Für 2007 erfolgte Steuerprivilegierung von Gewinneinkünften verfassungswidrig
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Eine auf Gewinneinkünfte beschränkte Begrenzung des Einkommensteuertarifs durch Regelungen im Steueränderungsgesetz 2007 und im Jahressteuergesetz 2007 ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar. Denn die Vorschriften bewirkten eine nicht gerechtfertigte Begünstigung von Gewinneinkünften gegenüber den Überschusseinkünften, so das Bundesverfassungsgericht. Der Gesetzgeber müsse spätestens bis zum 31.12.2022 rückwirkend für das Veranlagungsjahr 2007 eine Neuregelung treffen.

Steuererhöhung mit Ausnahmen versehen

Durch das Steueränderungsgesetz 2007 wurde für Einkünfte über 250.000 Euro (Einzelveranlagung) beziehungsweise 500.000 Euro (Zusammenveranlagung von Ehegatten) der Spitzensteuersatz ab dem Jahr 2007 von 42% auf 45% erhöht (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 EStG). Von der Erhöhung wurden Gewinneinkünfte (zum Beispiel Einkünfte aus Gewerbebetrieb) für das Jahr 2007 ausgenommen (§ 32c EStG), sodass der Spitzensteuersatz von 45% nur Bezieher von Überschusseinkünften (zum Beispiel Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit) traf.

Verweis auf spezifisch unternehmerisches Risiko bei Gewinneinkünften

Zur Begründung führte der Gesetzgeber zum einen an, Gewinneinkünfte seien mit einem spezifisch unternehmerischen Risiko verbunden. Zum anderen wollte er mit der Entlastung der Gewinneinkünfte dem Umstand Rechnung tragen, dass für 2008 eine umfassende Unternehmenssteuerreform geplant war. Er sah vor diesem Hintergrund eine Anhebung des Spitzensteuersatzes auch für unternehmerische Einkünfte als das falsche Signal und zudem mit negativen ökonomischen Folgen verbunden an. Durch das Jahressteuergesetz 2007 erfolgten weitere Anpassungen des Einkommensteuergesetzes zur Beschränkung des Steuersatzes für Gewinneinkünfte auf 42%.

Verstoß gegen Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit?

Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind Ehegatten und wurden für den Veranlagungszeitraum 2007 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte als Geschäftsführer einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von mehr als 1,5 Millionen Euro. Insoweit berücksichtigte das Finanzamt bei der Einkommensteuerfestsetzung den Spitzensteuersatz von 45%. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob das Ehepaar Klage vor dem Finanzgericht und machte geltend, die Benachteiligung der Überschusseinkünfte gegenüber den Gewinneinkünften verstoße gegen das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Das FG Düsseldorf hat das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob eine auf Gewinneinkünfte beschränkte Begrenzung des Einkommensteuertarifs für das Jahr 2007 mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

BVerfG erinnert an Grundsatz der Steuergerechtigkeit

Das BVerfG stellt fest, dass § 32c EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 und des Jahressteuergesetzes 2007 in Verbindung mit § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Zwar belasse Art. 3 Abs. 1 GG dem Steuergesetzgeber insbesondere bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weit reichenden Entscheidungsspielraum. Der Gleichheitssatz binde ihn aber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit. Dieser gebiete, die Belastung mit Finanzzwecksteuern an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten.

Ungleichbehandlung muss gerechtfertigt sein

Weiter stellt das Verfassungsgericht klar, dass bei der Einkommenssteuer die konkrete Ausgestaltung eines für alle Einkünfte geltenden Tarifs grundsätzlich im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers liegt. Wähle der Gesetzgeber indes für verschiedene Arten von Einkünften unterschiedliche Tarifverläufe, obwohl die Einkünfte nach der gesetzgeberischen Ausgangsentscheidung die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentieren, müsse diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein. Ein solcher Rechtfertigungsgrund könne in der Verfolgung von Förderungs- oder Lenkungszwecken liegen. Der Gesetzgeber sei nämlich grundsätzlich nicht gehindert, mit Hilfe des Steuerrechts aus Gründen des Gemeinwohls außerfiskalische Förder- und Lenkungsziele zu verfolgen.

