BVerfG stoppt Rückführung eines Kindes zu in Spanien lebendem Vater
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Die Mutter eines achtjährigen Jungen muss ihren Sohn vorerst nicht an dessen in Spanien lebenden Vater herausgeben. Das Bundesverfassungsgericht hat die Vollstreckung der familiengerichtlichen Entscheidung auf Antrag der Mutter vorläufig außer Vollzug gesetzt. Maßgebend sei die nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls, welche bei einer Rückführung des Jungen, der kein Spanisch spricht und seinen Vater kaum kennt, nach Spanien drohte.

Deutsche Gerichte lehnen Rückführung zunächst ab

Der Junge war 2013 in Madrid zur Welt gekommen. Wenig später trennten sich die unverheirateten Eltern, die Mutter zog ohne Zustimmung ihres Ex-Partners nach Deutschland und nahm das Kind mit. Ein bei einem Familiengericht in Deutschland 2016 gestellter Antrag des Vaters, seinen Sohn auf der Grundlage des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) sofort nach Spanien zurückzuführen, blieb in beiden Instanzen erfolglos. Das FG und auf die Beschwerde des Vaters hin das OLG lehnten die Rückführung jeweils mit der Begründung ab, die Jahresfrist aus Art. 12 Abs. 1 HKÜ sei verstrichen und zudem habe sich das Kind zwischenzeitlich in seine neue Umgebung eingelebt (vgl. Art. 12 Abs. 2 HKÜ).

Spanisches Gericht ordnet Herausgabe an - deutsche Gerichte fühlen sich gebunden

2021 ordnete schließlich ein Gericht in Madrid die Herausgabe des Kindes an. Der Junge selbst wurde nicht gefragt. Sowohl das FG Bamberg als auch das OLG Bamberg sahen sich an diese Entscheidung gebunden: Vollstreckbar seien Entscheidungen über die Rückgabe eines Kindes nach Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO, für die gemäß Art. 40 Abs. 1b Brüssel IIa-VO eine Bescheinigung des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaates nach Art. 42 Abs. 2 Brüssel IIa-VO vorliege. Die Vollstreckung bei Vorliegen einer solchen Bescheinigung sei ohne weitere Prüfung seitens des Vollstreckungsgerichts durchzuführen. Alle Einwände gegen die Herausgabe des Kindes oder das spanische Erkenntnisverfahren seien vor spanischen Gerichten geltend zu machen.

BVerfG: FG hätte inhaltlich prüfen müssen

Der Antrag auf einstweilige Anordnung war nun erfolgreich. Zunächst führte das BVerfG aus, dass Art. 42 Brüssel IIa-VO einer inhaltlichen Prüfung schon deshalb nicht entgegenstehen könne, weil die Vorschrift gar nicht anwendbar sei. Eine Entscheidung im Sinne von Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO läge nur dann vor, wenn sich die zuvor ergangene, die Rückführung ablehnende deutsche Entscheidung auf Art. 13 HKÜ gestützt hätte. Das OLG habe die bestätigende Beschwerdeentscheidung im Jahr 2016 aber allein auf Art. 12 Abs. 2 HKÜ gestützt. Das spanische Gericht habe sich bei seiner Entscheidung über die sofortige Rückgabe des Kindes im Jahr 2021 also nicht auf Art. 11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO stützen dürfen. Da mithin kein Fall des Art. 42 Brüssel IIa-VO vorliege, sei das deutsche Vollstreckungsgericht an und für sich nicht pauschal an einer inhaltlichen Prüfung gehindert gewesen. Vielmehr hätte das Gericht nach allgemeinen Regeln inhaltlich prüfen und Grundrechte zur Geltung bringen können. Nach vorläufiger Einschätzung des BVerfG hätte das Gericht zumindest prüfen könne, ob die Anwendbarkeit von Art. 42 Brüssel IIa-VO überhaupt gegeben ist.

Folgenabwägung zugunsten von Mutter und Sohn

Darüber hinaus falle die im Eilverfahren vorzunehmende Folgenabwägung zugunsten der Antragstellerin und ihres Sohnes aus. Wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, hätte der Vater das Kind, welches in Deutschland aufgewachsen sei, kein Spanisch spreche und den Vater kaum kenne, zu Unrecht sofort mit nach Spanien nehmen dürfen. Dies sei mit dem Wohl des Kindes nicht vereinbar, zumal sich im umgekehrten Fall das dem Vater widerfahrene Unrecht lediglich dadurch vertiefen würde, dass sich die Rückführung nach Spanien verzögert. Die Nachteile des Kindes hielten sich hingegen in Grenzen, gerade weil es sich seit vielen Jahren in Deutschland eingelebt habe und die Rückführung nach Spanien eine erhebliche Belastung darstelle. Wenn die Antragstellerin nun rechtzeitig Verfassungsbeschwerde erhebt, könnte ihr Fall in Karlsruhe genauer geprüft und die Herausgabe weiter aufgehalten werden.

BVerfG, Beschluss vom 01.08.2022 - 1 BvQ 50/22

Miriam Montag, 5. August 2022 (ergänzt durch Material der dpa).