BVerfG: Richtervorlage zum Rohrleitungsgesetz für Bau von Kohlenmonoxid-Pipeline unzulässig

Die Richtervorlage des Oberverwaltungsgerichts Münster zum Rohrleitungsgesetz für den Bau der Kohlenmonoxid-Pipeline der Bayer AG zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen ist unzulässig. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 21.12.2016 entschieden. Das OVG habe die von ihm angenommene Unvereinbarkeit des Gesetzes mit Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG nicht ausreichend begründet (Az.: 1 BvL 10/14).

OVG Münster rief BVerfG an: Rohrleitungsgesetz für Kohlenstoffmonoxid-Pipeline verfassungswidrig?

Das Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen (RohrlG) regelt die Zulässigkeit von Enteignungen zugunsten Privater für die Errichtung der dort beschriebenen Rohrleitungsanlage. Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind Eigentümer von Grundstücken in der Trasse der Rohrleitungsanlage, mittels derer im Chemiepark Dormagen produziertes gasförmiges Kohlenmonoxid zum Chemiepark Krefeld-Uerdingen transportiert werden soll. Sie wendeten sich gegen den Planfeststellungsbeschluss für die Errichtung und den Betrieb der Rohrfernleitungsanlage. Auf die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung setzte das Oberverwaltungsgericht das Verfahren mit Beschluss vom 28.08.2014 aus und legte dem BVerfG die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 1 Satz 1 RohrlG zur Entscheidung vor.

BVerfG: OVG hat Verfassungswidrigkeit der Vorschrift nicht ausreichend begründet

Das BVerfG hat die Richtervorlage für unzulässig erachtet. Das Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG setze unter anderem voraus, dass das das vorlegende Gericht seine für die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit maßgeblichen Erwägungen für das BVerfG nachvollziehbar und erschöpfend darlegt. Dieser Anforderung werde die OVG-Vorlage nicht gerecht.

Anforderungen an Bestimmtheit gesetzlicher Enteignungsregeln

Wie das BVerfG erläutert, müsse das zur Enteignung ermächtigende Gesetz hinreichend bestimmt regeln, zu welchem Zweck, unter welchen Voraussetzungen und für welche Vorhaben enteignet werden dürfe. Wie konkret der Gesetzgeber in dem jeweiligen Enteignungsgesetz das die Enteignung legitimierende Gemeinwohl benennen müsse, lasse sich nicht allgemein festlegen. Den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen genüge eine Regelung jedoch nicht, die die Entscheidung, für welche Vorhaben und zu welchen Zwecken enteignet werden dürfe, faktisch in die Hand der Verwaltung lege.

Erhöhte Bestimmtheitsanforderungen bei Enteignungen zugunsten Privater

Bei Enteignungen zugunsten Privater, die nur mittelbar dem gemeinen Wohl dienen, seien erhöhte Anforderungen an die Klarheit und Bestimmtheit der gesetzlichen Enteignungsregeln zu stellen, so das BVerfG weiter. Der Gesetzgeber müsse unzweideutig zu regeln, ob und für welche Vorhaben eine solche Enteignung statthaft sein solle. Die Sicherung der dauerhaften Gemeinwohlnutzung des enteigneten Gutes sei durch Gesetz zu gewährleisten. Diese in der Rechtsprechung des BVerfG gesicherten Grundsätze zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Enteignung müsse das vorlegende Gericht seiner Prüfung zugrunde zu legen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Gesetzgeberischer Spielraum bei Bestimmung des Gemeinwohlziels nicht ausreichend berücksichtigt

