Rechtsschutz gegen Verbot der Protestcamps gegen Ausbau der A49

Das Bundesverfassungsgericht hat den Eilanträgen des Veranstalters der Protestcamps gegen den Ausbau der Autobahn A49 teilweise stattgegeben. Die Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes gegen einige Verbots- und Auflagenverfügungen des Regierungspräsidiums Gießen sei zu Unrecht erfolgt, entschied das Gericht mit Beschlüssen vom 21.09.2002 in zwei Verfahren.

Beschwerdeführer will Protestcamps gegen Ausbau der Autobahn A49 errichten

Der Beschwerdeführer beabsichtigt für die der Zeit vom 01.09.2020 bis zum 01.03.2021 als Versammlung angemeldete Protestcamps gegen den Ausbau der Autobahn A49 aufzustellen. Hierauf reagierte das Regierungspräsidium Gießen mit Verbots- und Auflagenverfügungen. Der Beschwerdeführer ersuchte im ersten Verfahren um Eilrechtschutz gegen diese Verfügungen. Das Verwaltungsgericht lehnte den auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichteten Eilantrag des Beschwerdeführers ab. Der Verwaltungsgerichtshof gab der Beschwerde hiergegen teilweise statt.

Veranstaltungen wurden nur unter Auflagen erlaubt 

Der Aufbau des zentralen Protestlagers wurde verboten, einzelne Veranstaltungen unter Auflagen erlaubt. Unter der hier besonders umstrittenen Ziffer 3 der Verfügung wurde "die Durchführung der versammlungsrechtlich geschützten Veranstaltungen" von der Einhaltung einer Reihe von Auflagen abhängig gemacht. Beauflagt wurden unter anderem eine Beschränkung der Versammlung auf den Zeitraum vom 01.09.2020 bis zum 20.10.2021 jeweils in der Zeit zwischen 8 und 23 Uhr (Auflage a)) und eine Untersagung des Aufstellens von Zelten zum Zweck "der dauerhaften Unterbringung (z.B. Schlafmöglichkeiten) oder der Regeneration" sowie des Aufstellens und Betreibens "auf gewisse Dauer angelegte[r] Versorgungseinrichtungen" (Auflage d)). Das Regierungspräsidium ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an.

Weitere Protestcamps verboten

Dem zweiten Verfahren liegt eine andere Verfügung des Regierungspräsidiums Gießen zugrunde, die zwei weitere von dem Beschwerdeführer angemeldete Protestcamps betrifft. Als Standort des "Protestcamps Nord" hat der Beschwerdeführer Wiesenflächen im geplanten Trassenverlauf der A49 vorgesehen. Die Flächen stehen im Eigentum des Zweckverbandes Mittelhessische Wasserwerke und befinden sich in der engeren Schutzzone eines Wasserschutzgebiets, in der unter anderem das Zelten und Lagern verboten sind. Das "Protestcamp Ost" soll auf dem Sportplatz in Lehrbach eingerichtet werden. Das Regierungspräsidium verbot beide Protestcamps an den vorgesehenen Standorten, das "Protestcamp Nord" unter anderem aus Gründen des Gewässerschutzes, das "Protestcamp Ost", weil der Sportplatz in Lehrbach ab sofort als Bereitstellungsplatz für den Einsatz von Rettungskräften der Feuerwehr freigehalten werden müsse und überdies zeitlich noch vor der Anmeldung des Protestcamps ab dem 01.10.2020 an die Polizei zur Nutzung als Hubschrauberlandeplatz vermietet worden sei.

BVerfG gibt Eilanträgen mit Wirkung zum 24.09.2020 teilweise statt

Das Bundesverfassungsgericht hat den Anträgen der Beschwerdeführer teilweise stattgegeben und die aufschiebende Wirkung der Klagen wiederhergestellt. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs im ersten Verfahren sei offensichtlich begründet, soweit der Verwaltungsgerichtshof die Gewährung fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes (auch) hinsichtlich der Auflagen unter Ziffer 3 Buchstaben a) und d) des Bescheides vom 31.08.2020 abgelehnt und damit die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt habe. Seine Ausführungen ließen nicht erkennen, dass er das insbesondere auch gegen eine Vollziehbarkeit der Auflagen unter Ziffer 3 a) und d) gerichtete Rechtsschutzziel des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren in zutreffender, den erkennbaren Interessen des Beschwerdeführers Rechnung tragender Weise erfasst und darüber entschieden habe.

Rechtsschutzversagung würde schweren Nachteil für das gemeine Wohl bedeuten

Möglicherweise gehe der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass infolge seines Beschlusses das Regierungspräsidium noch einmal über die Versammlung entscheiden und dabei sein Ermessen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs erneut ausüben werde. Es sei jedoch nicht ersichtlich, dass es hierzu kommen werde, weil für das Regierungspräsidium kein Anlass zu einer neuen Entscheidung bestehe, nachdem die strittigen Auflagen nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs weiterhin sofort vollziehbar wären. Ein Abwarten bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens oder des verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens würde das von dem Beschwerdeführer verfolgte Begehren nach effektivem - rechtzeitigem - verwaltungsgerichtlichem Rechtsschutz gegen die eine Durchführung des Protestcamps beschränkenden Auflagen mit hoher Wahrscheinlichkeit infolge Zeitablaufs vereiteln. Unter diesen Umständen läge in der Nichtgewährung von einstweiligem Rechtsschutz ein schwerer Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG. Das BVerfG hat seine Anordnung mit Wirkung ab dem 24.09.2020 getroffen, um dem Regierungspräsidium Gelegenheit zu geben, auf die Entscheidung zu reagieren und gegebenenfalls geboten erscheinende Anordnungen (erneut) zu treffen. 

"Protestcamp Nord" bleibt verboten

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Ermöglichung des "Protestcamps Nord" an dem von ihm gewünschten Standort komme nicht in Betracht. Die gebotene Folgenabwägung falle zugunsten des Verbots aus, weil dort von einem Zeltlager der hier in Rede stehenden Dauer und Größenordnung die Gefahr von Trinkwasserverunreinigungen ausgehe. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen das Verbot des "Protestcamps Ost" auf dem Sportplatz Lehrbach wendet, sei der Antrag teilweise begründet. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Beschwerdeführers sei wiederherzustellen, soweit es eine Durchführung des Protestcamps im Zeitraum vom 24. bis 30.09.2020 betreffe. Ab dem 01.10.2020 sei der Platz dagegen bereits anderweitig versprochen. Dies sei nicht zu beanstanden. Auch insoweit stelle die Kammer die aufschiebende Wirkung erst ab dem 24.09.2020 wieder her, um dem Regierungspräsidium Gießen Gelegenheit zu geben, auf die Entscheidung zu reagieren und, gestützt auf eine tragfähige Begründung, ihm gegebenenfalls geboten erscheinende Anordnungen zu treffen.

BVerfG, Beschluss vom 22.09.2020 - 1 BvR 2146/20

Redaktion beck-aktuell, 22. September 2020.