BVerfG: Transferzahlungen der Bundesarbeitsagentur an Bund nach "Hartz-Reformen" für 2005 und 2008 verfassungskonform

Die Transferzahlungen, die die Bundesagentur für Arbeit nach den "Hartz-Reformen" aus Beiträgen von versicherungspflichtigen Arbeitnehmern und Arbeitgebern an den Bundeshaushalt zur teilweisen Deckung der Kosten der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu leisten hatte, verstießen für die Jahre 2005 und 2008 nicht gegen das Gebot der Belastungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22.05.2018 entschieden. Zwar liege eine Ungleichbehandlung vor. Diese sei aber für das Jahr 2005 durch den Systemwechsel gerechtfertigt. 2008 habe sich die Transferzahlung wegen eines zweckungebundenen Bundeszuschusses nicht auf die Beitragshöhe ausgewirkt (Az.: 1 BvR 1728/12 und 1 BvR 1756/12).

Eingliederungsleistungen in alter Arbeitslosenhilfe aus Beiträgen finanziert

Zur sozialstaatlichen Absicherung des Risikos der Arbeitslosigkeit diente neben dem Arbeitslosengeld als Leistung der sozialen Vorsorge bis zur Neuregelung des Systems der sozialen Fürsorge durch die sogenannten Hartz-Reformen die Arbeitslosenhilfe. Die Arbeitslosenhilfe wurde als Leistung der Arbeitsförderung nach dem SGB III erbracht. Für die Leistungen zum Lebensunterhalt erhielt die Bundesagentur für Arbeit Mittel aus dem Bundeshaushalt. Die Eingliederungsleistungen für Arbeitslosenhilfeempfänger wurden jedoch wie die Leistungen an Bezieher von Arbeitslosengeld und die sonstigen Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit hauptsächlich durch Beiträge der versicherungspflichtigen Arbeitnehmer und der Arbeitgeber finanziert. Diese Beiträge bilden die Haupteinnahmequelle der Bundesagentur für Arbeit und werden nach einem gesetzlich bestimmten Beitragssatz von den beitragspflichtigen Einnahmen der Versicherungspflichtigen bis zur Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung erhoben. Die Beiträge werden jeweils zur Hälfte von dem beitragspflichtig Beschäftigten und dem Arbeitgeber getragen. 

Nach Systemwechsel Transferzahlungen zu Kompensation geänderter Finanzierung 

Durch die "Hartz-Reformen" wurden mit Wirkung zum 01.01.2005 die Arbeitslosen- und weite Teile der Sozialhilfe im SGB II zusammengeführt. Dieses unterscheidet zwischen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, vornehmlich Arbeitslosengeld II und Sozialgeld, und Leistungen zur Eingliederung. Je nach in Rede stehender Leistung ist entweder die Bundesagentur für Arbeit oder der jeweilige kommunale Leistungsträger für die Gewährungen der Leistungen zuständig. Mit der Aufgabenzuständigkeit der kommunalen Träger geht grundsätzlich deren Kostenträgerschaft einher. Der Bund trägt hingegen die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, soweit diese Leistungen von der Bundesagentur für Arbeit erbracht werden. Das gilt unter anderem für die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit der Bezieher von Leistungen nach dem SGB II, während die entsprechenden Leistungen für die Bezieher von Arbeitslosenhilfe zuvor ganz überwiegend aus Beitragsmitteln der Bundesagentur für Arbeit finanziert worden waren. Vor diesem Hintergrund sah § 46 Abs. 4 SGB II in der jeweils geltenden Fassung von 2005 bis 2012 Transferzahlungen der Bundesagentur für Arbeit an den Bundeshaushalt zur teilweisen Deckung der Kosten der Grundsicherung für Arbeitsuchende vor. 

2005 "Aussteuerungsbetrag" an Bund zu leisten 

In dem für das Verfahren 1 BvR 1728/12 streitgegenständlichen Jahr 2005 sah § 46 Abs. 4 SGB II vor, dass die Bundesagentur für Arbeit viermal im Jahr eine Transferzahlung – genannt Aussteuerungsbetrag – leistete, die anhand der Zahl der Arbeitsuchenden zu bemessen war, die nach dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs innerhalb von drei Monaten einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II erwarben. Neben einem Anreiz für die Bundesagentur für Arbeit, möglichst viele Arbeitslose vor einem Wechsel aus dem Bezug von Arbeitslosengeld in den Bezug von Arbeitslosengeld II beruflich einzugliedern, sollten die Transferzahlungen bewirken, dass die zuvor für die Eingliederung von Arbeitslosenhilfebeziehern verwendeten finanziellen Mittel zum größten Teil für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zur Verfügung gestellt werden. 

"Aussteuerungsbetrag" 2008 durch "Eingliederungsbeitrag" ersetzt 

Der Aussteuerungsbetrag wurde in dem für das Verfahren 1 BvR 1756/12 maßgeblichen Zeitraum 2008 durch einen Eingliederungsbeitrag in Höhe einer hälftigen Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit an den aus dem Bundeshaushalt zu finanzierenden Eingliederungs- und Verwaltungskosten nach dem SGB II ersetzt und § 46 Abs. 4 SGB II entsprechend neu gefasst. Anlass für die Neuregelung war die zum damaligen Zeitpunkt anhaltende positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung und die nach Auffassung des Gesetzgebers daraus resultierende Notwendigkeit einer neuen finanziellen Lastenverteilung zwischen Bund und Bundesagentur für Arbeit. 

