Bericht über Verdacht der Beteiligung des damaligen Chefjustiziars der HSH Nordbank an Abhöraktionen
Die Beschwerdeführerin verlegt das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". In einer Ausgabe berichtete das Magazin über die internen Zustände der HSH Nordbank und schilderte die Umstände der Entlassung eines ehemaligen Vorstandsmitglieds wegen des Verdachts der Weitergabe von vertraulichem Material an Journalisten. Es sei vorstellbar, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens, der frühere Chefjustiziar der Bank, an geheimen Spitzelaktionen gegen das Vorstandsmitglied beteiligt gewesen sei, die zu dessen womöglich auf einer Falschbezichtigung basierenden Entlassung geführt hätten.
Nachrichtenmagazin zum Abdruck eines "Nachtrags" verurteilt
Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger stellte die Staatsanwaltschaft mangels hinreichenden Tatverdachts ein. Landgericht und Oberlandesgericht verurteilten die Beschwerdeführerin daraufhin richtigzustellen, dass der Kläger an den in dem Bericht beschriebenen Vorgängen nicht beteiligt gewesen sei. Nach Aufhebung und Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof verurteilte das OLG die Beschwerdeführerin zum Abdruck einer vom Kläger formulierten Erklärung. Diese Nachtragserklärung müsse eine Passage aus dem ursprünglichen Bericht enthalten und mit dem Satz "Diesen Verdacht halten wir aus heutiger Sicht nicht aufrecht" enden. Die Überschrift sei von "Richtigstellung" in "Nachtrag" zu ändern. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde sowie eine Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin wies der BGH zurück.
Nachrichtenmagazin rügte Verletzung seiner Meinungs- und Pressefreiheit
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendete sich die Beschwerdeführerin gegen das Urteil des OLG und die beiden darauffolgenden Entscheidungen des BGH. Sie macht unter anderem eine Verletzung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG geltend, da sie trotz rechtmäßiger Verdachtsberichterstattung zum Abdruck eines "Nachtrags" verurteilt worden sei.
BVerfG: Meinungs- und Pressefreiheit durch OLG-Urteil verletzt
Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das BVerfG hat das OLG-Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Die OLG-Entscheidung verletze die Beschwerdeführerin in ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG. Sie genüge nicht den Anforderungen an eine "nachträgliche Mitteilung".
Bei rechtmäßiger Verdachtsberichtserstattung Anspruch auf nachträgliche Mitteilung möglich
Wie das BVerfG erläutert, bestünden grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken, aus §§ 823 und 1004 BGB einen äußerungsrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch abzuleiten. Bei der Berichterstattung über den Verdacht einer Straftat sei zu berücksichtigen, dass diese stets das Risiko der Unrichtigkeit in sich trägt und besonders belastende Auswirkungen auf den Betroffenen haben kann. Zur Abmilderung der Folgen einer solchen Berichterstattung könne es für den Fall, dass ein Ermittlungsverfahren eingestellt oder der Betroffene freigesprochen werde, als Ausgleich zwischen der Pressefreiheit und dem Persönlichkeitsschutz geboten sein, dem Betroffenen das Recht zuzubilligen, eine nachträgliche Mitteilung über den für ihn günstigen Ausgang des Strafverfahrens zu verlangen.
Unterschiedliche Anforderungen an nachträgliche Mitteilung und Richtigstellung
Laut BVerfG unterscheidet sich eine solche nachträgliche Mitteilung über erst später bekanntwerdende Umstände in ihren Anforderungen jedoch grundsätzlich von einer Richtigstellung gegenüber ursprünglich rechtswidrigen Presseberichten. Denn hier sei dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die ursprüngliche Berichterstattung verfassungsrechtlich von der Pressefreiheit gedeckt war und die Presseorgane diese grundsätzlich als abgeschlossen betrachten durften.
