Rückwirkende Beseitigung sofortiger Absetzbarkeit vorausgezahlter Erbbauzinsen teilweise nichtig
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Das Bundesverfassungsgericht hat die 2004 vorgenommene rückwirkende Änderung des Abflussprinzips zur Beseitigung der sofortigen Absetzbarkeit vorausgezahlter Erbbauzinsen als Werbungskosten teilweise für nichtig erklärt. Die angeordnete Rückwirkung verstoße zum Teil gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes.

Sofortige Absetzbarkeit voller Erbbauzins-Vorauszahlung 2004 rückwirkend beseitigt

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG sind als Werbungskosten zu qualifizierende Ausgaben grundsätzlich in voller Höhe für das Kalenderjahr von der Einkommensteuer abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind (Abflussprinzip). Mit Urteil vom 23.09.2003 entschied der Bundesfinanzhof erstmals ausdrücklich, dass dies auch für Erbbauzinsen galt, die Werbungskosten für Vermietungseinkünfte sind und in einem Einmalbetrag vorausgezahlt werden (NZM 2004, 72). Da nach der Einschätzung der damaligen Regierungsfraktionen die uneingeschränkte Anwendung dieses Urteils zu erheblichen Haushaltsmindereinnahmen geführt hätte, initiierten die Regierungsfraktionen im Rahmen eines laufenden Gesetzgebungsverfahrens die hier verfahrensgegenständliche Veränderung des Abflussprinzips. Die Gesetzesänderung wurde am 27.10.2004 durch eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses in den Bundestag eingebracht, am 28.10.2004 vom Bundestag beschlossen und am 15.12.2004 im Bundesgesetzblatt verkündet. Aufgrund der am Folgetag in Kraft getretenen Neuregelung sind Vorauszahlungen für eine Nutzungsüberlassung von mehr als fünf Jahren auf den Vorauszahlungszeitraum zu verteilen (§ 11 Abs. Abs. 2 Satz 3 EStG in der Fassung des EURLUmsG). Bei Erbbauzinsen und andere Entgelte für die Nutzung eines Grundstücks sollte dies bereits für alle Vorauszahlungen gelten, die nach dem 31.12.2003 geleistet worden waren (§ 52 Abs. 30 EStG in der Fassung des EURLUmsG).

Finanzamt berücksichtigte vor Gesetzesänderung vorausgezahlte Erbbauzinsen nur anteilig

Der Kläger des Ausgangsverfahrens erwarb im August 2004 im Zusammenhang mit einer von ihm vermieteten Wohnung einen Miterbbaurechtsanteil an einem auf 99 Jahre bestellten Erbbaurecht. Er zahlte zur Abgeltung der gesamten Erbbauzinsansprüche für die Laufzeit des Erbbaurechts im September 2004 insgesamt 36.350 Euro. Diesen Betrag machte er vollständig bei seinen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung des Jahres 2004 als Werbungskosten geltend. Demgegenüber berücksichtigten das Finanzamt und das Finanzgericht nur den auf das Streitjahr entfallenden Teil der Erbbauzinsen (also 1/99 der Vorauszahlung = 368 Euro). Der BFH setzte das sich anschließende Revisionsverfahren aus und legte dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vor ob die verfahrensgegenständlichen Vorschriften gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen.

BVerfG: Rückwirkende Änderung des Abflussprinzips zum Teil verfassungswidrig

Das BVerfG hat entschieden, dass die rückwirkende Änderung des Abflussprinzips teilweise gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstößt. § 52 Abs. 30 EStG in der Fassung des EURLUmsG ordne eine unechte – belastende – Rückwirkung an. Eine solche sei mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt. Absoluten verfassungsrechtlichen Schutz seines Vertrauens könne der Steuerpflichtige dagegen nicht beanspruchen, weil er im Hinblick auf das stets in Rechnung zu stellende (mindestens potentielle) Änderungsbedürfnis des Gesetzgebers nicht auf den zeitlich unbegrenzten Fortbestand der einmal geltenden Rechtslage vertrauen dürfe.

