Telefonüberwachung in der Untersuchungshaft

Die bloße Möglichkeit, dass ein Untersuchungsgefangener Freiheiten missbraucht, reicht nicht aus, um Beschränkungen anzuordnen. Das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass gerade bei Maßnahmen, die auch den Schutz der Familie betreffen, eine eingehende Prüfung der Notwendigkeit erforderlich ist. Hintergrund war die angeordnete Überwachung von Telefonaten eines Häftlings mit seinen Eltern.

Manipulation der Eltern?

Ein Untersuchungshäftling wehrte sich gegen die Überwachung der Telefonate mit seinen Eltern. Das Amtsgericht München hatte am 28.06.2019 gegen ihn einen Haftbefehl wegen des Verdachts einer schweren Sexualstraftat erlassen und mit Fluchtgefahr begründet. Es ordnete an, dass Telefonate mitgehört werden müssten. Da der Mann nach § 63 StGB wegen einer anderen Sache rechtskräftig in einer psychiatrischen Klinik untergebracht worden war, wurde der Haftbefehl durchgehend nachrangig vollstreckt (Überhaft). Um den Jahreswechsel 2019/2020 herum gestattete die Staatsanwaltschaft ihm Telefonate mit seinen Eltern. Verfahrensrelevantes durfte nicht besprochen werden, und bei Gesprächen mit seiner aus Frankreich stammenden Mutter musste ein Dolmetscher mithören. Im Sommer 2021 verurteilte das LG München I den einschlägig vorbestraften Angeklagten zu einer Haftstrafe von zwölf Jahren und ordnete Sicherungsverwahrung an. Der Mann hatte die Tat eingeräumt. Dabei ging das Gericht davon aus, dass keine verminderte Schuldfähigkeit bestand. Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung hinsichtlich der Rechtsfolge auf. Im Hinblick auf den Schuldspruch beantragte der Häftling die Aufhebung der Telefonüberwachung. Das LG München I und das OLG in der bayerischen Hauptstadt verweigerten dies: Da er vehement eine Unterbringung nach § 63 StGB gefordert habe, bestehe auch jetzt noch die Gefahr, dass er seine Eltern manipulieren könne, dieses Ziel durch Aussagen zu seiner psychischen Verfassung zur Tatzeit zu unterstützen. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

Unzureichende Begründungstiefe

Die von den Strafgerichten gelieferte Begründung empfanden die Verfassungsrichter als zu dünn. Sie erinnerten daran, dass für Beschränkungen in der U-Haft die Unschuldsvermutung gilt. Dies sei auch dann der Fall, wenn die Untersuchungshaft gegenüber der Strafhaft nachrangig zu vollstrecken sei. Es müssten konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Gefahr eines Missbrauchs von Freiheiten bestehe. Die bloße Möglichkeit, dass dies geschehen könne, reiche nicht aus. Greift die Einschränkung zusätzlich in den Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG ein, muss eine "besonders ernstliche und eingehende" Prüfung der Unverzichtbarkeit des Eingriffs erfolgen, wie das BVerfG hervorhob. Dabei müsse insbesondere berücksichtigt werden, wie lange die Beschränkung schon bestehe. Diese tiefer gehende Auseinandersetzung ließen die fachgerichtlichen Entscheidungen vermissen, so dass BVerfG. Es werde auch nicht plausibel erklärt, inwieweit neue Aussagen der Eltern eine entscheidende Bedeutung für die Frage der Schuldfähigkeit haben könnten. Die Kammer erinnerte daran, dass die Thematik einer Unterbringung nach § 63 StGB gerade durch die bestehende Anordnung das Verfahren von Beginn an bestimmt habe und eingehend geprüft worden sei. 

BVerfG, Beschluss vom 15.11.2022 - 2 BvR 1139/22

Redaktion beck-aktuell, 6. Dezember 2022.