Rat vorgenommenen Anhebungen des Schulgeldes um teilweise über 30% erachteten die Beschwerdeführer für überhöht und riefen deshalb die gemäß Art. 27 Abs. 1 der Satzung bei den Europäischen Schulen eingerichtete Beschwerdekammer an, die sich für unzuständig erklärte. Die Beschwerdeführer klagten - auch in der Revisionsinstanz letztlich erfolglos - auf Rückzahlung des nach ihrer Ansicht überhöhten Anteils der von ihnen bereits gezahlten Schulgelder sowie auf Feststellung, dass die beklagte Schule ab dem Jahr 2005/2006 bis zum Europäischen Abitur zu entrichtende Schulgebühren nach billigem Ermessen festzusetzen habe.

BGH: Bundesdeutsche Gerichte nicht zuständig

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde griffen sie die Urteile des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (BeckRS 2009, 21174) und des Bundesgerichtshofs (NJW 2009, 3164) sowie mittelbar das deutsche Zustimmungsgesetz zur Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen an, wonach für ihr Klagebegehren keine Zuständigkeit bundesdeutscher Gerichte gegeben ist. Sie rügten unter anderem eine Verletzung ihres Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.

BVerfG: Mindestmaß an Grundrechtsschutz bei Übertragung von Hoheitsrechten an supranationale Organisationen zu gewährleisten

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde als unzulässig verworfen. Die Beschwerdeführer hätten mit ihrem Vortrag den Begründungsanforderungen der §§ 23, 92 BVerfGG nicht genügt. Eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG durch die fachgerichtliche Auslegung des Art. 27 Abs. 7 der Satzung sei nicht hinreichend substantiiert geltend gemacht worden. Das BVerfG erläutert, dass Integrationsgesetze, mit denen nach Art. 24 Abs. 1 GG Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen würden, als Akte deutscher Staatsgewalt an die im Grundgesetz verbürgten Grundrechte gebunden seien, deren Wesensgehalt (Art. 19 Abs. 2 GG) sie auch in Ansehung der supranationalen Hoheitsgewalt generell sicherstellen müssten. Bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen müsse der Gesetzgeber sicherstellen, dass auch die zwischenstaatliche Einrichtung einen Grundrechtsschutz gewährleistet, der den vom Grundgesetz geforderten Mindeststandard umfasst. Darüber hinaus seien alle Verfassungsorgane im Rahmen ihrer Kompetenzen verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die vom Grundgesetz geforderten Mindeststandards nicht unterschritten werden.

Mindestmaß umfasst wirkungsvollen Rechtsschutz gegen Maßnahmen der zwischenstaatlichen Einrichtung

Mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG gehöre zum geforderten Minimum an Grundrechtsschutz auch ein wirkungsvoller Rechtsschutz der Betroffenen in Deutschland gegenüber Maßnahmen der zwischenstaatlichen Einrichtung. Geboten sei insoweit ein Individualrechtsschutz durch unabhängige Stellen, die mit hinlänglicher Gerichtsbarkeit, insbesondere mit einer dem Rechtsschutzbegehren angemessenen Prüfungs- und Entscheidungsmacht über tatsächliche und rechtliche Fragen ausgestattet seien, aufgrund eines Verfahrens entschieden, das rechtliches Gehör, dem Streitgegenstand angemessene Angriffs- und Verteidigungsmittel und einen frei gewählten, kundigen Beistand ermögliche und deren Entscheidungen die Verletzung eines Grundrechts sachgerecht und wirksam sanktionierten. Außerdem müssten supranationale Rechtsschutzeinrichtungen ihre Gerichtsbarkeit auch tatsächlich ausüben. Dieser Maßstab decke sich mit den – bei der Auslegung des Grundgesetzes gemäß Art. 1 Abs. 2 GG zu berücksichtigenden – Anforderungen aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und der Rechtsprechung des EGMR, an die ein Konventionsstaat auch gebunden bleibe, wenn er Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen überträgt.