Fälle uneingeschränkter Schutzwürdigkeit des Vertrauens

Dem BVerfG zufolge sind Dispositionen eines Steuerpflichtigen uneingeschränkt schutzwürdig, soweit von der Neuregelung betroffene Vorauszahlungsvereinbarungen im Jahr 2004, spätestens am 27.10.2004, geschlossen und vereinbarungsgemäß noch im Jahr 2004 erfüllt worden sind. Die Betroffenen hätten darauf vertrauen dürfen, dass nach dem geltenden Recht als Werbungskosten vorausgezahlte Erbbauzinsen vollständig im Zahlungsjahr abzuziehen waren. Zwar habe der BFH diese spezielle Frage mit seiner Entscheidung vom 23.09.2003 erstmals und abweichend von der bis dahin geübten Verwaltungspraxis ausdrücklich geklärt. Jedoch habe er damit seine sonstige gefestigte und langjährige Rechtsprechung zur steuerrechtlichen Behandlung des Erbbauzinses systematisch konsequent fortgesetzt, sodass mit einer Änderung seiner Rechtsauffassung in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden musste. Dem schutzwürdigen Vertrauen stehe auch nicht entgegen, dass die Finanzverwaltung in dem Zeitraum bis zur Neuregelung weder ihre abweichende Verwaltungsvorschrift geändert noch die Entscheidung des BFH im Bundessteuerblatt Teil II veröffentlicht hat. Denn die Befugnis zur verbindlichen Auslegung von Gesetzen sei nach dem Grundgesetz der Rechtsprechung vorbehalten.

Bis 27.10.2004 durfte auf Fortbestand geltenden Rechts vertraut werden

Die Betroffenen hätten ferner nicht nur auf den vom BFH geklärten Inhalt des geltenden Rechts, sondern bis zum 27.10.2004 auch auf den Fortbestand des geltenden Rechts vertrauen dürfen. Zwar sei der Gesetzgeber jederzeit befugt, den Inhalt einer von ihm gesetzten Norm zu ändern und damit gegebenenfalls eine fachgerichtliche Rechtsprechung zu korrigieren, mit der er nicht einverstanden ist. Seine Änderungsbefugnis sei aber in erster Linie zukunftsgerichtet. Das Vertrauen der Steuerpflichtigen in die Fortgeltung sei allerdings dann nicht schutzwürdig, wenn bei objektiver Betrachtung nicht mit dem Fortbestand des geltenden Rechts gerechnet werden konnte, sondern eine Neuregelung ernsthaft zu erwarten war. Derartige Anhaltspunkte hätten hier jedoch bis zur Einbringung des Änderungsentwurfs in den Bundestag aus der maßgeblichen Sicht der Steuerpflichtigen trotz entgegenstehender Verwaltungsanweisung und fehlender Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 23.09.2003 im für die Finanzverwaltung verbindlichen Bundessteuerblatt Teil II nicht vorgelegen.

Schutzwürdiges Vertrauen durch bloß verwaltungsinternes Handeln nicht gemindert

Die Entscheidung für eine Gesetzesänderung sei erst nach verwaltungsinterner Prüfung möglicher Handlungsoptionen durch eine beim Bundesfinanzministerium eingerichtete Bund-Länder-Arbeitsgruppe gefallen. Nach außen sei die Absicht der Finanzverwaltung zur Gesetzesänderung allein aufgrund vereinzelter Anfragen aus der Presse sowie aus der Immobilien- und Fondsbranche gedrungen, ohne dass zu diesem Zeitpunkt ein Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht war. Ein überwiegend internes Verwaltungshandeln ohne Beteiligung der zur Gesetzesinitiative Berechtigten mindere das grundsätzlich schutzwürdige Vertrauen der Steuerpflichtigen in das geltende Recht jedoch nicht. Dementsprechend genüge dafür erst recht nicht, dass bereits ab dem Beginn des Jahres 2004 in den Medien sowie in der Immobilien- und Fondsbranche über die Steuersparmodelle, die das BFH-Urteil vom 23.09.2003 ermöglichte, und die möglichen Reaktionen der Finanzverwaltung hierauf spekuliert wurde.