Förderungs- oder Lenkungsziele müssen hinreichend bestimmt sein

Förderungs- und Lenkungsziele sind laut BVerfG allerdings nur dann geeignet, rechtfertigende Gründe für steuerliche Be- oder Entlastungen zu liefern, wenn entweder Ziel und Grenze der Lenkung mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet sind oder das angestrebte Förderungs- oder Lenkungsziel jedenfalls von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen wird. Die gesetzgeberische Entscheidung für Förderungs- oder Lenkungszwecke müsse hinreichend bestimmt sein, so das BVerfG. In den Gesetzesmaterialien genannte lediglich vage Zielsetzungen genügten demnach für sich genommen nicht, um Abweichungen von einer leistungsgerechten Besteuerung zu rechtfertigen.

In 2007 erfolgte Privilegierung der Gewinneinkünfte gleichheitswidrig

Nach diesen Maßstäben ist laut BVerfG die verfahrensgegenständliche Privilegierung der Gewinneinkünfte mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar. Denn die Vorschriften bewirkten eine Ungleichbehandlung von Gewinn- und Überschusseinkünften, da die Bezieher von Überschusseinkünften über 250.000 Euro (Einzelveranlagung) beziehungsweise über 500.000 Euro (Zusammenveranlagung von Ehegatten) im Jahr 2007 einem Steuersatz von 45% unterlegen hätten, während für die Bezieher von Gewinneinkünften der Höchstsatz auf 42% begrenzt gewesen sei.

Risiken auch bei Überschusseinkünften

Das vom Gesetzgeber für die Ungleichbehandlung herangezogene spezifische unternehmerische Risiko ist nach Ansicht der Verfassungsrichter kein sachlich einleuchtender Grund für die erfolgte Differenzierung zwischen Gewinn- und Überschusseinkünften. Zwar trügen die Bezieher von Gewinneinkünften ein Unternehmerrisiko. Das spezifische Unternehmerrisiko des Gewerbetreibenden biete aber ebenso wie das Unternehmerrisiko eines selbstständigen Land- und Forstwirts oder eines freiberuflich tätigen Selbstständigen keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Erwirtschaftung gleicher Zahlungsfähigkeit sei Ausdruck einer geringeren Leistungsfähigkeit. Risiken bei der Einkünfteerzielung können laut Gericht auch bei den Überschusseinkünften entstehen, etwa bei Kapital- oder Vermietungseinkünften und – aufgrund unsicherer Arbeitsmarktlage – selbst bei Lohneinkünften.

Unternehmerrisiko nur bei Realisierung steuermindernd zu berücksichtigen

Hinzu komme, dass ein Unternehmerrisiko im Einkommensteuerrecht grundsätzlich erst, aber auch immer dann steuermindernd berücksichtigt werde, wenn es sich realisiert habe. Denn bei einem geringeren oder fehlenden Gewinn sei eine niedrigere oder gar keine Einkommensteuer zu entrichten. Hingegen bleibe im Einkommensteuerrecht das nur abstrakte unternehmerische Risiko – ebenso wie nur abstrakte besondere unternehmerische Chancen -– außen vor. Entscheidend sei das tatsächlich aus einer Tätigkeit Erwirtschaftete.

