Verfassungsbeschwerde einer entlassenen Richterin auf Probe unzulässig

Bei der Abwägung, ob ein Proberichter bis zur endgültigen Entscheidung über seine Entlassung aus dem Dienst weiterarbeiten darf, müssen auch die Folgen für das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtsprechung berücksichtigt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde einer Richterin auf Probe nicht zur Entscheidung angenommen, die wegen eines Dienstvergehens entlassen wurde. Die Mög­lich­keit einer Ver­let­zung des Willkürverbots bzw. der richterlichen Unabhängigkeit sei nicht hinreichend dar­ge­legt worden.

Verwandtschaftsklüngel

Eine thüringische Richterin auf Probe wehrte sich gegen ihre Entlassung wegen einer Dienstpflichtverletzung und gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Der Freistaat Thüringen hatte sie im September 2015 eingestellt. Seit Januar 2020 übernahm die Beamtin den Bereitschaftsdienst für den Landgerichtsbezirk Gera. Am 14.04.2020 kam sie dabei der telefonischen Bitte ihres Vaters nach (von Beruf evangelischer Pfarrer), ihm als Seelsorger Zutritt zu einem schwer kranken 89-jährigen Gemeindemitglied in einem Jenaer Pflegeheim zu gewähren. Solche Besuche waren zuvor durch die Pflegeheimleitung aufgrund der Thüringer Coronaverordnung untersagt worden. Daraufhin leitete der Präsident des LG Gera ein Disziplinarverfahren wegen Verletzung von § 41 Nr. 3 ZPO gegen sie ein. Kurze Zeit später wurde eine Ausnahmeregel für Geistliche in die Verordnung aufgenommen. Trotz Unterrichtung über das eingeleitete Verfahren stimmte im Mai 2020 der Richterwahlausschuss der Übernahme in ein Richterverhältnis auf Lebenszeit zu. Im August 2020 teilte das Justizministerium der Frau mit, sie nach § 22 Abs. 3 DRiG aus dem Richterverhältnis auf Probe entlassen zu wollen. Der Vorwurf: Rechtsbeugung (§ 339 StGB). Schließlich wurde sie gestützt auf den Verstoß gegen § 41 Nr. 3 ZPO im März 2021 aus dem Dienst entlassen. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet.

Vorinstanzen sind sich uneinig

Während das LG Meiningen die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Entlassungsverfügung wieder herstellte, scheiterte die Richterin auf Probe mit ihrem Anliegen beim Dienstgerichtshof für Richter beim OLG Jena. Ermessensfehler lägen nicht vor. Das Dienstvergehen sei vor Ablauf der Statusdienstzeit begangen worden. Bis zu deren Ablauf habe noch keine Entscheidungsreife vorgelegen. Sie rügte die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 (Willkürverbot), Art. 12 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 97 GG (richterliche Unabhängigkeit). Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Grundrechtsverletzung nicht hinreichend substanziiert vorgetragen

Dem BVerfG zufolge ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da die Richterin mögliche Grundrechtsverletzungen nicht hinreichend substanziiert begründet habe ("§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG). Der Zweite Senat monierte, dass streitgegenständlich nicht die gegen sie verfügte Entlassung an sich, sondern lediglich ihr Sofortvollzug während des laufenden Hauptsacheverfahrens sei. Von maßgeblicher Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens sei daher die Frage, ob das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz Schäden nähme, wenn sie ihre richterliche Tätigkeit während des - möglicherweise mehrere Jahre andauernden - Hauptsacheverfahrens fortführen dürfte beziehungsweise wie ihre gegenläufigen rechtlich geschützten Interessen zu gewichten seien. Die Begründung der Richterin beschäftige sich nur mit den Auswirkungen für sie selbst. Nur unzureichend befasse sie sich auch mit dem Umstand, dass mit dem unbestrittenen Verstoß gegen § 41 Nr. 3 ZPO ein disziplinarrechtlicher Vorwurf im Raum stehe, der den Kern der richterlichen Unparteilichkeit betreffe und nach Auffassung des Dienstherrn ihre Entlassung zur Folge haben müsse.

BVerfG, Beschluss vom 09.03.2022 - 2 BvR 91/22

Redaktion beck-aktuell, 29. März 2022.