Kosten für Erstausbildung und Erststudium nur als Sonderausgaben absetzbar
§ 9 Abs. 6 EStG in der Fassung des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 07.12.2011 nimmt Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, generell von dem Begriff der Werbungskosten aus. Die Vorschrift konkretisiert den allgemeinen Werbungskostenabzugstatbestand des § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG a. F. dahingehend, dass diese Aufwendungen in keinem Fall beruflich veranlasst und damit weder unbeschränkt abzugsfähig sind noch als negative Einkünfte in andere Veranlagungszeiträume zurück- oder vorgetragen werden können. Stattdessen mindern sie lediglich als Sonderausgaben - in den Streitjahren bis zur Höhe von 4.000 Euro, heute bis zur Höhe von 6.000 Euro - das zu versteuernde Einkommen in dem Jahr, in dem sie anfallen.
Kosten für weitere Ausbildungen können als Werbungskosten abzugsfähig sein
Dagegen können Aufwendungen für weitere Ausbildungen und für Erstausbildungen, die im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden, wie andere Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen als Werbungskosten abzugsfähig sein, soweit sie beruflich veranlasst sind. Eine berufliche Veranlassung ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Ein Werbungskostenabzug setzt nicht voraus, dass der Steuerpflichtige gegenwärtig bereits Einnahmen erzielt. Erforderlich ist, dass die Aufwendungen in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen stehen.
BFH: Verbot des Werbungskostenabzugs verfassungskonform?
Die Kläger der sechs Ausgangsverfahren begehrten jeweils die Anerkennung der Kosten für ihr Erststudium beziehungsweise für ihre Ausbildung zum Flugzeugführer als Werbungskosten. In der Revisionsinstanz setzte der BFH alle Verfahren aus und legte dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vor, ob § 9 Abs. 6 EStG in der Fassung des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 07.12.2011 insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als danach Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet und auch keine weiteren einkommensteuerrechtlichen Regelungen bestehen, nach denen die vom Abzugsverbot betroffenen Aufwendungen die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage mindern.
BVerfG: Abzugsverbot für Erstausbildungskosten mit ein Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar
Das BVerfG hat entschieden, dass § 9 Abs. 6 EStG a. F. mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Die Vorschrift bewirke zwar eine steuerliche Ungleichbehandlung von Erstausbildungskosten und Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen, zu denen auch Aufwendungen für zweite oder weitere Ausbildungen sowie Aufwendungen für eine erste Berufsausbildung oder ein Erststudium gehören könnten, die im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden. Diese Differenzierung sei aber gerechtfertigt. Maßstab sei dabei das Willkürverbot, da 9 Abs. 6 EStG a. F. keine objektiv berufsregelnde Tendenz habe. Willkürlich sei die Differenzierung nicht, weil es für die Zuordnung der Erstausbildungskosten zu den Sonderausgaben sachlich einleuchtende Gründe gebe.
Kosten wesentlich privat (mit-)veranlasst: Erstausbildung persönlichkeitsprägend
Laut BVerfG durfte der Gesetzgeber diese Aufwendungen als wesentlich privat (mit-)veranlasst qualifizieren. Nach Auffassung des Gesetzgebers gehöre die erste Berufsausbildung typischerweise zu den Grundvoraussetzungen für die Lebensführung, weil sie Vorsorge für die persönliche Existenz bedeute und dem Erwerb einer selbstständigen und gesicherten Position im Leben diene. Er ordne deshalb Aufwendungen für die erste Berufsausbildung ebenso wie Aufwendungen für Erziehung und andere Grundbedürfnisse schwerpunktmäßig den Kosten der Lebensführung zu. Diese Wertung des Gesetzgebers sei nicht zu beanstanden. Die Erstausbildung oder das Erststudium unmittelbar nach dem Schulabschluss vermittelten nicht nur Berufswissen, sondern prägten die Person in einem umfassenderen Sinne, indem sie die Möglichkeit böten, sich seinen Begabungen und Fähigkeiten entsprechend zu entwickeln und allgemeine Kompetenzen zu erwerben, die nicht zwangsläufig für einen künftigen Beruf notwendig seien. Sie wiesen damit eine besondere Nähe zur Persönlichkeitsentwicklung auf.
Erstausbildung noch von elterlicher Unterhaltspflicht umfasst
Die Qualifikation der dafür erforderlichen Aufwendungen als durch die allgemeine Lebensführung (privat) veranlasst korrespondiere damit, dass eine Erstausbildung noch von der Unterhaltspflicht der Eltern umfasst sei. Diese schuldeten - in den Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - eine Berufsausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspreche. Die bei mangelnder Leistungsfähigkeit der Eltern an die Stelle tretenden sozialrechtlichen Leistungen würden dementsprechend der Bildungsförderung und nicht der Arbeitsförderung zugerechnet.