Staatliches Einnahmeinteresse kein den Vertrauensschutz überwindendes Gemeinwohlinteresse

Soweit das Vertrauen der Steuerpflichtigen in das geltende Recht und den Fortbestand der dafür maßgeblichen Normen bei der Abwägung als schutzwürdig einzustellen sei, sei die unechte Rückwirkung auch unter Berücksichtigung des Gesetzesanliegens verfassungsrechtlich unzulässig. Das Vertrauen des Steuerpflichtigen überwiege hier die für die Einführung der Neuregelung maßgebliche Annahme, die uneingeschränkte Anwendung des BFH-Urteils vom 23.09.2003 würde zu erheblichen, nicht hinnehmbaren Haushaltsmindereinnahmen führen. Denn die bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen, begründe für sich genommen grundsätzlich noch kein den Vertrauensschutz betroffener Steuerpflichtiger überwindendes Gemeinwohlinteresse. Ansonsten würde der Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Verschärfungen des Steuerrechts praktisch leerlaufen, so das BVerfG.

Nutzung von "Steuerschlupflöchern" grundsätzlich legitim

Die Absicht des Gesetzgebers, ein "Steuerschlupfloch" zu schließen, und Gesichtspunkte der Belastungsgleichheit könnten die Versagung von Vertrauensschutz ebenfalls nicht rechtfertigen. Es stelle grundsätzlich keinen Missbrauch dar, sondern gehöre zu den legitimen Dispositionen im grundrechtlich geschützten Bereich der allgemeinen (wirtschaftlichen) Handlungsfreiheit, wenn Steuerpflichtige darum bemüht sind, die Vorteile des geltenden Rechts auch mit Blick auf mögliche Nachteile einer zukünftigen Gesetzeslage für sich zu nutzen. Das grundsätzlich berechtigte Interesse, einen "Ankündigungs- oder Mitnahmeeffekt" und einen unerwünschten "Wettlauf" zwischen Steuerpflichtigem und Gesetzgeber zu vermeiden, habe hier die Rückwirkung für Vereinbarungen in dem Zeitraum vor der Einbringung des Gesetzentwurfs in den Bundestag nicht legitimieren können, weil bis dahin größere "Ankündigungs- und Mitnahmeeffekte" nicht zu verzeichnen gewesen seien. Selbstverständlich sei der Gesetzgeber befugt, von ihm unerwünschte steuerliche Gestaltungen typisierend als missbräuchlich zu qualifizieren und zu unterbinden. Ein derartiges Änderungsinteresse biete aber noch keinen spezifischen Grund für die rückwirkende Änderung.

Fälle geminderter Schutzwürdigkeit des Vertrauens

Weniger schutzwürdig sind laut BVerfG Dispositionen des Steuerpflichtigen, soweit Vorauszahlungen erst nach dem 27.10.2004 (Tag der Einbringung des Änderungsentwurfs in den Bundestag durch die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses) verbindlich vereinbart worden seien, da sich die Vertragspartner dann auf eine mögliche Änderung der Rechtslage für die Zukunft einstellen konnten. Weniger schutzwürdig seien ferner bis zum 27.10.2004 geschlossene Vorauszahlungsvereinbarungen, bei denen der Leistungszeitpunkt vertraglich über das Jahr des Vertragsschlusses hinaus festgelegt worden seien, weil es hier ferner liegt, auf den jahresübergreifenden Fortbestand des aktuell geltenden Steuerrechts zu vertrauen, und näher, mit vertraglichen Klauseln auch die Verteilung des Risikos künftiger Steuerverschärfungen zu regeln.