Zugang zu deutschen Gerichten durch Übertragung der Rechtsprechung auf zwischenstaatliches Gericht grundsätzlich ausgeschlossen

Laut BVerfG geht mit der Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 24 Abs. 1 und Abs. 1a GG nicht nur die Möglichkeit einher, die Rechtsprechungsaufgabe auf die supranationale Einrichtung zu übertragen, sondern auch die Befugnis, den Zugang zu deutschen Gerichten insoweit auszuschließen. Habe der Integrationsgesetzgeber die Rechtsprechungsaufgabe auf ein zwischenstaatliches Gericht übertragen, könnten Maßnahmen der supranationalen Einrichtung grundsätzlich nicht vor deutschen Gerichten angegriffen werden. Als ein auf Ausgestaltung durch den Gesetzgeber angewiesenes Teilhaberecht gewähre Art. 19 Abs. 4 GG Rechtsschutz grundsätzlich nur nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben und nur gegen Akte der deutschen öffentlichen Gewalt. Weder aus Art. 24 Abs. 1 GG noch aus Art. 19 Abs. 4 GG folge insoweit ein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Zugang zu deutschen Gerichten. Etwas anderes gelte dann, wenn dem Einzelnen in den völkerrechtlichen Verträgen zur Gründung einer zwischenstaatlichen Einrichtung oder im Integrationsgesetz der Zugang zu den nationalen Gerichten eröffnet wird. Die übliche Immunität zwischenstaatlicher Einrichtungen und internationaler Organisationen könne im Statut eingeschränkt oder es könne ganz auf sie verzichtet werden.

Art. 27 Abs. 7 der Satzung ermöglicht Rechtsschutzgarantie genügende Auslegung

Das BVerfG moniert, dass dem Beschwerdevortrag jede argumentative Auseinandersetzung mit der Begründung der angegriffenen Urteile fehle, die eine Eröffnung der deutschen Gerichtsbarkeit durch Art. 27 Abs. 7 der Satzung im vorliegenden Fall nicht für gegeben hielten. Insbesondere setzten sich die Beschwerdeführer nicht damit auseinander, dass Art. 27 Abs. 2 Satz 1 der Satzung eine ausschließliche erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit der Beschwerdekammer für Streitigkeiten vorsieht, die sich auf die Rechtmäßigkeit einer vom Obersten Rat in Ausübung seiner Befugnisse getroffenen Entscheidung beziehen und die betroffenen Personen beschweren. Diese Bestimmung erfasse jedenfalls dem Wortlaut nach auch Streitigkeiten über die Erhöhung des Schulgeldes. Dass die Voraussetzungen für ein Verfahren der Beschwerdekammer zur Überprüfung von Beschlüssen des Obersten Rates gemäß Art. 25 Nr. 4 der Satzung betreffend das den Eltern aufzuerlegende Schulgeld und die entsprechenden Durchführungsbestimmungen bislang weder in der Allgemeinen Schulordnung noch im Statut der Beschwerdekammer oder in ihrer Verfahrensordnung näher geregelt seien, zwinge entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer nach dem Wortlaut von Art. 27 Abs. 2 Satz 3 der Satzung unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs mit Art. 27 Abs. 2 Satz 1 und 2 der Satzung jedenfalls nicht zu der Annahme, es sei schon keine Zuständigkeit der Beschwerdekammer gegeben.

Nachträgliche Verfassungswidrigkeit des Zustimmungsgesetzes durch strukturelles Vollzugsdefizit nicht hinreichend dargelegt

Auch der Angriff der Beschwerdeführer auf das deutsche Zustimmungsgesetz zur Vereinbarung über die Satzung genügt dem BVerfG zufolge nicht den Begründungsanforderungen. Sie hätten weder dessen Entscheidungserheblichkeit noch dessen Verfassungswidrigkeit hinreichend substantiiert dargelegt. Dem Beschwerdevortrag lasse sich nicht entnehmen, dass das Gesetz im Laufe der Zeit verfassungswidrig geworden wäre, weil der Oberste Rat keinen wirkungsvollen Rechtsschutz sichergestellt und sich insoweit ein strukturelles Vollzugsdefizit ergeben hätte. Die Beschwerdeführer hätten insbesondere nicht dargelegt, dass es sich bei dem begründeten Bericht des Präsidenten der Beschwerdekammer vom 08.11.2004, mit dem er diese für die Überprüfung der Schulgelderhöhungen für unzuständig erklärt habe, nicht nur um eine Fehlentscheidung im Einzelfall handelt.

BVerfG, Beschluss vom 24.07.2018 - 2 BvR 1961/09

Redaktion beck-aktuell, 29. August 2018.

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