Tierarztvorbehalt für nicht verschreibungspflichtige Humanhomöopathika verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat den Tierarztvorbehalt in § 50 Abs. 2 TAMG in Bezug auf die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika bei Tieren gekippt. Beschwerde geführt hatten drei Tierheilpraktikerinnen und eine Tierhomöopathin. Der Tierarztvorbehalt verletzte laut BVerfG deren Berufsfreiheit, bei Tierhaltern die allgemeine Handlungsfreiheit.  

Tierheilpraktikerinnen sahen durch Tierarztvorbehalt ihre Praxen bedroht

Beschwerde führten drei Tierheilpraktikerinnen und eine Tierhomöopathin, die in ihren Praxen vor allem Hunde und Katzen, aber auch Pferde und teilweise Kleintiere behandeln. Sie arbeiten nahezu ausschließlich klassisch homöopathisch und verwenden hochpotenzierte Humanhomöopathika, die registrierungspflichtig, aber nicht verschreibungspflichtig sind. Eine der Beschwerdeführerinnen hält auch privat Hunde und Pferde, die sie bei Bedarf ebenfalls mit Humanhomöopathika behandelt. Nach alter Rechtslage war ihnen dies erlaubt, nach dem im Januar in Kraft getretenen Tierarztvorbehalt in § 50 Abs. 2 TAMG dürfen sie solche Humanhomöopathika bei Tieren nur noch dann anwenden, wenn sie zuvor von einer Tierärztin oder einem Tierarzt verschrieben oder abgegeben worden sind. Die Beschwerdeführerinnen rügten eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Als Tierhalterin rügte eine von ihnen zudem eine Verletzung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG.

BVerfG: Unverhältnismäßiger Eingriff in Berufsfreiheit

Das BVerfG hat § 50 Abs. 2 TAMG gekippt, soweit die Vorschrift die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger und zugleich registrierter homöopathischer Humanarzneimittel bei Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, unter einen Tierarztvorbehalt stellt. Die Regelung verfolge zwar den legitimen Zweck, die Qualität von Diagnostik und Therapie bei Heilbehandlungen von Tieren zu sichern. § 50 Abs. 2 TAMG greife aber  unverhältnismäßig in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerinnen ein. Der Tierarztvorbehalt für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika sei unangemessen zur Sicherung der Qualität von Diagnostik und Therapie. Denn Tierheilpraktiker und Tierhomöopathen, die klassisch homöopathisch arbeiteten, stünden beruflich auf diesem Gebiet praktisch vor dem Aus.

Geringe Gefährdung von Tierschutz und Gesundheit von Tier und Mensch  

Dem stünden mit dem Tierschutz sowie der Gesundheit von Tier und Mensch zwar erhebliche Gemeinwohlbelange gegenüber. Die Wahrscheinlichkeit ihrer Beeinträchtigung sei jedoch als nicht sehr hoch einzuschätzen. Das BVerfG verweist auf sanktionsbewehrte Verhaltens- und Anzeigepflichten im Tierschutz- und Tiergesundheitsgesetz. Außerdem habe der Gesetzgeber eine Beeinträchtigung selbst nicht für sehr wahrscheinlich gehalten, da er eine Gefährdung im Hinblick auf zahlreiche andere Heilbehandlungen bei Tieren grundsätzlich hinnimmt. So gelte etwa für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Tierarzneimittel (etwa Tierhomöopathika) oder alternativer Heilmethoden (etwa Pflanzenheilkunde) kein Tierarztvorbehalt. Die Gefahr von Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen und das Risiko, dass auf Menschen übertragbare Infektionskrankheiten unerkannt bleiben können oder falsch behandelt werden, nehme der Gesetzgeber dort hin.

Weitere Risikominderung durch Nachweis theoretischer Kenntnisse in der Tierheilkunde möglich

Laut BVerfG kann die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes sowie einer Schädigung der Gesundheit von Tier und Mensch aber vor allem dadurch weiter gemindert werden, dass die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika bei Tieren durch nichtärztliche Personen zumindest vom Nachweis solcher Kenntnisse abhängig gemacht werden, die dazu befähigten einzuschätzen, inwieweit die Zuziehung eines Tierarztes oder die Verweisung an einen Tierarzt erforderlich sei. Soweit der Tierarztvorbehalt die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika durch Tierhalter betreffe, greife er unverhältnismäßig in deren allgemeine Handlungsfreiheit ein.

Redaktion beck-aktuell, 16. November 2022.