BVerfG rüffelt BGH: Staatsanwaltschaft muss "Deal" ausdrücklich zustimmen
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Das Bundesverfassungsgericht rügt eine Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs und betont, dass die Staatsanwaltschaft einer Verständigung im Strafprozess ausdrücklich zustimmen müsse. Denn eine nur konkludente Zustimmung würde verbotenen informellen Absprachen Tür und Tor öffnen. Zudem müsse die Zustimmung erfolgen, bevor der Angeklagte ein Geständnis ablege. Die Verfassungsbeschwerde scheiterte mangels Zulässigkeit dennoch.

Staatsanwaltschaft stimmte Verständigung nicht ausdrücklich zu

In dem Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer vor dem Landgericht Lüneburg unterbreitete der Kammervorsitzende zu Beginn der Beweisaufnahme einen Verständigungsvorschlag, dem der Beschwerdeführer zustimmte. Die Staatsanwaltschaft stimmte allerdings nicht ausdrücklich zu. Der Beschwerdeführer legte auf Grundlage des Verständigungsvorschlags ein Geständnis ab. Das LG verurteilte den Beschwerdeführer dann auf Basis der Verständigung wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten. Der Beschwerdeführer legte Revision ein, mit der er die Verständigung als verfahrensfehlerhaft rügte.

BGH erachtete konkludente Zustimmung für ausreichend

Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision, ohne zu den Verfahrensrügen auszuführen. Er folgte damit dem Antrag des Generalbundesanwalts beim BGH, der es als ausreichend erachtete, dass sich "unzweifelhaft" eine "eindeutige (konkludente) Zustimmungserklärung" aus dem im Hauptverhandlungsprotokoll niedergelegten Verfahrensgang ergebe. Jedenfalls beruhe das Urteil nicht auf dem gerügten Verfahrensverstoß, weil der Beschwerdeführer so gestellt worden sei, als wenn die Verständigung wirksam gewesen wäre. Der Beschwerdeführer rügte beim BVerfG eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren durch eine willkürliche Anwendung der Vorschriften zur Verständigung im Strafprozess.

BVerfG: Beschwerde bereits unzulässig

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde bereits für unzulässig erachtet. Der Beschwerdeführer hätte substantiiert vortragen müssen, dass er die einmonatige Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zur Erhebung und Begründung der Verfassungsbeschwerde eingehalten habe. In Strafsachen würden Entscheidungen regelmäßig sowohl dem Verteidiger als auch dem Beschuldigten bekanntgegeben. Daher müsse substantiiert zu allen Zugangszeitpunkten jedenfalls dann vorgetragen werden, wenn sich die Einhaltung der Monatsfrist nicht ohne weiteres aus den vorgelegten Unterlagen ergibt. Die Regelung des § 37 Abs. 2 StPO zu mehrfachen Zustellungen finde im verfassungsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung. Der Beschwerdeführer habe aber nur dargelegt, wann die BGH-Entscheidung seinem Verteidiger zugegangen sei, nicht aber, ob und wann ihm selbst die Entscheidung bekanntgegeben worden sei.

Wirksame Verständigung erfordert ausdrückliche Zustimmung

Das BVerfG betont aber, dass vieles dafür spreche, dass der BGH-Beschluss verfassungswidrig ist. Eine Verständigung komme nur wirksam zustande, wenn Staatsanwaltschaft und Angeklagter einem Verständigungsvorschlag des Gerichts zustimmen. Die Transparenzvorgaben des Verständigungsverfahrens erforderten dabei, dass Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Verständigungsvorschlag ausdrücklich und nicht nur konkludent zustimmen. Die mit einer konkludenten Zustimmung einhergehenden Unsicherheiten über das Zustandekommen einer Verständigung ließen Raum für "informelle" Absprachen und "Deals", die schon aus verfassungsrechtlichen Gründen untersagt seien.

Beruhen bei nur konkludenter Zustimmung regelmäßig zu bejahen

Laut BVerfG wird ein Urteil dabei nur in Ausnahmefällen nicht darauf beruhen, dass das erkennende Gericht bei einer verfahrensrechtswidrig nur konkludent erklärten Zustimmung von einer wirksamen Verständigung ausgegangen ist. Bei einem Verstoß gegen das Zustimmungserfordernis sei das Beruhen nicht alleine unter dem Gesichtspunkt der Einwirkung auf das Aussageverhalten eines Angeklagten zu beurteilen. Das Erfordernis einer ausdrücklichen Zustimmung stehe auch im Zusammenhang mit der Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit.

Zustimmung vor Geständniserklärung erforderlich

Die Prozesserklärungen der Staatsanwaltschaft könnten nicht verfassungsrechtlich tragfähig als hinreichend bestimmte, ausdrückliche Zustimmungserklärungen gewertet werden, so das BVerfG weiter. Es sei zum Schutz eines Angeklagten unzulässig, auf Prozesserklärungen abzustellen, die zeitlich erst nach dem im Rahmen einer Verständigung abgelegten Geständnis abgegeben worden seien. Das Gebot der Verfahrensfairness erfordere, dass der Angeklagte sich zum Zeitpunkt des Geständnisses sicher sein kann, dass ihm die strafprozessualen Regelungen zur Verständigung Schutz bieten.

BVerfG, Beschluss vom 29.04.2021 - 2 BvR 1543/20

Redaktion beck-aktuell, 20. Mai 2021.