Regelungen zur Elektronischen Fußfessel verfassungsgemäß
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© Julian Stratenschulte / dpa

Die gesetzlichen Regelungen zur sogenannten elektronischen Fußfessel sind mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit heute veröffentlichtem Beschluss vom 01.12.2020 entschieden. Eine solche Form der Aufenthaltsüberwachung greife zwar in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen ein. Dies sei aber mit Blick auf das Gewicht der geschützten Belange verhältnismäßig und zumutbar.

Elektronische Fußfessel

Die elektronische Aufenthaltsüberwachung wurde im Jahr 2011 als Instrument zur Überwachung von Personen, die wegen qualifizierter Straftaten verurteilt worden sind und eine negative Rückfallprognose aufweisen, in die Bestimmungen des § 68b Abs. 1 Satz 1 StGB eingefügt. Zuvor hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Fortdauer der Sicherungsverwahrung nach Ablauf der im Zeitpunkt der Verurteilung geltenden Höchstfrist von zehn Jahren für konventionswidrig erachtet. Bei der sogenannten elektronischen Fußfessel wird der Aufenthalt des Gefährders mit einem am Fuß angebrachten GPS-Empfangsgerät überwacht.

Beschwerdeführer sehen sich in Grundrechten verletzt

Die Beschwerdeführer wurden nach Verbüßung ihrer langjährigen Freiheitsstrafen aus der Haft entlassen und zunächst polizeilich beobachtet. Die Fachgerichte ordneten als Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht die elektronische Aufenthaltsüberwachung der Beschwerdeführer an, woraufhin ihnen die “elektronische Fußfessel“ angelegt wurde. Die Beschwerdeführer rügten einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowohl in seiner Ausprägung als informationelles Selbstbestimmungsrecht als auch in seiner Ausprägung als Resozialisierungsgebot. Darüber hinaus machten sie eine Verletzung von Art. 12 GG, Art. 11 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG sowie Art. 103 Abs. 2 GG beziehungsweise des allgemeinen Vertrauensschutzgebotes und schließlich von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG geltend.

Menschenwürde nicht verletzt

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerden als unbegründet zurückgewiesen. Die Beschwerdeführer seien nicht in ihren Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten verletzt. Ein Eingriff in die Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG liege nicht vor. Die gesetzlichen Vorschriften seien lediglich auf die anlassbezogene jederzeitige Feststellbarkeit des Aufenthaltsortes des Betroffenen gerichtet. In welcher Weise er sich an diesem Ort betätige, sei nicht Gegenstand der Überwachung, da sein Handeln weder optischer noch akustischer Kontrolle unterliege. Der Gesetzgeber habe zudem innerhalb der Wohnung eine “genaue Ortung“ untersagt und die Datenerhebung auf eine Präsenzfeststellung beschränkt. Die elektronische Aufenthaltsermittlung führe ebenso nicht zu einer mit der Menschenwürde unvereinbaren “Rundumüberwachung“, durch welche die Betroffenen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht würden. Die mit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung verbundene Kontrolldichte sei nicht derart umfassend, dass sie nahezu lückenlos alle Bewegungen und Lebensäußerungen erfasse und die Erstellung eines Persönlichkeitsprofils ermögliche.

Eingriff in das Persönlichkeitsrecht verhältnismäßig und zumutbar

Die Beschwerdeführer seien auch nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Zwar stelle die elektronische Aufenthaltsüberwachung einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar, indem sie in die Privatsphäre eindringe und diese beeinträchtige. Dieser Grundrechtseingriff sei aber aufgrund des Gewichts der geschützten Belange zumutbar und stehe insbesondere nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der Rechtsgüter, deren Schutz die elektronische Aufenthaltsüberwachung bezwecke. Die elektronische Aufenthaltsermittlung unterliege erheblichen Einschränkungen sowohl hinsichtlich des Adressatenkreises einer solchen Weisung als auch hinsichtlich der Schwere der zu erwartenden Straftaten. Ferner dürfe eine entsprechende Weisung nur erlassen werden, wenn die hinreichend konkrete Gefahr bestehe, dass der Betroffene weitere schwere Straftaten der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Art begehe.

Lebensgestaltung wird nicht wesentlich beeinträchtigt

Darüber hinaus liege auch kein Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG vor. Durch das Anlegen der “elektronischen Fußfessel“ werde die eigenverantwortliche Lebensgestaltung oder die Wiedereingliederung des Betroffenen in die Gesellschaft nicht wesentlich erschwert. Betroffene würden durch die versteckt angebrachte Fußfessel nicht sichtbar gebrandmarkt. Eine generelle Stigmatisierungswirkung sei nicht gegeben. Einschränkungen im Hinblick auf intime Kontakte seien zum Schutz der hochrangigen Rechtsgüter des Lebens, der Freiheit, der körperlichen Unversehrtheit und der sexuellen Selbstbestimmung Dritter gerechtfertigt.

Auch weitere Grundrechte nicht verletzt

Die Beschwerdeführer seien auch nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in Form der informationellen Selbstbestimmung verletzt. Die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten sei in § 463a Abs. 4 StPO in einer Weise geregelt, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge und verhältnismäßig sei. Insbesondere würden die Aufenthaltsdaten im Fall der Nichtverwendung spätestens zwei Monate nach ihrer Erhebung gelöscht. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit sei ebenfalls nicht verletzt, da mit der elektronischen Fußfessel keine gesundheitsschädlichen oder sonstige mit körperlichen Schmerzen vergleichbare Auswirkungen einhergingen. Die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG sei nicht tangiert, da die Weisung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung keine Verbote hinsichtlich der Wahl des Berufs oder der Ausbildungsstätte beinhalte.

Vertrauensschutz tritt hinter Sicherungsbelangen der Allgemeinheit zurück

Die Regelungen der elektronischen Aufenthaltsüberwachung trügen schließlich auch dem rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutz (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) Rechnung. Die gesetzliche Regelung schließe zwar Fälle tatbestandlicher Rückanknüpfung (sogenannte “unechte Rückwirkung“) ein, bei der der Gesetzgeber Sachverhalte aus der Vergangenheit zum Anknüpfungspunkt künftiger Rechtsfolgen mache. Dass der Gesetzgeber den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit gegenüber dem Vertrauen der Betroffenen auf eine nicht durch staatliche Maßnahmen beeinträchtigte Lebensführung im Rahmen einer Abwägung der Gemeinwohlbelange den Vorrang eingeräumt habe, sei aber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sonstige Grundrechtseingriffe seien ebenso wenig gegeben wie konventionsrechtliche Bedenken.

BVerfG, Beschluss vom 01.12.2020 - 2 BvR 916/11

Redaktion beck-aktuell, 4. Februar 2021.