Typischerweise geringer Zusammenhang mit konkretem späterem Beruf
Der Gesetzgeber habe auch den objektiven Zusammenhang mit einem konkreten späteren Beruf als typischerweise gering ausgeprägt bewerten dürfen, führt das BVerfG weiter aus. Die Regelung erfasse insbesondere rein schulische Ausbildungen und das Hochschulstudium unmittelbar im Anschluss an den zum Studium berechtigenden Schulabschluss. Die schulische Ausbildung und das Studium eröffneten regelmäßig eine Vielzahl von unterschiedlichen Berufsmöglichkeiten. Sie seien häufig breit angelegt, so dass erst zu Beginn oder während der Berufstätigkeit eine Spezialisierung stattfinde. Zudem gebe es zahlreiche Studiengänge, die nicht ohne weiteres in konkrete Berufsfelder mündeten, und umgekehrt Berufsfelder, für die es nicht maßgeblich auf ein bestimmtes Studium ankomme, sondern darauf, dass überhaupt ein Studium absolviert worden sei.
Erstausbildungen mit konkretem Berufsbezug als Ausnahmen vernachlässigbar
Das BVerfG räumt ein, dass der Veranlassungszusammenhang mit der ausgeübten Erwerbstätigkeit zwar gerade bei der Ausbildung zum Berufspiloten sehr konkret sei. Die Bundesregierung lege jedoch in ihrer Stellungnahme dar, dass es sich dabei um eine zahlenmäßig unbedeutende Sonderkonstellation handele. Die geringe Zahl spreche dafür, dass der Gesetzgeber diese Fälle in Ausübung seiner Typisierungskompetenz habe vernachlässigen dürfen, weil er sich grundsätzlich am Regelfall orientieren dürfe und nicht gehalten sei, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen.
Gesetzgeber durfte jedenfalls gemischt veranlassten Aufwand annehmen
Dem BVerfG zufolge kommt es darauf aber letztlich nicht an. Denn auch bei einer stark auf einen bestimmten späteren Beruf ausgerichteten Erstausbildung liege eine private Mitveranlassung vor. Dass eine berufliche Veranlassung überwiege und den Schwerpunkt bilde, indiziere noch nicht zwangsläufig eine unbedeutende private Mitveranlassung und umgekehrt. Der Gesetzgeber habe deshalb jedenfalls von gemischt veranlasstem Aufwand ausgehen dürfen, bei dem private und berufliche Veranlassungselemente untrennbar seien und den er daher systematisch den Sonderausgaben habe zuordnen dürfen. Auch Erstausbildungen, die wie die Pilotenausbildung einen konkreten Veranlassungszusammenhang mit einer später ausgeübten Erwerbstätigkeit aufwiesen, schafften erstmalig die Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Lebensführung und vermittelten Kompetenzen, die allgemein die Lebensführung der Auszubildenden beeinflussen.
Heterogenität der Gründe für Zweitausbildung hindert Typisierung als maßgeblich privat (mit-)veranlasst
Nach Ansicht des BVerfG ist die Differenzierung zwischen Erstausbildungsaufwand und den Aufwendungen für Zweit- und weitere Ausbildungen gleichheitsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Für letztere richte sich die Zuordnung zu den Werbungskosten nach den einfachrechtlichen Grundsätzen. Entscheidend sei mithin, ob im Einzelfall eine berufliche Veranlassung gegeben sei. Diese Regelung sei sachlich gerechtfertigt, weil die Gründe für eine Zweit- oder weitere Ausbildung so heterogen seien, dass sie sich einer typisierenden Erfassung als maßgeblich privat (mit-)veranlasst entzögen. Unter die weiteren Ausbildungen fielen Fort- und Weiterbildungen für den bereits ausgeübten Beruf oder für eine Spezialisierung in der bisherigen Berufstätigkeit ebenso wie Umschulungen oder eine völlige berufliche Neuorientierung. Die Motive für eine Zweitausbildung könnten mithin sehr unterschiedlich sein. Da Zweitausbildungen nicht mehr in den Grenzbereich zwischen allgemeinbildender Schule und erstmaliger Erwerbstätigkeit fielen, fehle ihnen zugleich das Erstausbildungen verbindende Element, dass sie Grundvoraussetzung für die persönliche Entwicklung und die Erlangung und Festigung einer gesellschaftlichen Stellung seien.