Laut BVerfG weicht das OVG mit den von ihm aufgestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Enteignung wesentlich von diesen Vorgaben ab. Soweit das OVG die Gemeinwohltauglichkeit der Enteignungszwecke in Abrede stelle, trage es dem weiten Spielraum des Gesetzgebers bei der Bestimmung des Gemeinwohlziels und dem dementsprechend begrenzten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nicht hinreichend Rechnung. Auch daran, dass die genannten Zwecksetzungen grundsätzlich geeignet und hinreichend gewichtig seien, die für die Erreichung dieser Ziele typischerweise in Betracht kommenden Enteignungen zu rechtfertigen, zeige der Vorlagebeschluss keine durchgreifenden Zweifel auf. Die Verwirklichung der Rohrleitung werde in der Regel nicht mehr als die Bestellung einer durch eine vergleichsweise geringe Belastungsintensität gekennzeichnete Grunddienstbarkeit erfordern. Hinzu komme, dass die vom Rohrleitungsgesetz zugelassene Enteignung nicht nur dem die Anlage betreibenden Unternehmen diene, sondern einer Vielzahl von Kohlenmonoxid verarbeitenden Betrieben in der Region zugutekomme.

Vorhaben und Gemeinwohlzweck hinreichend bestimmt

Hinsichtlich der Bestimmtheit der gesetzlichen Umschreibung der Enteignungszwecke zieht das OVG nach Ansicht des BVerfG zu weitgehende Schlüsse aus Ausführungen des BVerfG im Urteil zum Braunkohletagebau Garzweiler (NVwZ 2014, 211). Durch das vorgelegte Gesetz würden das Vorhaben und der Gemeinwohlzweck, zu deren Verwirklichung Enteignungen grundsätzlich zulässig sein sollen, hinreichend bestimmt. Das Vorhaben werde seiner Art, seiner geographisch räumlichen Einbettung und Größenordnung sowie seiner Funktion nach in einer Weise gekennzeichnet, die unter anderem der bezweckten Erhöhung der Sicherheit und Zuverlässigkeit der Kohlenmonoxidversorgung und damit auch der Förderung wirtschaftlicher Strukturen eine klare Kontur gebe.

Gesetzgeber muss Gesamtabwägung der betroffenen Belange nicht selbst vornehmen

Die weitere Annahme des OVG, dass die gebotene Gesamtabwägung nicht der Behörde überlassen werden dürfe, entspreche ebenfalls nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben, so das BVerfG. Das BVerfG habe im Urteil zum Tagebau zur Braunkohlegewinnung in Garzweiler zwar verlangt, dass eine Gesamtabwägung der für das Vorhaben sprechenden Gemeinwohlgründe mit den durch seine Verwirklichung beeinträchtigten öffentlichen und privaten Belangen gesetzlich vorgesehen sein muss. Diesem Erfordernis sei hier jedoch Genüge getan. Die für das vorliegende Vorhaben erforderliche Planfeststellung umfasse eine Gesamtabwägung der betroffenen Belange. Das BVerfG habe keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers gesehen, diese Gesamtabwägung bereits selbst vorzunehmen.

Sicherung des Enteignungszwecks erfordert keine Sicherung des Erfolges der Anlagenzwecke

Dem BVerfG zufolge überzeichnet das OVG schließlich die von der Verfassung vorgegebenen Erfordernisse, wenn es den Gesetzgeber auf die Sicherung des Erfolges der Zwecke der Rohrleitungsanlage verpflichten wolle. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sei nicht die Sicherung eines Erfolges, sondern die Sicherung des Enteignungszwecks erforderlich. Die gebotene dauerhafte Gemeinwohlsicherung verlange gesetzliche Regelungen, die sicherstellten, dass begünstigte Private das enteignete Gut zur Verwirklichung des die Enteignung legitimierenden Zwecks verwenden und dass diese Nutzung dauerhaft erfolgt. Inwieweit mit dieser Nutzung das mit der Enteignung verfolgte Gemeinwohlziel erreicht werde, sei keine Frage der Sicherung des Enteignungszwecks, sondern sei im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter dem Aspekt der Eignung gerichtlicher Überprüfung zugänglich.

BVerfG, Beschluss vom 21.12.2016 - 1 BvL 10/14

Redaktion beck-aktuell, 13. Januar 2017.

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