BVerfG: Spiegel muss vorerst keinen Nachtrag zur Verdachtsberichterstattung über HSH-Chefjustitiar abdrucken

Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" muss dem gerichtlich angeordneten Abdruck eines “Nachtrags" zu seiner Berichterstattung über die HSH Nordbank AG aus dem Jahr 2010 derzeit nicht nachkommen. Ein weiterer Aufschub beim Abdruck des Nachtrags, mit dem der frühere Chef-Justitiar der Bank Rehabilitierung hinsichtlich der über ihn veröffentlichten Verdächtigungen fordert, sei angesichts des möglichen Imageschadens für das Magazin bis zur weiteren Klärung vertretbar, entschied das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22.06.2017 (Az. 1 BvR 666/17).

Vorinstanz verurteilte den Spiegel zum Abdruck eines "Nachtrags"

Im August 2010 erschien in der Zeitschrift "Der Spiegel" ein Beitrag, der sich kritisch mit den Zuständen bei der HSH Nordbank AG befasste. Darin wird unter anderem dargestellt, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens als Justitiar der HSH Nordbank AG im Jahr 2009 an einer Abhörmaßnahme gegen ein Vorstandsmitglied beteiligt gewesen sein könnte. Wegen dieser Berichterstattung betrieb er ein Unterlassungsverfahren gegen die Beschwerdeführerin. Diese wurde vom Oberlandesgericht verurteilt, eine vom Kläger des Ausgangsverfahrens formulierte Erklärung in der nächsten Ausgabe ihres Nachrichtenmagazins unter der Bezeichnung als "Nachtrag" zu veröffentlichen. In dieser werden auch weitere angeblich an der Abhöraktion beteiligte Personen benannt.

Nachrichtenmagazin berief sich auf Pressefreiheit

Der letzte Satz dieser Erklärung lautet: "[haben wir durch die Berichterstattung] (...) den Verdacht erweckt, der HSH-Chefjustitiar G. habe an den beschriebenen angeblichen Abhörmaßnahmen gegen R. mitgewirkt. Diesen Verdacht erhalten wir aus heutiger Sicht nicht aufrecht. Der Verlag." Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wies der Bundesgerichtshof ebenso zurück wie eine nachfolgend erhobene Anhörungsrüge. Inzwischen wurde die Beschwerdeführerin im Zwangsmittelwege dazu angehalten, die Erklärung abzudrucken. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte die Beschwerdeführerin vornehmlich die Verletzung ihres Grundrechts auf Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG) und begehrte mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die Vollziehung des Urteils des Oberlandesgerichts einstweilen auszusetzen.

BVerfG: Eilantrag der Beschwerdeführerin nach Folgenabwägung begründet

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Eilantrag der Beschwerdeführerin stattgegeben. Da die Verfassungsbeschwerde von vornherein weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet sei und Fragen aufwerfe, die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend beurteilt werden könnten, hat das Gericht eine Folgenabwägung vorgenommen. Nach deren Ergebnis würden die Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, überwiegen: Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und würde sich die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren als begründet erweisen, müsste die Beschwerdeführerin eine Erklärung veröffentlichen, die ihr in dieser Form eventuell nicht hätte auferlegt werden dürfen. Für die Beschwerdeführerin bedeutete dies einen Eingriff in ihre redaktionelle Gestaltungsfreiheit. Von Gewicht sei dabei, dass ihr eine Veröffentlichung in der vorgesehenen Form auch eine inhaltliche Distanzierung abverlangen würde. Zudem könnte durch die Veröffentlichung des "Nachtrags" ein Imageschaden eintreten. Schließlich bestehe die Gefahr, dass durch die Veröffentlichung Persönlichkeitsrechte Dritter beeinträchtigt werden, ohne dass dies nachträglich heilbar wäre.

Nachteile für Kläger bei Aufschub der Vollstreckung geringer

Erginge die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, würde die Beschwerdeführerin bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde keinen "Nachtrag" abdrucken. Dies sei angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe zwar von Gewicht. Seit der Veröffentlichung des Artikels seien bereits sechs Jahre verstrichen. Allerdings bedeute eine zeitliche Verzögerung im vorliegenden Fall nicht, dass der Effekt des erstrebten Nachtrags unwiederbringlich verloren ginge. Für den Kläger des Ausgangsverfahrens könne die Veröffentlichung des "Nachtrags" auch später noch ihren Sinn erfüllen. Beurteile man die Folgen, wögen die Nachteile, die der Beschwerdeführerin im Fall der Ablehnung des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung drohen, schwerer als die Nachteile, die für den Kläger des Ausgangsverfahrens im Fall eines Anordnungserlasses entstünden. Ein weiterer Aufschub bei der Vollstreckung sei diesem eher zumutbar als es die Verpflichtung zum sofortigen Abdruck für die Beschwerdeführerin wäre.

BVerfG, Beschluss vom 22.06.2017 - 1 BvR 666/17

Redaktion beck-aktuell, 27. Juni 2017.

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