SGB-II-Bezieher vor BVerfG erfolgreich gegen Ablehnung von Beratungshilfe
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Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde eines SGB-II-Beziehers gegen die Ablehnung von Beratungshilfe für einen Widerspruch gegen Bescheide des Jobcenters stattgegeben. Das Amtsgericht Kaufbeuren habe die Reichweite der Rechtswahrnehmungsgleichheit verkannt, da es den Antrag als mutwillig abgelehnt habe, obwohl der Fall eine schwierige Rechtsfrage aufgeworfen habe.

Beratungshilfe für Widerspruch gegen Jobcenter-Bescheide versagt

Einem SGB-II-Bezieher war Beratungshilfe für einen Widerspruch gegen Bescheide vom April 2021 versagt worden, mit denen die Leistungsbewilligung für den Zeitraum Juli bis Dezember 2020 endgültig festgesetzt und daneben eine Erstattung eines überzahlten Betrags gefordert wurde. Die Überzahlung rührte daher, dass das Jobcenter ein Betriebskostenguthaben aus dem Jahr 2019 im Zeitraum Juni bis November 2020 anteilig leistungsmindernd berücksichtigt hatte. Der Beschwerdeführer bezweifelte bei Beantragung der Beratungshilfe beim AG unter anderem die Richtigkeit der leistungsmindernden Verrechnung des Betriebskostenguthabens über einen Zeitraum von sechs Monaten. Der Antrag wurde wegen Mutwilligkeit zurückgewiesen, die Erinnerung blieb ohne Erfolg. Der Beschwerdeführer begehre Beratungshilfe, um Leistungsbescheide des Jobcenters pauschal auf ihre Richtigkeit überprüfen zu lassen. Auch habe er nicht vorgetragen, dass er sich selbst schriftlich oder durch Vorsprache beim Jobcenter um eine Aufklärung des Sachverhalts bemüht habe, so das AG. Nach erfolgloser Anhörungsrüge legte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde ein.

BVerfG: Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit verletzt

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde für offensichtlich begründet erachtet. Die angegriffenen AG-Beschlüsse verletzten den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit. Das AG habe die Reichweite der Rechtswahrnehmungsgleichheit verkannt, indem es den Antrag auf Beratungshilfe als mutwillig abgelehnt habe. Der Beschwerdeführer habe keine besonderen Rechtskenntnisse gehabt. Der zugrunde liegende Sachverhalt habe außerdem schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen aufgeworfen. Das gelte jedenfalls für die vom Beschwerdeführer angezweifelte Anrechnung des Betriebskostenguthabens auf den Leistungsanspruch und dessen Aufteilung auf einen Zeitraum von sechs Monaten. Zur Klärung dieser Frage habe der Beschwerdeführer auch nicht an das Jobcenter verwiesen werden dürfen, weil dieses den angegriffenen Bescheid selbst erlassen hatte.

Annahme der Mutwilligkeit nicht nachvollziehbar

Die Einschätzung des AG, die vom Beschwerdeführer verfolgte Rechtsverfolgung sei mutwillig, sei nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer habe nicht pauschal die Überprüfung eines Leistungsbescheids begehrt, sondern bereits konkret aufgezeigt, auf welche Punkte sich seine Zweifel an der Richtigkeit der Bescheide bezogen. Insbesondere habe er die Richtigkeit der ‒ mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung tatsächlich nicht vereinbaren ‒ Anrechnung eines Betriebskostenguthabens über sechs Monate hinweg angezweifelt. Nähere Erläuterungen zu der nicht einfach gelagerten Frage, ob diese Aufteilung zulässig sei oder nicht, hätten von ihm bei der Beantragung von Beratungshilfe schlechterdings nicht erwartet werden können, so das BVerfG.

BVerfG, Beschluss vom 04.04.2022 - 1 BvR 1370/21

Redaktion beck-aktuell, 24. Mai 2022.