Hinweis auf geplante Unternehmenssteuerreform nicht ausreichend

Soweit der Gesetzgeber mit der Privilegierung der Gewinneinkünfte dem Umstand Rechnung tragen wollte, dass für das Jahr 2008 eine umfassende Unternehmenssteuerreform geplant war, fehlt es laut BVerfG an einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung für einen hinreichend bestimmten Förderungs- oder Lenkungszweck. So habe das vom Gesetzgeber genannte Ziel keinen Niederschlag im Tatbestand des § 32c EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 gefunden. Warum Gewinneinkünfte privilegiert werden sollen, ergebe sich aus der Norm nicht. Die Gesetzesmaterialien verwiesen zwar auf die geplante Unternehmenssteuerreform, ließen aber ebenfalls offen, welches Ziel der Gesetzgeber damit verfolgen wollte. Aus ihnen lasse sich nur entnehmen, dass eine Entlastung unternehmerischer Einkünfte beabsichtigt war, nicht aber erkennen, aus welchem Grund der Gesetzgeber eine Entlastung anstrebte, noch, welcher Art diese sein und welches Ausmaß sie haben sollte. Details einer im Rahmen der Unternehmenssteuerreform geplanten Entlastungsregelung seien zum damaligen Zeitpunkt noch nicht ausgearbeitet gewesen. Es habe weder einen Gesetzentwurf gegeben, der in den Bundestag eingebracht worden wäre, noch auch nur einen Regierungsentwurf, der vom Bundestag mit der Gesetzesbegründung stillschweigend hätte in Bezug genommen werden können, heißt es im Beschluss weiter.

Lediglich Koalitionsvereinbarung zeigte Grundtendenz geplanter Reform auf

Lediglich die Koalitionsvereinbarung aus dem Jahr 2005 habe bei Erlass des Steueränderungsgesetzes 2007 die Grundtendenz der geplanten Unternehmenssteuerreform aufgezeigt. Dort hätten die Regierungsparteien ihre Absicht zum Ausdruck gebracht, durch eine Reform des Unternehmenssteuerrechts das Steuerrecht zu vereinfachen und international wettbewerbsfähig zu gestalten, um die Steuerbasis in Deutschland zu sichern, Investitionsanreize zu setzen und so neue Arbeitsplätze zu schaffen sowie das wirtschaftliche Wachstum insgesamt zu beleben. Die Reform habe neben den Körperschaften auch die Personenunternehmen erfassen sollen, da deutsche Unternehmen zu mehr als 80% in dieser Rechtsform organisiert seien, so das BVerfG.

Aber keine hinreichende Konkretisierung der Förderungs- oder Lenkungszwecke 

Damit erläutere die Koalitionsvereinbarung zwar, warum der Gesetzgeber eine Entlastung unternehmerischer Einkünfte anstrebte, lasse aber offen, welcher Art diese Entlastung sein und welches Ausmaß sie haben sollte, gab das Verfassungsgericht zu bedenken. Schon deshalb scheide sie zur näheren Konkretisierung eines mit dem Steueränderungsgesetz 2007 erkennbar verfolgten Förderungs- und Lenkungszwecks aus. Das BVerfG hat vor diesem Hintergrund offengelassen, ob Koalitionsvereinbarungen zwischen politischen Parteien für sich genommen überhaupt geeignet sind, die hinreichende Bestimmtheit einer gesetzgeberischen Entscheidung für Förderungs- oder Lenkungszwecke einer steuerlichen Maßnahme zu gewährleisten.

Auch Eckpunktepapier des Bundeskabinetts ließ zentrale Fragen der Reform offen

Ferner folgt laut BVerfG eine erkennbare gesetzgeberische Entscheidung auch nicht aus dem sogenannten Eckpunktepapier des Bundeskabinetts für eine Reform der Unternehmensbesteuerung vom 12.07.2006. Denn der Beschluss des Bundeskabinetts zu den Eckpunkten der geplanten Unternehmenssteuerreform sei erst nach der Verabschiedung des Steueränderungsgesetzes 2007 durch den Beschluss des Bundestages vom 29.07.2006 und die Zustimmung des Bundesrates am 07.07.2006 gefasst worden. Im Übrigen ließ auch das Eckpunktepapier laut Verfassungsrichter zentrale Fragen der Unternehmenssteuerreform offen.

BVerfG, Beschluss vom 08.12.2021 - 2 BvL 1/13

Redaktion beck-aktuell, 12. Januar 2022.