Beschwerdeführer fordern Herabsetzung ihrer Beiträge zu gesetzlicher Arbeitslosenversicherung 

Die Beschwerdeführer wendeten sich gegen diese Transferzahlungen. Der Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 1728/12 war als Angestellter in der Arbeitslosenversicherung pflichtversichert und beantragte die Absenkung und Neufestsetzung der Höhe seines Arbeitnehmeranteils für das Jahr 2005 und die Erstattung des überzahlten Betrags, da der Gesetzgeber in verfassungswidriger Weise die Abführung des aus Beitragsmitteln zu finanzierenden Aussteuerungsbetrages an den Bund verlange und daher sein Beitrag um rund 10% überhöht festgesetzt worden sei. Die gegen die Ablehnung seines Antrags erhobenen Widersprüche sowie die Klage vor dem Sozialgericht blieben erfolglos. Die vom SG zugelassene Sprungrevision wies das Bundessozialgericht als unbegründet zurück. Die Beschwerdeführerin im Verfahren 1 BvR 1756/12 ist eine juristische Person des Privatrechts, die für ihre Arbeitnehmerin 1,65% von deren Bruttoeinkommen als Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung entrichtet hatte. Diesen Betrag verlangte sie für das Jahr 2008 teilweise zurück, da der Beitrag wegen der Transferzahlung in Form des Eingliederungsbeitrags zu hoch festgesetzt worden sei. Widerspruch und Klage gegen den abgelehnten Antrag blieben ebenso erfolglos wie die zugelassene Sprungrevision vor dem BSG

Verstoß gegen Gebot der Belastungsgleichheit durch Transferzahlungen gerügt 

Die Beschwerdeführer rügten in ihren im Wesentlichen gleich begründeten Verfassungsbeschwerden unter anderem eine Verletzung des Gebots der Belastungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG, da die Vorschrift des § 46 Abs. 4 SGB II den Beitragszahlern eine zusätzliche Last zur Finanzierung des Bundeshaushalts auferlege. Mit dem Aussteuerungsbetrag 2005 und dem Eingliederungsbeitrag 2008 würden Beitragsmittel ohne jegliche Zweckbindung kompetenzwidrig in die freie Disposition des Haushaltsgesetzgebers gegeben und zur Entlastung des Bundeshaushalts verwendet statt für die Finanzierung der Aufgaben der Sozialversicherung. 

BVerfG: Transferzahlungen begründen Ungleichbehandlung 

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen. Ein Verstoß gegen Grundrechte, vor allem gegen das Gebot der Belastungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG, sei nicht gegeben. Zwar liege eine Ungleichbehandlung vor. Denn die Legitimation der Beitragsbelastung – sowohl der Arbeitnehmer wie der Arbeitgeber – sei auf die Finanzierung im Binnensystem der Sozialversicherung begrenzt. Die erhobenen Geldmittel dürften allein zur Finanzierung der Aufgaben der Sozialversicherung eingesetzt werden und nicht zur Befriedigung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staats. Vorliegend ordne § 46 Abs. 4 SGB II jedoch sowohl in der für das Jahr 2005 und wie in der für das Jahr 2008 maßgeblichen Fassung die Verwendung von Beiträgen der Arbeitslosenversicherung zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs des Bundes an, sodass eine Ungleichbehandlung vorliege. 

Ungleichbehandlung 2005 durch Systemwechsel gerechtfertigt 

Laut BVerfG ist diese Ungleichbehandlung jedoch für das im Verfahren 1 BvR 1728/12 im Streit stehende Jahr 2005 durch den grundlegenden sozialrechtlichen Systemwechsel gerechtfertigt, der mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und deren Ersetzung durch die Grundsicherung für Arbeitsuchende verbunden gewesen sei und der umfassende rechtliche, organisatorische und tatsächliche Änderungen mit sich gebracht habe. Dieser Systemwechsel habe sich nicht sofort und umfassend vollziehen lassen. Für das Übergangsjahr sei es daher legitim gewesen, die finanziellen Mittel, die bisher aus dem Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit für Arbeitslosenhilfebezieher verwendet worden seien, zum größten Teil über den Umweg der Transferzahlung in den Bundeshaushalt der Grundsicherung für Arbeitsuchende zur Verfügung zu stellen. 

2008: Beitragssatz wegen zweckungebundenen Bundeszuschusses durch Transferzahlung nicht berührt 

Diese aus dem Systemwechsel folgende Rechtfertigung gelte zwar für das Jahr 2008 nicht mehr, ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege dennoch auch für dieses Jahr nicht vor, so das BVerfG weiter. Der Eingliederungsbeitrag im Jahr 2008 sei bei einer saldierenden Betrachtungsweise nicht als aus Beitragsmitteln der Bundesagentur für Arbeit finanziert anzusehen. Denn ihm habe ein noch höherer zweckungebundener Bundeszuschuss an die Bundesagentur für Arbeit gegenübergestanden, der direkt zur Aufbringung des Eingliederungsbeitrags habe verwendet werden können, sodass der Eingliederungsbeitrag letztlich für den Bundeshaushalt normativ nicht relevant gewesen sei. Mit dem Bundeszuschuss seien keine anderen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit vorrangig zu finanzieren gewesen, sodass bei rechnerisch-saldierender Betrachtung die wechselseitigen Zahlungen zwischen dem Bund und der Bundesagentur für Arbeit ohne nachteilige Auswirkungen für den Beitragszahler geblieben seien.

BVerfG, Beschluss vom 22.05.2018 - 1 BvR 1728/12

Redaktion beck-aktuell, 1. August 2018.

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