Sprayer klagt erfolgreich gegen Fingerabdrücke und Polizeifotos
Lorem Ipsum
© Dilok / stock.adobe.com

Die Verfassungsbeschwerde eines Mannes gegen erkennungsdienstliche Maßnahmen war erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass der vorausgegangene Beschluss des Landgerichts den Beschwerdeführer in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. So sei die Anfertigung von Fingerabdrücken schon nicht für die Strafverfolgung geeignet gewesen. Hinsichtlich der Anfertigung von Lichtbildern habe das Landgericht sich nicht hinreichend mit deren Notwendigkeit auseinandergesetzt.

Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung gegen Sprayer

Anfang Juni 2021 brachte ein zunächst unbekannter Täter an einem Gasverteilergebäude zwei großflächige, mit silberner Sprühfarbe ausgeführte Übermalungen der dort bereits in weißer und schwarzer Farbe angebrachten Schriftzüge "Toni F. Du Jude" und "Antifa Boxen" an. Der Täter wurde dabei von einem Zeugen angesprochen, gefilmt und fotografiert. Dieser Zeuge gab bei seiner späteren Vernehmung an, er sei in der Lage, die Person wiederzuerkennen. Die Eigentümerin des betroffenen Gebäudes stellte Strafantrag. Ausgehend von einem anonymen Hinweis erkannten zwei Polizeibeamte den Beschwerdeführer auf den vom Zeugen gefertigten Lichtbildern wieder. Gegen den Beschwerdeführer wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung eingeleitet.

Polizei: Erkennungsdienstliche Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung erforderlich

Anfang Juli 2021 ordnete die Polizei an, den Beschwerdeführer erkennungsdienstlich zu behandeln und hierzu ein Fünfseitenbild, ein Ganzkörperbild, eine Personenbeschreibung, ein Spezialbild sowie einen Zehnfinger- und Handflächenabdruck anzufertigen. Zur Begründung führte die Anordnung unter Verweis auf § 81b Alt. 1 StPO aus, eine erkennungsdienstliche Behandlung sei notwendig, weil die Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung erforderlich seien. Um den Beschwerdeführer der Tat beweiskräftig vor Gericht zu überführen, müsse dem Zeugen eine Wahllichtbildvorlage vorgelegt werden. Dies diene dazu, den Beschwerdeführer zu identifizieren oder ihn vom Tatvorwurf zu entlasten. Die Wiedererkennung durch Polizeibeamte allein sei bei fehlendem Geständnis, Inanspruchnahme des ihm zustehenden Aussageverweigerungsrechts oder dem Abstreiten der Tat vor Gericht als Beweis nicht geeignet, zumal das Bildmaterial von schlechter Qualität sei.

BVerfG: Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung

Nachdem das AG die polizeiliche Anordnung bestätigt hatte, legte der Beschwerdeführer Beschwerde beim LG ein - ohne Erfolg. Zur Begründung führte er aus, dass es einer Anfertigung von Lichtbildern nicht bedürfe, da er gar nicht bestreite, mit dem Zeugen gesprochen zu haben und die Person auf den Aufnahmen zu sein. Eine Anfertigung von Finger- sowie Handflächenabdrücken sei zudem nicht zulässig, da es kein Vergleichsmaterial gebe. Das LG verwarf die Beschwerde als unbegründet und nahm zur Begründung vollinhaltlich Bezug auf die polizeiliche Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung, der nichts hinzuzufügen sei. Nun hat das BVerfG entschieden, dass der Beschluss des LG den Beschwerdeführer in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt.

Anfertigung der Fingerabdrücke für die Strafverfolgung ungeeignet

Zur Begründung führt das BVerfG aus, dass die Gerichte zur konkreten Notwendigkeit jeder einzelnen angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahme ausführen und eine Abwägung zwischen dem Interesse einer wirksamen Strafverfolgung und dem Grundrecht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung vornehmen müssen. Der Beschluss des LG werde diesen Anforderungen nicht gerecht. So sei die Anfertigung der Fingerabdrücke für die Strafverfolgung bereits nicht geeignet gewesen. Die Identifizierung des Täters habe so nicht erfolgen können, weil Finger- oder Handflächenabdrücke ausweislich der Ermittlungsakte am Tatort nicht sichergestellt worden seien. Ausführungen zur konkreten Notwendigkeit dieser erkennungsdienstlichen Maßnahmen seien weder dem landgerichtlichen Beschluss noch der in Bezug genommenen Begründung der polizeilichen Verfügung zu entnehmen.

Notwendigkeit der Anfertigung von Lichtbildern nicht begründet

Auch hinsichtlich der Anfertigung eines Fünfseiten- und Ganzkörperbildes habe das LG die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung mangels Auseinandersetzung mit deren konkreter Notwendigkeit ebenfalls verkannt. In der vollinhaltlichen Bezugnahme auf die polizeiliche Anordnung sei eine umfassende Abwägung zwischen den Interessen einer wirksamen Strafverfolgung und dem Interesse des Beschwerdeführers im Rahmen der Prüfung der Notwendigkeit der Maßnahme nicht erkennbar. Es fehle bereits eine Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass der Zeuge der Sachbeschädigung angegeben hatte, in der Lage zu sein, den Täter wiederzuerkennen. Dies hätte auch im Rahmen einer Beweisaufnahme in der zeitnah zu erwartenden Hauptverhandlung erfolgen können. Ebenso wenig erörtere die polizeiliche Anordnung, dass es auch dem Tatrichter im Rahmen der Hauptverhandlung grundsätzlich möglich gewesen wäre, einen Abgleich zwischen den in der Akte befindlichen Lichtbildern sowie dem Erscheinungsbild des Beschwerdeführers vorzunehmen. Es ergebe sich auch nicht aus der Akte, dass die von dem Zeugen gefertigten Lichtbilder für einen solchen Abgleich ungeeignet gewesen wären. Vielmehr hätten die Polizeibeamten den Beschwerdeführer spontan auf diesen Lichtbildern wiedererkannt.

BVerfG, Beschluss vom 29.07.2022 - 2 BvR 54/22

Miriam Montag, 19. August 2022.