Unechte Rückwirkung bei Vorauszahlungsvereinbarung 2004 und Zahlung ab 2005 gerechtfertigt

In den Fällen geringerer Schutzwürdigkeit der Disposition des Steuerpflichtigen sei die unechte Rückwirkung verfassungsrechtlich nur ausnahmsweise zu beanstanden. Soweit die Neuregelung auf Fälle anwendbar sei, in denen die Vorauszahlung im Jahr 2004 vereinbart, aber gemäß dieser Vereinbarung oder aufgrund einer vertragswidrigen Verzögerung durch den Erbbauberechtigten erst ab dem Jahr 2005 geleistet worden sei, habe der Steuerpflichtige von sich aus das Risiko künftiger Rechtsänderungen berücksichtigen müssen und habe sich außerdem durch vertragliche Anpassungsklauseln darauf einstellen können. Deshalb reichten in diesen Fällen die legitimen Änderungsinteressen des Gesetzgebers zur Rechtfertigung der Enttäuschung des im Zeitpunkt der Vereinbarung bestehenden Vertrauens in den Fortbestand des geltenden Rechts aus.

Bei Vereinbarungen nach 27.10.2004 überwiegt Interesse an Vermeidung von "Ankündigungs- und Mitnahmeeffekten"

Erst recht sei die Anwendung der Neuregelung auf solche Vereinbarungen nicht zu beanstanden, die zu einem Zeitpunkt geschlossen worden sind, als sich die Rechtsänderung noch für das laufende Jahr 2004 durch die Einbringung des Änderungsentwurfs in den Bundestag bereits konkret abgezeichnet hat. Soweit also die Neuregelung auf Fälle anwendbar sei, in denen die Vereinbarung nach der Einbringung in den Bundestag am 27.10.2004 geschlossen worden sei, führe auch eine Zahlung noch vor der Verkündung der Neuregelung am 15.12.2004 nicht dazu, dass das Änderungsinteresse des Gesetzgebers hinter das schutzwürdige Vertrauen der Steuerpflichtigen zurücktreten muss. Insoweit habe die Rückwirkung dem berechtigten Interesse gedient, einen "Wettlauf" zwischen Steuerpflichtigem und Gesetzgeber sowie "Ankündigungs- und Mitnahmeeffekte" in einer nicht unerheblichen Größenordnung zu vermeiden. Hier habe nämlich die naheliegende Gefahr bestanden, dass es durch die – für sich genommen legitime – Erlangung dieser wahrscheinlich nur noch kurze Zeit zu erzielenden Steuervorteile durch eine Minderheit professionell beratener Steuerpflichtiger zulasten des Allgemeinwohls zu Steuermindereinnahmen kommen könnte, die deutlich über das im Zeitpunkt der Einbringung der Änderung erreichte Volumen hinausgingen.

Unechte Rückwirkung bei Vereinbarung vor 2004 und Zahlung bis Gesetzesverkündung aber verfassungswidrig

Nur soweit die Vorauszahlung bereits vor 2004 vereinbart, die Zahlung aber vereinbarungsgemäß erst in der Zeit zwischen dem 01.01.2004 und dem 15.12.2004 (Tag der Verkündung der Neuregelung) – also noch unter Geltung des alten Rechts – geleistet worden sei, genüge das Änderungsinteresse des Gesetzgebers nicht, um dem Steuerpflichtigen nachträglich die mit der Vorauszahlung verbundenen Vorteile einer vollständigen Abzugsfähigkeit als Werbungskosten im Jahr der Zahlung wieder zu entziehen. Auch in diesem Fall sei zwar die Schutzwürdigkeit des mit dem Abschluss der Vereinbarung betätigten Vertrauens wegen der das Kalenderjahr überschreitenden Vertragsgestaltung zunächst gemindert gewesen. Der steuerrechtlich relevante Sachverhalt habe jedoch durch die vereinbarungsgemäße Leistung der geschuldeten Erbbauzinsen noch unter der Geltung des alten Rechts einen gesteigerten Grad an Abgeschlossenheit erreicht. Dann bedürfe es besonderer Gründe zur Veränderung des zuvor geltenden Sofortabzugs. Das generelle Interesse des Gesetzgebers, Steuermindereinnahmen zu vermeiden, reiche insoweit nicht aus. Nennenswerte "Ankündigungs- und Mitnahmeeffekte" seien bei einer bereits vor dem Jahr 2004 geschlossenen Vereinbarung nicht ersichtlich.

BVerfG, Beschluss vom 25.03.2021 - 2 BvL 1/11

Redaktion beck-aktuell, 11. Mai 2021.