Verfahrenseinstellung mangels hinreichenden Tatverdachts und Freispruch begründen Anspruch auf nachträgliche Mitteilung
Die Entscheidung, über welche Ereignisse berichtet werde, gehöre zum wesentlichen Inhalt der Pressefreiheit, weshalb die Presse nicht einer generellen Pflicht unterworfen werden dürfe, die Berichterstattung über ein einmal aufgegriffenes Thema bei neuen Entwicklungen fortzusetzen oder im Nachgang zu einer Berichterstattung nachzuforschen, ob sich ein Verdacht bewahrheitet habe oder nicht. Das BVerfG betont, dass die Pressefreiheit erfordere, dass solche Ansprüche auf eine nachträgliche Mitteilung im Anschluss an eine ursprünglich rechtmäßige Verdachtsberichterstattung auf Ausnahmefälle begrenzt bleiben. Hiervon könne ausgegangen werden, wenn in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren die entsprechenden Tatvorwürfe durch Einstellungsbeschluss fallen gelassen werden oder ein Freispruch gegenüber dem Betroffenen ergangen ist.
Beliebige neue Erkenntnisse nicht ausreichend
Demgegenüber könne eine nachträgliche Mitteilung nicht unter Berufung auf neue Erkenntnisse und das Verlangen nach einer neuen Würdigung der Verdachtslage begehrt werden. Insoweit unterscheide sich der Rechtsstreit um den Anspruch auf Abdruck einer nachträglichen Mitteilung seinem Gegenstand nach von dem Rechtstreit um Richtigstellung und sei nicht nur dessen Fortsetzung. Während der Anspruch auf Richtigstellung davon abhänge, ob die Presse in der Würdigung der Verdachtsmomente zum Zeitpunkt der Veröffentlichung den insoweit geltenden Anforderungen genügt, setze ein Anspruch auf nachträgliche Mitteilung voraus, dass spätere Erkenntnisse zu einer solchen Mitteilung qualifiziert Anlass geben.
Presse darf nicht zu Bewertung der geänderten Umstände verpflichtet werden
Auch hinsichtlich Inhalt, Form und Umfang des abzudruckenden Textes sei bei der Abwägung die ursprüngliche Rechtmäßigkeit des Textes zu berücksichtigen, so das BVerfG weiter. Insbesondere dürfe die Presse hierbei nicht zu einer eigenen Bewertung der veränderten Sachlage verpflichtet werden. Die von ihr verlangte Erklärung müsse sich auf eine Mitteilung der geänderten Umstände in ihrem objektiven Gehalt beschränken. Soweit im Rahmen einer solchen nachträglichen Mitteilung darüber hinaus dritte Personen Erwähnung fänden, seien auch deren Rechte zu wahren.
OLG versäumte Unterscheidung zwischen Richtigstellung und nachträglicher Mitteilung
Das BVerfG moniert, dass das OLG diesen Maßstäben nicht gerecht geworden sei. Das OLG habe nicht zwischen der Richtigstellung einer ursprünglich rechtswidrigen Berichterstattung und einer nachträglichen Mitteilung wegen qualifizierter geänderter Umstände unterschieden. Nach der Auffassung des OLG seien Presseorgane verpflichtet, auch nach Abschluss der Berichterstattung bekanntwerdende Umstände weiter zu verfolgen, von den Betroffenen neu herangebrachte Gesichtspunkte zu berücksichtigen und ihre frühere Berichterstattung mit fremdformulierten Mitteilungen zu ergänzen. Dies sei mit der Pressefreiheit nicht vereinbar.
Geforderte Erklärung, den Verdacht nicht mehr aufrecht zu erhalten, unzulässig
Der der Beschwerdeführerin durch das OLG auferlegte "Nachtrag" genüge auch hinsichtlich Inhalt, Form und Umfang nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen, beanstandet das BVerfG weiter. Eine kurze Zusammenfassung der angegriffenen Berichterstattung und ein Hinweis darauf, dass das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei, wären ausreichend gewesen, das Persönlichkeitsrecht des Klägers zu schützen. Mehr hätte von der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit nicht verlangt werden dürfen.
Eingriff in Persönlichkeitsrechte Dritter
Laut BVerfG greift die Entscheidung zudem in die Persönlichkeitsrechte anderer in dem Bericht genannter Personen ein. Durch die Verurteilung zur erneuten Wiedergabe einer Passage aus der ursprünglichen Berichterstattung, in der zwei weitere Personen identifizierbar erwähnt würden, werde der vor Jahren gegen sie geäußerte Verdacht wiederholt und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt. Für den hierin liegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der genannten Personen sei keine Rechtfertigung ersichtlich.