BVerfG: Unterlassene Stellungnahme vor Berichterstattung lässt Gegendarstellungsanspruch nicht entfallen

Der Anspruch auf Abdruck einer Gegendarstellung besteht auch dann, wenn der Betroffene vor der Veröffentlichung eines Artikels die Möglichkeit erhalten hatte, dazu Stellung zu nehmen, aber keine Stellungnahme abgegeben hat. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 09.04.2018 entschieden und eine Verfassungsbeschwerde des Spiegel-Verlags nicht zur Entscheidung angenommen. Den Betroffenen treffe keine Obliegenheit zur Stellungnahme vor der Berichterstattung (Az.: 1 BvR 840/15).

Fernsehmoderator lehnte Stellungnahme zu Schleichwerbungsvorwürfen vor Veröffentlichung ab

Die Beschwerdeführerin ist Verlegerin des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" und veröffentlichte im Februar 2013 einen Bericht über Schleichwerbungsvorwürfe gegen den Fernsehmoderator Thomas Gottschalk, den Antragsteller des Ausgangsverfahrens. Danach habe dieser in Fernsehsendungen versteckt Werbung für Produkte verschiedener Firmen gemacht. Vor der Veröffentlichung hatte der Redakteur Gottschalks Prozessbevollmächtigten mit der geplanten Berichterstattung konfrontiert und zur Stellungnahme aufgefordert. Der Prozessbevollmächtigte wies die Vorwürfe telefonisch zurück, äußerte, dass keine Erklärung abgegeben werde, und teilte mit, dass der Inhalt des Gesprächs für die geplante Berichterstattung nicht verwendet werden dürfe.

Nach Veröffentlichung des Artikels Abdruck einer Gegendarstellung gefordert

Nach der Veröffentlichung des Berichts forderte der Antragsteller die Beschwerdeführerin zum Abdruck einer Gegendarstellung auf, was diese zurückwies. Das Landgericht erließ daraufhin eine einstweilige Anordnung, wonach die Beschwerdeführerin zum Abdruck der beantragten Gegendarstellung verurteilt wurde. Der dagegen gerichtete Widerspruch blieb ebenso erfolglos wie die vor dem Oberlandesgericht erhobene Berufung.

Nachrichtenmagazin sieht Meinungs- und Pressefreiheit verletzt

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG, da sie zu Unrecht zu einer Gegendarstellung verpflichtet worden sei. Sie begründet dies damit, dass der Antragsteller durch die unterlassene vorherige Stellungnahme seinen Anspruch auf Abdruck einer Gegendarstellung verloren habe.

BVerfG: Keine Obliegenheit zur Stellungnahme vor Berichterstattung

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die angegriffenen Entscheidungen seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und verletzten die Beschwerdeführerin nicht in ihrer Meinungs- und Pressefreiheit. Die darin vorgenommene Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Betroffenen und der Pressefreiheit sei nicht zu beanstanden. Laut BVerfG besteht keine Obliegenheit, sich im Vorfeld einer geplanten Berichterstattung zu dieser zu äußern und Stellung zu beziehen. Die Gründe, von einer Stellungnahme abzusehen, könnten vielfältig sein. Die Annahme einer Obliegenheit zur Stellungnahme würde zu einer Verpflichtung erwachsen, auch an einer gegen den eigenen Willen geplanten Berichterstattung mitzuwirken, nur um den Anspruch auf Gegendarstellung zu behalten. Im Übrigen hätte sie zur Folge, dass sich Medienunternehmen Gegendarstellungsansprüchen entziehen könnten, indem sie den Betroffenen vorab um eine Stellungnahme bitten. Dies würde das Gegendarstellungsrecht entwerten, so das BVerfG.

Schutzzweck erlaubt keinen Verlust bei unterlassener Stellungnahme

Die Fachgerichte hätten die unterschiedliche publizistische Wirkung einer vom Betroffenen selbst verfassten Gegendarstellung und einer unter Umständen nur kurzen Erwähnung des eigenen Standpunkts im ursprünglichen Artikel in der Abwägung der widerstreitenden Grundrechte in verfassungskonformer Weise berücksichtigt, erläutert das BVerfG weiter. Das Gegendarstellungsrecht solle Betroffenen die Möglichkeit einräumen, Tatsachenbehauptungen entgegen zu treten und damit deren Wahrheitsgehalt in Frage zu stellen. Der Schutzzweck reiche weiter, als dem Betroffenen lediglich die Möglichkeit einzuräumen, nachträglich zu Wort zu kommen, falls dies in der Erstberichterstattung nicht ausreichend geschehen sei. Werde der vom Betroffenen geäußerte Standpunkt neutral dargestellt, entfalle zwar in der Regel der spätere Gegendarstellungsanspruch. Ein grundsätzlicher Verlust des Gegendarstellungsanspruchs bei unterlassener Stellungnahme würde dem Schutzzweck jedoch nicht gerecht.

Gegendarstellungsrecht erfordert keine Einzelfallabwägung

Schließlich legt das BVerfG dar, dass es nicht erforderlich sei, zur Entscheidung über einen Gegendarstellungsanspruch eine einzelfallbezogene Grundrechtsabwägung zu treffen. Vielmehr trügen die Pressegesetze der Länder sowie der Rundfunkstaatsvertrag dem Spannungsverhältnis zwischen den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ausreichend Rechnung. Eine Einzelfallabwägung würde dazu führen, dass die generellen Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruchs aus § 11 Hamburgisches Pressegesetz, die den verfassungsgemäßen Ausgleich der betroffenen Grundrechtspositionen gewährleisteten, unterlaufen  würden. Besonderheiten des Einzelfalls könnten über das Kriterium des "berechtigten Interesses" des § 11 HbgPrG ausreichend berücksichtigt werden. Zudem ermögliche § 11 Abs. 3 HbgPrG es dem Medienunternehmen, eine Anmerkung zu der Gegendarstellung zu veröffentlichen und damit faktisch das "letzte Wort" zu haben. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei dadurch in der Regel gewahrt.

BVerfG, Beschluss vom 09.04.2018 - 1 BvR 840/15

Redaktion beck-aktuell, 25. Mai 2018.