Werbungskostenabzug bei Erstausbildungen innerhalb eines Dienstverhältnisses gerechtfertigt
Auch für die Differenzierung zwischen Erstausbildungen und Erststudiengängen innerhalb und außerhalb eines Dienstverhältnisses sieht das BVerfG einen sachlich einleuchtenden Grund gegeben. Das Bestehen eines Dienstverhältnisses habe zur Folge, dass die Auszubildenden zur Teilnahme sowohl an einer betrieblichen als auch an einer schulischen oder universitären Ausbildung verpflichtet seien. Gleichzeitig erhielten sie eine Vergütung, auch für den schulischen Teil der Ausbildung. Es sei deshalb nicht willkürlich, bei den Auszubildenden anfallende Ausbildungskosten (auch) als Aufwendungen zur Sicherung von Einnahmen aus dem Ausbildungsverhältnis zu bewerten. Zwar schaffe auch die Erstausbildung, die innerhalb eines Dienstverhältnisses erfolge, die Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Lebensführung und vermittele Kompetenzen, die allgemein die Lebensführung der Auszubildenden beeinflussten. Die im Rahmen des Ausbildungsdienstverhältnisses bereits aktuell ausgeübte Erwerbstätigkeit sei jedoch ein sachlicher Grund, der den Gesetzgeber berechtige, zu differenzieren.
Begrenzung des Sonderausgabenabzugs verfassungsgemäß
Schließlich hält das BVerfG auch die Begrenzung des Sonderausgabenabzugs für Erstausbildungskosten auf einen Höchstbetrag von 4.000 Euro in den Streitjahren für verfassungskonform. Sie verstoße nicht gegen das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums. Der existenzielle Bedarf des Auszubildenden werde während der Erstausbildung grundsätzlich durch die zivilrechtliche Unterhaltspflicht der Eltern gedeckt. Alternativ oder kumulativ erfolge eine sozialrechtliche finanzielle Unterstützung, vorrangig durch Ansprüche auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Soweit die Auszubildenden/Studierenden eigenes Einkommen hätten, werde das Existenzminimum durch den Grundfreibetrag abgedeckt. Er habe in den Streitjahren 2004 bis 2008 jeweils 7.664 Euro betragen.
Höchstbetrag überschreitende Kosten nicht dem Existenzminimum zurechenbar
Zusätzlich seien die Erstausbildungskosten in den Streitjahren nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG a. F. als Sonderausgaben bis zu einer Höhe von 4.000 Euro berücksichtigt worden. Seit dem Veranlagungszeitraum 2012 gelte eine Höchstgrenze von 6.000 Euro. Jedenfalls ein darüber hinausgehender Ausbildungsaufwand sei nicht dem Existenzminimum zuzurechnen. Vergleichsebene für die Quantifizierung des Existenzminimums sei das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau. Aufwendungen im Sinn von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG in einer Höhe, die den Höchstbetrag der danach abzugsfähigen Sonderausgaben überschreite, seien weder von der Sozialhilfe noch von den Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz umfasst.
Kein Verstoß gegen Art. 12 GG: Kosten einer Erstausbildung typischerweise realitätsgerecht abgebildet
Die Höchstbetragsgrenze sei schließlich auch bei einer Würdigung von Erstausbildungsaufwand im Licht betroffener Grundrechte, zu der der Gesetzgeber auch dann verpflichtet sei, wenn er diesen zulässigerweise der Sphäre der allgemeinen (privaten) Lebensführung zuordne, nicht zu beanstanden, so das BVerfG. In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle bilde § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG die erforderlichen Kosten für eine eigene Erstausbildung realitätsgerecht ab. Bei der Pilotenausbildung handele es sich um Sonderfälle, die nicht den typischen Fall der Erstausbildung darstellten.
Ausbildungskosten nicht mit erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten vergleichbar
Im Übrigen sei es in weitem Umfang der freien Gestaltung des Gesetzgebers überlassen, wie er der objektiv-rechtlichen Wertentscheidung zugunsten eines freiheitlichen Berufs- und Ausbildungswesens Rechnung trage. Art. 12 GG gebiete jedenfalls nicht eine uneingeschränkte steuerliche Entlastung wegen Erstausbildungsaufwand in beliebiger Höhe auf Kosten der Allgemeinheit. Insofern unterschieden sich Ausbildungskosten etwa von erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten. Letztere seien unter dem besonderen Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG zwangsläufiger Aufwand, weil der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen nicht die "Vermeidbarkeit" ihrer Kinder entgegenhalten dürfe. Für eine besonders kostspielige Erstausbildung gelte das jedenfalls nicht in demselben Maße. Bei der steuerrechtlichen Berücksichtigung von Ausbildungskosten dürfe der Gesetzgeber auch einbeziehen, dass der Staat die Ausbildung durch die Bereitstellung des öffentlichen Bildungswesens und durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bereits fördere.